Mein Alltag ist vor allen Dingen durch meinen Beruf geprägt. Seit mehr als 20 Jahren arbeite ich im diplomatischen Dienst. Mein erster Posten war in Ostberlin von April 1988 bis Juni 1990. Eine sehr spannende Zeit, eine einmalige Erfahrung. Ich habe den Fall der Mauer miterlebt, eine neue Regierung, beinahe die Wiedervereinigung. Heute sind diese Ereignisse für mich oft ein wichtiges Thema, wenn ich mit der Jugend ins Gespräch komme, die diese Zeit ja nicht miterlebt hat.
Studiert habe ich Vergleichende Literaturwissenschaften und später Jura. Die Prüfung für den diplomatischen Dienst habe ich damals im Generalkonsulat in München abgelegt, dort war ich Stipendiatin am Max-Planck-Institut. Ich wollte reisen, meine Fremdsprachenkenntnisse nutzen. Die Erwartungen haben sich erfüllt, es ist wirklich sehr abwechslungsreich.
Nach der Zeit in Berlin war ich zwei Jahre in Brüssel. Und mit 35 Jahren habe ich Türkisch gelernt und kam für drei Jahre nach Ankara. Ich wollte die Sprache so gut wie möglich beherrschen, weil mir bewusst war, dass ich für Menschenrechte zuständig sein sollte. Ich wollte unbedingt direkt mit den Menschenrechtlern ins Gespräch kommen. Nach der Türkei ging es zurück nach Washington. Dann habe ich Polnisch gelernt und kam nach Warschau. Das war eine unwahrscheinlich interessante Zeit, weil ich noch eine Reihe von Angehörigen der Solidarnosc-Bewegung kennenlernen konnte.
Danach zogen wir nach Toronto, wieder für drei Jahre, und dann zurück in die Türkei, wo ich als Botschaftsrätin für politische Fragen gearbeitet habe. Dann kam Mexiko, und jetzt sind wir seit einem guten Jahr in Düsseldorf. Hier leite ich das US-Generalkonsulat.
Vor einigen Wochen hatten wir eine Begegnung in Berlin, mit vielen Mitarbeitern der Botschaft und der anderen drei US-Generalkonsulate in Deutschland. Ich finde solche Treffen sehr nützlich. Man tauscht sich aus, und ich erfahre, was die Botschaft besonders beschäftigt, sei es Afghanistan, Klima- oder Datenschutz.
Immer habe ich eine Reihe von Terminen außerhalb des Konsulats. Kürzlich waren wir zum Beispiel in der Bundeskunsthalle in Bonn. Die Sammlung des Natio- nalmuseums in Kabul wird dort gezeigt, und im Rahmen dieser Ausstellung haben einige Journalistinnen, die öfters nach Afghanistan reisen, von ihren Erfahrungen berichtet. Die US-Botschaft hatte die Veranstaltung mit unterstützt.
Vor Kurzem hat wieder eine Welle von Antrittsbesuchen begonnen. Aber jetzt bin nicht mehr ich die Neue, wie im vergangenen Jahr, sondern die NRW-Regierung ist neu besetzt worden. Neben den Regierungsvertretern lerne ich dann auch Landtagsabgeordnete kennen. Sie alle sind für uns wichtig, weil wir wissen wollen, was in diesem bedeutenden Bundesland vor sich geht. In Nordrhein-Westfalen lebt ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands, hier entsteht ein Viertel des Bruttosozialproduktes, 700 US-Firmen sind hier ansässig sowie eine Reihe von deutschen Firmen, die auch in den USA investieren.
Daneben ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir so viel wie möglich in Kontakt mit der Jugend kommen. Das ist ein Schwerpunkt, den der neue US-Botschafter gesetzt hat. Er hat verschiedene Gründe dafür, aber der allerwichtigste ist, dass die jungen Leute heute die Nachkriegsgeschichte nicht kennen, denn sie wurden nach dem Fall der Mauer geboren. Sie sind vom Irak- und Afghanistankrieg geprägt. Wir müssen unbedingt mit dieser jungen Generation ins Gespräch kommen, damit sie vielleicht Vorurteile abbauen und uns Fragen stellen kann. Mit einem Programm, das »Meet US« heißt, gehen wir in Schulen, oder Schulklassen kommen zu uns ins Konsulat.
Familie Neben dem Beruflichen prägt die Familie meinen Alltag. Meine beiden Töchter besuchen die Internationale Schule. Kindererziehung ist eine große Herausforderung, das hat man zu jeder Zeit gewusst. Heute sind das Internet, SMS und Facebook beherrschende Themen – Zeichen einer Gesellschaft, die nicht mehr warten kann. Das ist für mich als Mutter eine neue Erfahrung. Ich verbringe gerne Zeit mit den Kindern. Beide treiben Sport, häufig gehen wir gemeinsam zu den Spielen. Meine 14-jährige Tochter spielt Volleyball, die Zehnjährige Fußball.
Bedingt durch den diplomatischen Dienst ziehen wir mindestens alle drei Jahre um. Um sich einzuleben, muss man sich einfach Zeit nehmen. Mir ist immer bewusst, dass ich persönlich und die Kinder mehr oder weniger sechs Monate brauchen, ehe wir beurteilen können, ob wir uns wohlfühlen oder nicht. Da geben Familie und Religion einen Rahmen, ein Fundament von Werten und Moral. Man muss es nicht einmal ins Gepäck legen, man hat es immer dabei.
Freunde Wo es mir bislang am meisten gefallen hat, ist schwer zu sagen. Für die Familie insgesamt waren Toronto und hier die allerbesten Stationen. Da haben wir enge Freunde gefunden und gute Erfahrungen mit der Schule und im Leben insgesamt gemacht. Wenn man von Reisen und Erfahrungen spricht, dann muss ich natürlich auch die Türkei nennen, weil das wirklich ein faszinierendes Land ist. Und Ostberlin will ich mit aufzählen: Dort habe ich etwas erlebt, was sich in meinem Leben wahrscheinlich nicht wiederholen wird. Ich war im richtigen Moment am richtigen Ort.
Die Erfahrungen mit den jüdischen Gemeinden sind in jeder Stadt anders. Als ich das erste Mal in der Türkei war, gab es in Ankara gerade noch genügend Leute für eine Gemeinde. Als wir dann zurückkehrten, sahen wir einen erheblichen Unterschied. Selbst in Ostberlin bestand damals eine Gemeinde. Durch sie lernte ich Leonard Bernstein kennen. Kurz nach dem Fall der Mauer war er nach Berlin gekommen, um Beethovens Neunte zu dirigieren. Es war Anfang Chanukka 1989. Eine Bekannte aus der Gemeinde rief mich in der Botschaft an. Sie sagte, ich müsste sofort in die Synagoge kommen, Lenny Bernstein sei da. Natürlich bin ich sofort hingegangen.
In Düsseldorf habe ich gute Kontakte mit vielen Leuten in der Einheitsgemeinde. Ich besuche gerne den liberalen Gottesdienst, der einmal im Monat stattfindet. Dort fühlen wir uns wohl. Ich habe immer gesagt, dass Vielfalt eine Bereicherung ist, keinesfalls eine Bedrohung. Ich bin sehr froh, dass die Einheitsgemeinde dies unterstützt. Toleranz und Offenheit sind für mich positive Werte.
Meine ältere Tochter bekommt von einem Rabbinatsstudenten des Abraham Geiger Kollegs einmal im Monat Unterricht für ihre Batmizwa. Er heißt Paul Strasko und hat einen sehr guten Kontakt zu jungen Leuten. Er sagt nicht, das und das musst du lernen, sondern bekommt im Gespräch mit meiner Tochter eine Vorstellung davon, was sie interessiert und kann dadurch ein Programm für sie entwickeln. Meine Tochter ist ziemlich begeistert.
Im Frühjahr habe ich erstmals einen internationalen Seder organisiert. Die Idee dazu kam vom Botschafter. Seit Jahren veranstalten viele amerikanische Diplomaten Iftar-Essen im muslimischen Fastenmonat Ramadan. Daraus entstand die Idee, auch etwas an den jüdischen Feiertagen zu tun. Es war eine sehr breite Gesellschaft eingeladen, 25 Vertreter aus der Politik, anderen Religionen, der Wirtschaft, den Medien. Ich hatte nicht erwartet, dass es so ein positives Erlebnis sein würde. Das öffnet Türen und prägt ein Ambiente von Offenheit.
Aufgezeichnet von Annette Kanis