Der Spezialist für deutsch-französische Fragen Alfred Grosser ist tot. Der Politologe und Publizist starb im Alter von 99 Jahren in Paris, wie sein Sohn Pierre Grosser am Donnerstag mitteilte. Alfred Grosser war einer der intellektuellen Wegbereiter des als Élysée-Vertrag bekannten deutsch-französischen Freundschaftsvertrags.
Grosser hat zahlreiche Bücher geschrieben, in denen er den Deutschen half, die Franzosen zu verstehen - und umgekehrt den Franzosen die Deutschen erklärte. Für seine Rolle als Vermittler wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband sowie dem französischen Großkreuz der Ehrenlegion.
Grosser wurde am 1. Februar 1925 in Frankfurt am Main geboren. Im Jahr 1933 emigrierte er mit seiner Familie jüdischer Herkunft nach Frankreich, vier Jahre später nahm er die französische Staatsangehörigkeit an. Später konvertierte er zum Katholizismus.
Keine Liebesbeziehung
Der deutsch-französische Publizist studierte in Paris Politikwissenschaft und Germanistik. Ab 1955 lehrte er am renommierten Institut d’études politiques de Paris und schrieb für zahlreiche Zeitungen politische Kolumnen. Zu seinem Verhältnis zu Deutschland und Frankreich hat er einmal gesagt: In Frankreich gehöre er dazu, Deutschland begleite er von außen.
Mit seiner Kritik hat Grosser nie hinter dem Berg gehalten. Das deutsch-französische Verhältnis sei keine Liebesbeziehung, sagte er einmal in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in Paris. Und fügte hinzu: Als Frankreichs Präsident Charles de Gaulle 1963 den Élysée-Vertrag unterschrieb, sei es ihm nicht in erster Linie um Annäherung gegangen, sondern darum, Deutschland mit dem Vertrag aus dem Machtbereich der USA herauszuholen.
Anti-israelische Positionen
Trotz seines jüdischen Hintergrunds bezeichnete sich Grosser als »Atheist, der dem Christentum nahe steht«. Auch war er für anti-israelische Positionen bekannt - und für die These, dass »Israelkritik« in Deutschland nicht erlaubt sei.
Auch äußerte Grosser noch problematischere Positionen: Israel fördere den Antisemitismus, meinte er. Im Jahr 2010 hielt Grosser in Frankfurt eine Rede in Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1938. Die Jüdische Gemeinde Frankfurt erklärte damals, Grosser sei ein »angesehener und verdienstvoller Mann«, vertrete aber »in den letzten Jahren zunehmend Positionen, die für uns unannehmbar sind«. Der Zentralrat hatte der Juden warf im etwa vor, seit Jahren den Holocaust mit der Situation der palästinensischen Bevölkerung zu vergleichen. dpa/ja