Das Land Mecklenburg-Vorpommern und der Landesverband der Jüdischen Gemeinden haben ihren 1996 geschlossenen Staatsvertrag um weitere fünf Jahre verlängert. Damit führt das Land die Unterstützung der beiden Gemeinden in Rostock und Schwerin fort. Der Vertrag regelt laut Staatskanzlei unter anderem die Anerkennung jüdischer Feiertage sowie die Friedhofs- und Denkmalpflege.
»Jüdisches Leben und jüdische Religionsausübung gehören zu unserem Land Mecklenburg-Vorpommern«, betonte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Montagnachmittag bei einem Festakt in der Schweriner Synagoge. Es sei gemeinsame Aufgabe, den jüdischen Gemeinden ihre Arbeit zu ermöglichen und das deutsch-jüdische Kulturerbe zu bewahren.
Nach Angaben Schwesigs erhöht das Land seine finanzielle Unterstützung für die jüdischen Gemeinden von derzeit 440.000 auf zunächst 575.000 Euro im nächsten Jahr. Die jährliche Zuwendung steige bis 2026 auf dann 650.000 Euro. Damit werde auch ermöglicht, dass Mitarbeiter der Gemeinden und des Landesverbandes tariflich entlohnt werden.
GELEGENHEIT Schwesig und die für Religionsangelegenheiten zuständige Justizministerin Katy Hoffmeister (CDU) erinnerten daran, dass in diesem Jahr das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« begangen wird. Dies biete Gelegenheit, das jüdische Leben noch besser kennenzulernen. In Mecklenburg-Vorpommern seien mehr als 40 Veranstaltungen geplant, darunter Gottesdienste, Konzerte, Stolpersteinverlegungen, Diskussionen und Lesungen.
»Jüdisches Leben und jüdische Religionsausübung gehören zu unserem Land.«
Manuela Schwesig
Hoffmeister sagte: »Jüdisches Leben gehört zu unserer DNA.« Die Zunahme antisemitischer Straftaten sei nicht hinnehmbar und müsse sowohl juristisch als auch gesellschaftlich verfolgt werden. »Daher ist es folgerichtig, die jüdischen Gemeinden weiter zu unterstützen.« Mit den Zuschüssen werde das Leben der Gemeinden, ihre Sicherheit und die Integration in die Gesellschaft unterstützt. Nicht nur im Festjahr sei das »ein Herzensanliegen«, so Hoffmeister.
BEKENNTNIS Zentralratsvizepräsident Mark Dainow betonte, dass ein Staatsvertrag immer auch ein Bekenntnis sei. »Er ist ein Bekenntnis zu unseren demokratischen Werten«, die es zu verteidigen gelte, sagte er. »Für die Erneuerung dieses Bekenntnisses zu jüdischem Leben danke ich der Landesregierung, den engagierten Vereinen und Verbänden und all jenen, die mit ihrem täglichen Engagement an der Seite der jüdischen Gemeinschaft stehen – auch im Namen des Zentralrats der Juden in Deutschland – sehr herzlich.«
Dass die Mitglieder der Gemeinden des Landes Mecklenburg-Vorpommern Teil der Stadtgesellschaft sind, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. »Dass wir von dieser Selbstverständlichkeit jedoch noch weit entfernt sind, zeigen uns nicht nur die aktuellen Verfassungsschutzberichte, Mitte-Studien oder die von der Recherche- und Informationsstelle RIAS erfassten antisemitischen Vorfälle«, betonte Dainow.
Antisemitische Demonstrationen, Hass im Netz und auf der Straße zeigten, dass Verschwörungsideologen und Antidemokraten Juden angreifen. »Sie greifen aber auch die Gesellschaft als Ganzes an. Darüber sollte sich jeder klar sein, der meint, Antisemitismus sei nur ein Problem von uns Juden.«
»Jeder Mensch hat es in der Hand, das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft zu stärken«, zitierte der Zentralratsvizepräsident den 2020 verstorbenen langjährigen Landesrabbiner William Wolff. »Damit hat er uns allen eine große Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben. Ein jeder und eine jede ist auch heute aufgefordert, sich dieser Aufgabe zu stellen.«
MUT In seiner Rede ging Dainow auch auf die russischsprachigen jüdischen Zuwanderer ein, die die jüdischen Gemeinden im Norden Ostdeutschlands erst wieder zum Leben erweckt hätten, indem sie mit »unschätzbar wertvollem Gut im Gepäck« gekommen seien.
»Er ist ein Bekenntnis zu unseren demokratischen Werten.«
Mark Dainow
Sie seien nicht nur vor Antisemitismus in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion auf der Suche nach einem besseren Leben geflohen, sondern hatten auch den Mut, neues, jüdisches Leben hier in Deutschland aufzubauen – mit Tatkraft, Hoffnung und Zuversicht. Insbesondere hob er dabei das Wirken des langjährigen Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern, Valeriy Bunimov, hervor.
»Mir war gar nicht richtig bewusst, was der Begriff ›Staatsvertrag‹ bedeutet«, erinnerte sich Valeriy Bunimov. Vor 25 Jahren, am 14. Juni 1996, unterzeichnete er in Schwerin erstmals ein solches Abkommen. Zwei Jahre zuvor war Bunimov mit seiner Familie aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, und eben auch zwei Jahre zuvor hatten jüdische Emigranten wie er in Schwerin und in Rostock jeweils neue jüdische Gemeinden gegründet.
350 Mitglieder gab es 1996, und die Landesregierung verpflichtete sich in diesem ersten Staatsvertrag zu einer finanziellen Unterstützung von jährlich 480.000 Mark. Ein Vierteljahrhundert später hat sich diese Summe ungefähr verdoppelt.
VERHANDLUNGEN Während es für die Regierungschefin eine Premiere war, blickt Valeriy Bunimov auf viele ähnliche Treffen, war er doch im vergangenen Vierteljahrhundert an sämtlichen Verhandlungen beteiligt. Der heute 71-Jährige sah mehrere Ministerpräsidenten und Kultusminister kommen und gehen.
Mit der staatlichen Unterstützung konnten in den vergangenen Jahren unter anderem zwei Gemeindezentren – in Schwerin und Rostock – neu gebaut oder umfassend saniert werden, in der Landeshauptstadt wurde sogar 2008 auf den Fundamenten des nach der Pogromnacht 1938 abgerissenen Vorgängerbaus eine neue Synagoge errichtet. Heute gibt es zudem in beiden Städten jeweils jüdische Friedhöfe und zunächst mit dem 2020 verstorbenen William Wolff sowie seit 2015 mit Yuriy Kadnykov einen Landesrabbiner für Mecklenburg-Vorpommern.
»Die Verhandlungen innerhalb der Landesregierung waren nicht einfach.«
Katy Hoffmeister
Mit dem zusätzlichen Geld sollen nun unter anderem künftige Bauarbeiten finanziert werden. So regnet es seit Jahren durch das gläserne Dach der Schweriner Synagoge, hier plant die Gemeinde laut Valeriy Bunimov endlich die Reparatur des Schadens. Auch für die mehr als 40 geschlossenen Friedhöfe in Mecklenburg-Vorpommern soll Geld verwendet werden.
Zwar übernehmen für diese Begräbnisstätten die jeweiligen Kommunen die laufenden Kosten, doch es entstehen auch immer wieder zusätzliche. Desweiteren soll eine Stelle eingerichtet werden, damit sich im Landesverband eine Person nur um die Friedhöfe kümmern kann.
Konkret plant die Jüdische Gemeinde Schwerin, dass sie in einigen Jahren auch den seit 1717 existierenden alten jüdischen Friedhof im Norden der Stadt wieder nutzen kann. Zudem steht auf dem Gelände Mecklenburgs größtes jüdisches Gebäude. Die 1899 erbaute »Feierhalle« wird seit Jahrzehnten nicht mehr genutzt, doch nach einer umfassenden Sanierung und der Öffnung des historischen Friedhofs möchte die Gemeinde das Gebäude wieder in seiner ursprünglichen Funktion nutzen.
SICHERHEIT Neben den Zuwendungen durch den Staatsvertrag wird das Land die beiden Gemeinden in Schwerin mit Wismar sowie in Rostock darüber hinaus dabei unterstützen, die Gemeindezentren besser gegen mögliche Anschläge zu sichern. Im Gespräch sind sowohl für Rostock als auch für Schwerin jeweils 1,5 Millionen Euro. So sollen die Eingangsbereiche der Gebäude, eventuell auch versehen mit Schleusen, die Fenster, aber auch Zäune an den Grundstücken den aktuellen sicherheitstechnischen Anforderungen angepasst werden.
Während das Rostocker Gemeindezentrum in der Augustenstraße mit einem großen Gebäude noch relativ einfach umzubauen ist, gestaltet sich dies in Schwerin deutlich komplizierter. Das Gemeindezentrum in der Innenstadt besteht aus drei Gebäuden an zwei Straßen, zudem steht auf dem Hinterhof die Synagoge. Der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden ist aber zuversichtlich, dass die kommenden Gespräche entsprechende Lösungen aufzeigen werden.
»Ob wir noch in diesem Jahr damit beginnen, kann ich nicht sagen, aber 2022 werden wir bei den Sicherheitsmaßnahmen einen großen Schritt vorankommen«, zeigt sich Bunimov zuversichtlich. Er kündigte darüber hinaus an, dass in beiden Gemeinden jeweils Personalstellen eingerichtet werden, damit sich Mitarbeiter allein um die Sicherheit der Gemeindezentren kümmern können.
»2022 werden wir bei den Sicherheitsmaßnahmen einen großen Schritt vorankommen.«
Valeriy Bunimov
Derzeit gehören den beiden Gemeinden knapp 1200 Mitglieder an. Dadurch, dass ältere Gemeindemitglieder gestorben sind, andere aus Mecklenburg-Vorpommern wegzogen und sich kaum noch neue Mitglieder in den Gemeinden anmelden, ist deren Zahl seit mehreren Jahren rückläufig. Trotzdem hat das Land sich mit dem neuen Staatsvertrag dazu verpflichtet, die Gemeinden deutlich stärker finanziell zu unterstützen als in der Vergangenheit.
»Die Verhandlungen innerhalb der Landesregierung waren nicht einfach«, berichtete die zuständige Ministerin Katy Hoffmeister, »aber das Finanz- und das Justizministerium sind sich der Verantwortung bewusst, und deshalb haben wir uns dafür entschieden, einen größeren Sprung zu machen als ursprünglich erwartet.«
Auch verweist die CDU-Politikerin darauf, dass beide jüdischen Gemeinden in den vergangenen Jahren immer mehr in der Öffentlichkeit sichtbar wurden: »Es ist großartig zu sehen, wenn sich beispielsweise in Rostock die Jüdischen Kulturtage so etabliert haben, dass sie gar nicht mehr aus dem Kalender wegzudenken sind.« (mit dpa)