Porträt der Woche

Der Visionär

Asaf Erlich kam für ein Soziales Jahr nach Deutschland und arbeitet als Synchronsprecher

von Gerhard Haase-Hindenberg  19.09.2021 09:02 Uhr

»Als ich in Sachsen-Anhalt lebte, gab es noch keine AfD; ihre späteren Wahlerfolge dort erstaunen mich jedoch nicht«: Asaf Erlich (32) lebt in München. Foto: Lydia Bergida

Asaf Erlich kam für ein Soziales Jahr nach Deutschland und arbeitet als Synchronsprecher

von Gerhard Haase-Hindenberg  19.09.2021 09:02 Uhr

Meine Mutter stammt von usbekisch-bucharischen Juden ab, und mein aschkenasischer Vaters hat polnisch-deutsche Wurzeln. Ich bin in Holon geboren, das liegt südlich von Tel Aviv. Wie viele Jugendliche stand auch ich nach dem Abitur vor der Frage, wie es weitergehen soll.

Viele meiner Freunde bescheinigten mir ein Talent für Sprachen, aber was konnte jemand damit anfangen, der keine Zukunft als Dolmetscher anstrebt? Ich konnte mir allerdings vorstellen, in den diplomatischen Dienst zu gehen. Dafür aber brauchte man entweder gute Beziehungen, oder man hatte etwas anzubieten, was nicht bei jedem zweiten Bewerber in der Vita steht.

studium Zunächst studierte ich Politische Wissenschaften an der Bar Ilan, einer religiös-zionistischen Universität in Ramat Gan. Der Abschluss attestierte mir keine spezielle Befähigung, stellte aber die Voraussetzung für eine Bewerbung im Außenministerium dar. Plötzlich waren Sprachen wichtig, also außer dem Englischen, was ohnehin jeder spricht, zumindest von denen, die Diplomaten werden wollen. Viele Uni-Absolventen lernten inzwischen Chinesisch. Das würde schon bald auch kein Alleinstellungsmerkmal mehr sein.

Also überlegte ich gegen Ende meines Studiums, wie es mit Deutsch wäre. Das ist eine Sprache, die in bestimmten Kreisen in Israel und sicher auch bei vielen Bewerbern für den diplomatischen Dienst nicht sehr beliebt ist, dachte ich. Allerdings drückte ich zum Erlernen dieser Sprache keine Schulbank – ich ging nach Deutschland.

Nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle stellte ich meinen Videoblog über Israel ein.

Es war Zufall, dass ich beim Zappen im Internet auf ein Jobangebot in Deutschland stieß. Ohnehin hatte ich erwogen, nach dem Studium ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) zu machen, warum also nicht in Deutschland? Darum ging es nämlich in dieser Anzeige. So würde ich die Sprachkenntnisse quasi »learning by doing« erwerben. Vielleicht konnte ich ja in Deutschland an einer konsularischen Vertretung Israels einen Job finden, der mir die Möglichkeit gab, ein wenig ins diplomatische Geschäft hineinzuschnuppern. So weit meine Vorstellungen.

FSJ Die erste Station in Deutschland war die Lutherstadt Wittenberg. Dort blieb ich ein Jahr. Es klingt sicher ungewöhnlich, dass ein Israeli ein FSJ in der deutschen Provinz macht, ist es doch üblicherweise umgekehrt. Das aber war es, was von mir von einer Organisation in Sachsen-Anhalt erwartet wurde: junge deutsche Bewerber in Workshops auf ihr künftiges Einsatzgebiet Israel vorzubereiten.

Dabei lernte auch ich eine Menge. Zum Beispiel, weshalb sich meine deutschen Altersgenossen ausgerechnet Israel für ein Soziales Jahr aussuchten. Die einen verspürten eine Art Schuld für die Generation der Großeltern gegenüber den Juden und wollten etwas wiedergutmachen, was natürlich gar nicht gutzumachen ist.

Die anderen, meist eher links eingestellte Aspiranten, wollten angesichts des Nahostkonflikts »die Position der Araber besser verstehen«. Da half mir das Politikstudium an der Bar-Ilan-Universität, um Antworten auf die Fragen der Aspiranten zu finden.

NATIONALISMUS Als ich in Sachsen-Anhalt lebte, gab es noch keine AfD, aber als diese Partei später dort Wahlerfolge feierte, hat mich das nicht erstaunt. Bereits damals spürte ich bei vielen Menschen eine nationalistische Tendenz, einmal hat mir sogar ein junger Mann den Arm zum Hitlergruß entgegengestreckt.
Ich suchte das Gespräch mit diesen Menschen – was anfangs wegen der Sprachbarriere nicht ganz einfach war.

Es hat vor allem eine Weile gedauert, bis ich realisierte, dass es in Deutschland automatisch einer rechten Gesinnung entsprach, nationalistisch eingestellt zu sein. Die zionistischen Gründungsväter Israels standen politisch ja eher links, aber trotzdem hatten sie die Idee des Aufbaus eines jüdischen Nationalstaates. Deshalb war es für mich nicht auf Anhieb erkennbar, was nationalistische Haltungen hierzulande bedeuten.

Nach diesem Jahr ging ich erst einmal zurück nach Israel. Zuvor aber war ich in unserem Generalkonsulat in München vorstellig geworden, und man räumte mir eine Praktikantenstelle ein. Natürlich hoffte ich, hier Bedingungen vorzufinden, die mir halfen, mich optimal auf den als schwierig bekannten Einstellungstest in Jerusalem vorzubereiten. Was ich aber dann vorfand, hielt mich davon ab, eine diplomatische Karriere ins Auge zu fassen.

VIDEOBLOG Als technikaffiner Mensch, der sich sicher in den sozialen Medien bewegt, weiß ich auch um die positiven Möglichkeiten einer Online-Präsenz. So entwickelte ich zum Beispiel in der Zeit am Generalkonsulat die Idee, in einem regelmäßigen Videoblog meine israelische Heimat vorzustellen. Die Beiträge hätte man auch den anderen diplomatischen Vertretungen weltweit zur Verfügung stellen können, um Israel dort ebenfalls in einem positiven Licht zu präsentieren.

Meine Vision aber wurde von den Diplomaten abgelehnt. Als besonders enttäuschend empfand ich, dass man sich nicht einmal die Mühe machte, die Absage zu begründen. Die Antwort lautete jedes Mal »Lo!«: »Nein!«
Damit endete mein Ausflug in die Welt der Diplomaten. Der Grund, warum ich trotzdem in München blieb, hieß Kerstin. Die junge Münchnerin war damals meine Freundin. Heute sind wir miteinander verlobt.

Heute würde ich mich als stocksäkular bezeichnen, damals aber war ich in einer religiösen Phase.

Nun musste ich mich auf dem freien Arbeitsmarkt behaupten. Mein erstes Jobangebot kam von der Zionistischen Jugend Deutschlands (ZJD). Auch hier bestand meine Tätigkeit unter anderem darin, den Mädchen und Jungen ein positives Bild meiner Heimat zu vermitteln. Da es sich aber diesmal um jüdische Mädchen und Jungen handelte, sollten diese irgendwann in der Lage sein, die zionistische Position anderen gegenüber zu vertreten.

FREUNDIN Heute würde ich mich als stocksäkular bezeichnen, damals aber war ich in einer religiösen Phase. Um in der Fremde das eigene Jüdischsein zu spüren, suchte ich die Nähe zur Israelitischen Kultusgemeinde und zeitweilig auch die zu Chabad. Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf meine Beziehung. Keineswegs negative, denn bei Kerstin wuchs der Wunsch, Jüdin zu werden.

Ich war dagegen, denn es kam mir so vor, als hätte ich einen missionarischen Einfluss auf sie ausgeübt, was natürlich vollkommen unjüdisch wäre. Außerdem konnte ich mir durchaus ein Leben an der Seite einer nichtjüdischen Frau vorstellen.

Kerstin aber war selbstbewusst genug, ihren eigenen Weg zu gehen. Immerhin war ihr Großvater mütterlicherseits jüdisch gewesen. Schließlich fand sie in dem liberalen Rabbiner Tom Kucera einen kompetenten Lehrer, der sie seither in der Liberalen Münchner Gemeinde Beth Shalom auf dem Weg zum Judentum begleitet.

FEIERTAGE Die Idee mit den Videos spukte mir noch immer im Kopf herum. Vielleicht gerade deshalb, weil mir die Diplomaten im israelischen Generalkonsulat keinen rational nachvollziehbaren Grund für die Ablehnung genannt hatten. Ich griff meine Idee wieder auf und fing an, in kurzen Clips Fragen zu beantworten, die manche schon immer übers Judentum stellen wollten, aber nicht wussten, wem, da sie keine Jüdinnen und Juden kennen.

So erklärte ich in weniger als drei Minuten, was wir an Pessach feiern oder an Rosch Haschana. Für den weniger bekannten Feiertag Tu Bischwat brauchte ich auch schon mal vier Minuten. In einem anderen Video widmete ich mich der Frage »Was machen Juden im Alltag?«, oder ich stellte Israel als »ein Land voller Katzen« vor.

Dann war plötzlich Schluss mit meinem Videoblog. Seit Oktober 2019 produziere ich nur noch Videos für eine Firma, die unter anderem Software für die Senderfamilie der ARD herstellt. Deren Online-Auftritt liegt in meinen Händen.

HALLE-ATTENTAT Seit einiger Zeit bin ich auch als Synchronsprecher tätig. Auslöser für mein Verstummen als Videoblogger war das, was sich am 9. Oktober 2019 in Halle ereignete.

Ich kann nicht genau erklären, warum ich mich so entschieden habe, es ist auch noch gar nicht offiziell verkündet. Meine keineswegs kleine Fangemeinde darf also hoffen, dass ich nicht dauerhaft stumm bleibe. Dann könnte irgendwann mein Großvater ein Thema sein.

Erst durch Recherchen in Archiven habe ich erfahren, dass er im KZ Buchenwald inhaftiert gewesen ist. Als er noch lebte, während meiner Kindheit in Holon, hat er nie darüber gesprochen. Überhaupt war dieses Thema in der Familie ein Tabu. Das würde ich gern ändern.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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