Der Himmel ist verhangen, der Kunstrasen scheint grau. Auf dem angrenzenden Klubhaus »Treff«, einer lang gezogenen weißen Baracke, flankiert Bierwerbung das Logo des nordrhein-westfälischen Gastgebers, dem »VfK Weddinghofen«. Etwa 20 Zuschauer stehen vor ihren weißen Plastikstühlen, die Hände in ihren Hosentaschen vergraben. Stumm beobachten sie, wie ihre Mannschaft mit zwei Toren Führung in die Halbzeitpause geht. Leidenschaft ist lauter.
Dieses Freundschaftsspiel ist ohnehin wichtiger für ihren Gegner – die Herrenmannschaft von Makkabi Deutschland. Für sie ist es der letzte Praxistest vor den 19. Maccabiah-Spielen, die am 17. Juli in Israel beginnen. »Wir repräsentieren die deutschen Juden«, konstatiert Stürmer Igor Polisski. »Wir zeigen: ›Man kann in Deutschland leben, und es geht uns gut.‹«
Homogen Dass die meisten von ihnen nicht einmal 20 Jahre alt sind, wertet der 19-jährige Aaron Zucker als Chance – als Jungspieler seien sie einfach belastungsfähiger. Zucker war bereits bei der letzten Maccabiah, damals kickte er im U16-Team. Nun hofft er, erneut aufgestellt zu werden: »Ich bin der Zweitjüngste im ganzen Kader, da ist es schwieriger, Ansprüche auf einen Stammplatz zu stellen.«
In mehreren Kursen haben sich Trainer Nissim Beniesch, Betreuer David Blau und Makkabi-Vize Isaak Lat ein Bild von den Stärken und Schwächen der 18 ausgewählten Amateurspieler gemacht. Die Fußballmannschaft ist ein Puzzle verschiedener Makkabi-Ortsgruppen aus Berlin, Frankfurt und München. Das macht es für die Sportler schwer, sich gegenseitig einzuschätzen. Wer sprintet stark? Wer geht eher alleine nach vorn? Wer passt zurück? Das 0:2 der ersten Halbzeit ist deshalb zu einem guten Teil ein Spiegel von Missverständnissen und Fehleinschätzungen im jüdischen Team. Die Ruhe vor dem gegnerischen Tor aber hat Trainer Beniesch gefallen. Der entscheidende Pass sei »immer mit Adresse gekommen«.
»Um diesen Lehrgang gut abzurunden, müssen wir die zweite Halbzeit zu null gewinnen«, mahnt Trainer Beniesch in der Pause. Er steht zwischen den Spielern im engen Gästeumkleideraum und gibt taktische Anweisungen: »Wir nehmen den Sella jetzt als zweiten Stürmer, der Igor kommt mal kurz raus und dann wieder rein, rennt sich ein bisschen warm, und der Aaron kommt auf die rechte Außenbahn.« Der Trainer dreht sich zu Zucker um: »Da spielst du mal im Sturm, in Ordnung?«
Stimmung Die Luftfeuchtigkeit in der Kabine torpediert Benieschs Motivationsbemühung. Herausfordernd blickt der Trainer in die abgekämpften Gesichter. »Physisch müsstet ihr jetzt noch mithalten können. Oder hat einer keine Luft mehr?«, erkundigt er sich und hechelt spöttisch. »Nur psychische Probleme!«, ertönt es von der Bank, und die Spieler lachen. »Das ist bei uns bekannt«, kontert der Trainer, »seit mehr als 5700 Jahren.«
Die Ansprache scheint zu wirken. Kaum ist die zweite Halbzeit angepfiffen, erhöht Makkabi den Druck, Tore fallen, das Selbstbewusstsein wächst. Weddinghofen könnte verlieren. Doch während sich die jüdische Mannschaft in der gegnerischen Hälfte austobt, vernachlässigt sie den eigenen Strafraum. Nach weiteren 45 Minuten kommt die Quittung auf Pfiff: Ein unbefriedigendes 3:3-Unentschieden. Des Trainers Forderung wurde nicht erfüllt. Immerhin war es ein faires Spiel, wenn sich Beniesch auch von seinen Spielern grundsätzlich mehr Verständnis für die Fehlbarkeit eines Schiedsrichters wünscht.
Referee So folgt ein freundliches Händeschütteln zwischen den Mannschaften und dem Referee. Während die meisten Spieler danach umgehend in der Kabine verschwinden, setzt sich Aaron Zucker zu Makkabi-Torwart Ernest Strul auf eine kleine Mauer am Spielfeldrand und resümiert das Spiel.
Strul, mit 36 Jahren der Älteste im Kader, wird ernst: »Im Juli sind wir in Israel auf einem großen Turnier. Uns fehlen hier fünf Stammspieler, die sehr wichtig für unsere Mannschaft sind.« Zwei haben sich krankgemeldet, ein anderer hat ein Pokalspiel mit Eintracht Trier. Die Übrigen haben von ihrem Verein keine Freistellung erhalten. »Die großen Vereine geben ihre Spieler ungern frei.« Es heißt, das Verletzungsrisiko sei den Klubs zu hoch.
»Getreu den olympischen Idealen« will die Maccabiah ohnehin eine Veranstaltung für Amateure sein, deren vordringliche Motivation nicht die Jagd nach Medaillen ist: »In Einigkeit zur Ehre des Judentums und zum Ruhm des Sports.« »Jeder jüdische Sportler will mal eine Maccabiah spielen«, bemerkt Zucker, »es gibt nichts darüber.«
Chancen Lat kommentiert die Chancen der deutschen Makkabi-Sportler auf Medaillen zurückhaltend: »Nach den Spielen gebe ich gerne eine Antwort!« Erfahrungsgemäß bestünden aber gute Aussichten im Fechten, Tischtennis, Schach und auch im Schießen, ergänzt der freundliche Mann mit dem dichten Schnauzbart. »Leider gibt es nur drei Medaillen pro Sportart.«
Das Niveau der Spiele sei hoch, stellt Trainer Beniesch fest. »Und wir haben seit 32 Jahren nicht mehr die erste Runde überstanden.« Ihren Erfolg bei den letzten Europäischen Makkabi-Spielen in Wien aber werte er als gutes Omen. Auch Sella Gannot, der Stürmer mit der Nummer 8, hofft auf einen Einzug ins Viertelfinale. »Ich würde gerne gegen Israel spielen«, erzählt der 19-Jährige mit leuchtenden Augen. Das ganze Land verfolge die Maccabiah. Wenn ihm dann ein Tor gelänge, würde es jeder erfahren. Leicht wird es nicht. »Das israelische Team kommt mit 40 Spielern«, erzählt Betreuer David Blau. Und Länder wie England seien erfahrungsgemäß gut besetzt. Denn Großbritannien habe jüdische Ligen und viel mehr Spieler.
Die deutsche Delegation wird mit einer rund 210-köpfigen Mannschaft ans Mittelmeer reisen, 180 davon sind aktive Sportler, die übrigen Trainer und Betreuer. Die Vorbereitungen sind nahezu abgeschlossen, einzig einen Basketball-Lehrgang in Düsseldorf wird es noch geben. Jetzt seien die Sportler angehalten, bis zum Beginn der Spiele in ihren Vereinen oder für sich selbst zu trainieren, sagt Isaak Lat.
»Wir sind dieses Jahr auf jeden Fall besser aufgestellt und werden definitiv mehr erreichen als letztes Mal«, meint Torwart Strul. Für Trainer Nissim Beniesch ist es bereits die siebte Maccabiah, wenn man seine Zeit als Spieler berücksichtigt. Und wer ist sein Wunschgegner? »Erst einmal freut man sich auf die Gegner, die potenziell schlagbar wären«, erklärt Beniesch. »Im Endspiel freuen wir uns dann auf Israel!«