Svetlana Galper atmet tief durch: »Die Anleitung ging ein bisschen schnell.« Vor ihr liegen ein Schneidebrett, ein Messer und ein Wellholz. Denn ihr Sohn Lev und sie wollen heute töpfern. Gerade erklärt eine Lehrerin der Jugendkunstschule Stuttgart, wie sich kleine Schälchen aus Ton fertigen lassen. »Pinchen« heißt die wichtigste Technik dafür.
Dabei formt man eine Kugel aus Ton, drückt ein kleines Loch hinein und verdünnt dann gleichmäßig mit den Fingern die Außenwände. »Allerhöchstens so dick, wie die dünne Stelle an meinem kleinen Finger«, sagt sie, »das geht ganz einfach.« Die Lehrerin stellt ihr faustgroßes Probe-Schälchen vor sich auf den Tisch und lächelt.
Zunächst einmal muss aber mit dem Wellholz der Ton für die Sederteller ausgebreitet werden. Noch ist er mausgrau, nach dem Brennen soll er einmal strahlend weiß sein. Lev und Svetlana Galper kommen gut voran – und haben Zeit zum Erzählen. Svetlanas Familie kommt aus Moldawien, wo es zu Zeiten der Sowjetunion oft schwierig war, öffentlich jüdisch zu leben. »Man hat mir auch nicht alles erklärt, was Jüdischsein bedeutet, aus Angst, dass ich es draußen weitersage.« Die Feiertage habe sie zum Beispiel nicht an ihren Namen erkannt, sondern an den Gerichten auf dem Esstisch. Hamantaschen an Purim zum Beispiel, oder eben die Speisen am Pessach-Abend.
Jetzt – in Deutschland – legt sie Wert darauf, dass auch ihr Sohn Lev von Anfang an mit den jüdischen Festen und Traditionen vertraut ist. Die Zutaten für den Sederteller kennt er schon.
Acht Eltern und zehn Kinder sind gekommen
Olga Berlin vom Forum jüdischer Bildung und Kultur in Stuttgart hat den Workshop in der Kunstschule organisiert. Sederteller, die man in Judaika-Läden kaufen oder im Internet bestellen kann, seien oft kitschig und unpersönlich, sagt sie. »Und die schöneren, mit Silber oder Gold, sind für viele unbezahlbar.« Daraus sei die Idee entstanden, eigene, persönliche Teller herzustellen. Und beim Töpfern können die Familien sich dann gleich darüber austauschen, was Pessach für sie bedeutet. Acht Eltern und zehn Kinder sind gekommen.
Feyga Kurzov hat gerade ein Ton-Würstchen ausgerollt und ihrem Papa Nochum gegeben, der daraus einen kleinen Ring formt. Am oberen Rand ihres Tellers, dort, wo meist die bitteren Kräuter liegen, ist noch ein Platz frei. Aber Nochum Kurzov legt den Ton-Ring ganz in die Mitte des Tellers. Warum? »Wir halten uns an den kabbalistischen Stil«, sagt er.
Indem der obere Rand frei bleibt, die Mitte des Tellers aber belegt ist, erinnert die Anordnung der sechs Speisen an die Anordnung der Sefirot in der unteren Hälfte des sogenannten kabbalistischen Lebensbaums. Auf seinem Handy zeigt Nochum das Foto einer traditionellen Seidentasche, einer »Mazzot-Tasche«. Seine Urgroßmutter habe darin früher die Mazzot für Pessach aufbewahrt. Und oben auf der Tasche sind die Umrisse ihres alten Sedertellers aufgestickt, den Nochum jetzt mit Ton nachstellen möchte.
Die Wochen vor dem Pessachfest sind für Nochum manchmal stressig, denn in der jüdischen Gemeinde von Stuttgart engagiert er sich als Maschgiach, hilft also dabei, die Küche koscher zu halten. In diesem Jahr ist das zum Glück kein Problem, da gerade eine neue Küche fertiggestellt wird. »Wir müssen nur aufpassen, dass die Bauarbeiter dort kein Chametz essen«, sagt Nochum und grinst.
Dasselbe gilt natürlich auch für die frisch getöpferten Sederteller, die von den Familien vor dem Brennen noch mit Tonfarben bemalt werden: Damit sie am Pessach-Abend verwendet werden können, dürfen sie zuvor nicht mit Gesäuertem in Berührung kommen.