Berlin

Der richtige Ansatz

Teilnehmer der Podiumsdiskussion in der Landeszentrale für politische Bildung: Josef Schuster, Petra Pau, Felix Klein und Thomas Heppener Foto: Uwe Steinert

Ein wenig hatte es den Anschein, als wollten sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion gegenseitig Mut zusprechen. Denn die Bilanz zum Thema Antisemitismus – zwei Jahre nach Veröffentlichung des Antisemitismusberichts des Bundestages und vier Jahre nach dem Start des Bundesprogramms »Demokratie leben« des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) – ist alles andere als ermutigend.

Auf dem Podium diskutierten Zentralratspräsident Josef Schuster, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke), der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sowie der Leiter des BMFSFJ-Referats für Demokratieförderung, Thomas Heppener, die Frage: »Herausforderungen im Kampf gegen Antisemitismus: Was wurde erreicht? Was ist zu tun?«

Zu der Veranstaltung in der Berliner Landeszentrale für politische Bildung in Berlin-Charlottenburg hatten die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), das ZWST-Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment und das Anne-Frank-Zentrum eingeladen.

Im Vergleich zu vor zwei Jahren stelle sich die Situation für Juden in Deutschland im Jahr 2019 erschreckender dar, sagte Josef Schuster.

In dem 2017 vom Expertenkreis Antisemitismus vorgestellten Bericht hatte es eine Reihe von Empfehlungen und Forderungen bezüglich Maßnahmen, Präven
tion und Bekämpfung gegeben. »Niemand ist davon ausgegangen, dass alle diese Punkte innerhalb eines Jahres umgesetzt werden«, sagte Zentralratspräsident Schuster. Der Bericht sei jedoch aktueller denn je. Denn im Vergleich zu vor zwei Jahren stellt sich die Situation für Juden in Deutschland im Jahr 2019 erschreckender dar, weil Antisemitismus heute »noch offener, noch deutlicher« zutage trete. Man traue sich wieder, »das zu sagen, was man lange Zeit gedacht und sich nicht zu sagen getraut« habe, so Schusters Einschätzung.

projekte Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass das aktive Angehen gegen Antisemitismus Zahlen liefert, »die uns alle erschrecken«. Hinzu komme eine »echte Zunahme« von Antisemitismus, wie die vor Kurzem vom Bundesinnenministerium vorgelegte Statistik zur politisch motivierten Kriminalität im Jahr 2018 nahelegt. Der messbare Anstieg von antisemitischen Straftaten um 20 Prozent verdeutliche dessen Zunahme.

Positiv wertete Schuster hingegen die rasche Einsetzung des Antisemitismusbeauftragten des Bundes, Felix Klein, infolge des Berichtes. Klein sagte, der Bericht und die darin enthaltenen konkreten Forderungen hätten dazu geführt, dass in der Öffentlichkeit ein Umdenken zum Thema Antisemitismus stattgefunden habe. Das sei ein großer Unterschied zum ersten Antisemitismusbericht, der keinerlei Beachtung gefunden habe, weder in der Öffentlichkeit noch im Bundestag, bekräftigte Schuster. Das sei bei dem zweiten Bericht ganz anders. Er habe sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Politik ein großes Echo gefunden – nicht zuletzt dank der Arbeit von Felix Klein.

Er wolle zeigen, dass Antisemitismus ein Problem der gesamten Gesellschaft sei, bekräftigte Felix Klein. Er sei dabei, die Forderungen des Expertenkreises Punkt für Punkt umzusetzen. Besonders hob er dabei die Schaffung einer Bund-Länder-Kommission – neben der bundesweiten Meldestelle RIAS und der Einsetzung von bislang zehn Landesbeauftragten – als eines der wichtigsten Projekte hervor. Klein erhofft sich davon ein entscheidendes Instrument zur Antisemitismusprävention. Denn Bereiche wie Bildung, Erziehung sowie Polizei- und Juristenausbildung liegen in der Zuständigkeit der Bundesländer.

Die Bund-Länder-Kommission kann als beschlussfähiges Gremium andere Institutionen in die Pflicht nehmen.

»Das geht nur, wenn die Länder an einem Tisch sitzen – als beschlussfähige Kommission, die andere Institutionen in die Pflicht nehmen kann«, sagte Klein. Da gehe es um Austausch von Erfahrungen und verbindliche Beschlüsse. Die Programme auf Bundesebene seien das eine, nun gehe es darum, die Länder stärker in die Pflicht zu nehmen. Denn in der Art und Weise, wie sich Antisemitismus zeigt, bestehe ein deutlicher Unterschied zwischen der Hauptstadt und ländlichen Bereichen, warf Josef Schuster ein. Auch zwischen den Bundesländern gebe es unterschiedliche Entwicklungen. Insofern sei die Bund-Länder-Kommission der richtige Ansatz.

zivilgesellschaft Pessimistischeres berichtete Petra Pau. »So wichtig die Öffentlichkeitsarbeit ist: Felix Klein braucht auch die Rückendeckung im Parlament, um eine Resonanz dorthin zu haben, wenn er seine Stimme erhebt«, betonte die Linke-Politikerin. »Wir müssen einen Punkt finden, das zu verstetigen, das heißt: sich des Problems als Querschnittsaufgabe bewusst zu sein – von Innen- bis Außenpolitik, von Bildung bis Justiz«, sagte Pau.

Die spannendste Frage bleibe: Welche Folgen haben Parlamentsbeschlüsse im richtigen Leben? Etwa, wenn der Bundestag sich – wie am vergangenen Freitag – nach drei Anträgen zu BDS positioniert. Manches dauere offensichtlich länger. Pau bezog sich hierbei insbesondere auf die dringend geforderte Überarbeitung von Schulbüchern und das Lehrerportal – auch eine Forderung aus dem Antisemitismusbericht.

»Wenn ein Lehrer sagt: ›Meine Schüler erfahren das erste Mal etwas über Juden, wenn im Geschichtsunterricht die Jahre 1933–45 behandelt werden – da ist es längst zu spät‹ – dann muss man hier ansetzen, den jungen Leuten jüdisches Leben heute zu vermitteln.« Es braucht laut Pau »eine Verzahnung zwischen politischen Institutionen und der Zivilgesellschaft, in der sich möglichst viele Menschen angesprochen fühlen«.

HOFFNUNG Dieses Thema griff Thomas Heppener auf. Es gebe viele gute und wirkungsvolle Projekte – übrigens auch als Folge aus dem ersten Antisemitismusbericht. Die Empfehlungen aus dem zweiten Bericht wirken sich insofern auf die Schwerpunktthemen der nächsten Förderphase im Umgang mit Antisemitismus aus, so Heppener, als sich nun Nachhaltigkeit und die von Pau geforderte Verstetigung bezahlt machen. »Denn viele Projekte sind eben keine Eintagsfliegen, sondern brauchen mehr Zeit.«

Demokratieprojekte sind keine Eintagsfliegen, sondern brauchen Zeit.

Derzeit fördert das Bundesfamilienministerium 18 Modellprojekte und will damit eine Strukturentwicklung begünstigen. Dabei gebe es auch zahlreiche Kooperationen, etwa mit ConAct – Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaus
tausch. »Es muss doch gelingen, auch besonders israelkritische Jugendliche nach Israel zu bringen«, so seine Überlegung.

In ein Beispielprojekt setzt Heppener besonders große Hoffnungen: »Jugend erinnert«, eine Initiative, bei der sich verschiedene Institutionen miteinander vernetzen, darunter Gedenkstätten, Theater, Gewerkschaften und Freiwillige Feuerwehr.

AUFGABEN Bei der Vielzahl an Projekten zur Antisemitismusprävention habe man jedoch ein Themenfeld »nicht genügend im Blick« gehabt, gibt Heppener selbstkritisch zu: die Verbindung von Antisemitismus und Rechtsextremismus. »Da sehe ich für 2020 unsere Aufgabe.«

Das Bundesprogramm werde immer wieder auch infragegestellt, berichtete Pet­ra Pau, insbesondere seitens der AfD. Demokratieförderung und -bildung sei eine Aufgabe, die »nie zu Ende geht«, gibt Pau abschließend zu bedenken – doch darin sind sich alle Beteiligten ohnehin einig.

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