Die richtige Wahl der »Arba Minim« – Hebräisch für »vier Arten« – ist eine ernste Sache. Denn durch den Erwerb der vier Bestandteile des rituellen Straußes, der an Sukkot zu den Gebeten geschüttelt wird, kann man nicht nur eine Mizwa, ein religiöses Gebot, erfüllen, sondern eine »Hidur Mizwa«, eine Verschönerung des Gebots.
Deshalb ist es Tradition, dass die Zitrusfrucht Etrog, die Myrtenzweige (»Hadassim«), die Zweige der Bachweide (»Arawot«) und der »Lulaw«, der Zweig der Dattelpalme, der dem gesamten Strauß seinen Namen gibt, vor Sukkot auf einem öffentlichen Markt angeboten werden. So können die Gläubigen die einzelnen Bestandteile genau in Augenschein nehmen.
Arba Minim
Zu den vielen Traditionen und Symbolen des Sukkotfestes gehört der Lulav, der Feststrauß, gebunden aus den sogenannten Arba Minim, vier sehr unterschiedlichen Pflanzenarten
In der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main gibt es einen solchen Arba-Minim-Markt seit 2017. »Wir haben dieses Jahr 130 Lulawim-Pakete bestellt«, erzählt Sarah Shabanzadeh, Assistentin des Gemeinderabbiners Julian-Chaim Soussan, die für die Organisation des Marktes verantwortlich ist. Zu den Kunden zählen sowohl Einzelpersonen als auch die jüdischen Einrichtungen der Stadt.
»Für den Einkauf arbeiten wir mit einem Schweizer Händler zusammen, mit dem wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben«, so Shabanzadeh. Am Markttag ist der Händler oder einer seiner Assistenten vor Ort in Frankfurt, um die Kunden bei der Auswahl der für sie passenden Arba Minim zu beraten – und dabei gibt es viel zu beachten.
Penibel So muss der Etrog ganz bestimmte Kriterien erfüllen: Er darf keine Flecken aufweisen, soll aber viele Hubbel haben, damit er sich äußerlich von einer einfachen Zitrone unterscheidet. Zudem braucht er eine vollendete Form, unten breit und nach oben konisch zulaufend. Ähnlich penibel sind die Vorschriften für Hadassim, Arawot und Lulaw. Das Wichtigste ist jedoch: Die Blätter müssen grün und gesund sein und dürfen keine Anzeichen von Vertrocknung aufweisen.
Von diesen Bedingungen abgesehen, hat die Wahl der eigenen Arba Minim auch eine individuelle Komponente. »Die einen mögen den Etrog eher gelb, die anderen eher grün, manche länglich und manche eher gestaucht«, erzählt Rabbiner Shmuel Segal von Chabad Lubawitsch in Berlin. Es komme bei dem Erwerb vor allem darauf an, »zu zeigen, dass es einem wichtig ist«, sagt der Rabbiner, der in seiner Gemeinde für die Organisation des Arba-Minim-Marktes zuständig ist. »Das ist wie ein kleines Happening«, beschreibt er das jährlich stattfindende Ereignis. Die Leute kommen in das Gemeindezentrum, sehen sich wieder, tauschen sich aus und fachsimpeln über die Qualität der angebotenen Ware.
Bei der Auswahl gibt es viel zu beachten.
In diesem Jahr stellte Chabad Berlin 250 Lulawim bereit. Trotz des Schmitta-Jahres, während dem in Israel viele Bauern ihre Felder brachliegen lassen, sei der Import der Arba Minim ohne größere Probleme möglich gewesen, erzählt Rabbiner Segal. Und dass es genug Lulawim für alle Interessierten gibt, ist von besonderer Bedeutung: »Es gibt eine Mizwa, dass jeder seine eigenen Arba Minim haben soll«, so der Rabbiner.
bestandteile Man könne sich den Lulaw auch von jemandem ausleihen, doch am besten sei es, selbst auf dem Markt die passenden Bestandteile zu erwerben. Dabei solle man »nicht einfach das Erstbeste, was man sieht, nehmen, sondern sich etwas besonders Schönes aussuchen«.
Über die Bedeutung dieses ungewöhnlichen Straußes haben sich jüdische Gelehrte in der Geschichte viele Gedanken gemacht, denn die Tora spart mit Erläuterungen: »Und ihr sollt euch am ersten Tage schöne Frucht eines Baums nehmen, Palmenzweige und Zweige von dicht belaubten Bäumen und Bachweiden, und sieben Tage lang fröhlich sein vor dem Herrn, eurem G’tt«, heißt es im 3. Buch Mose (23,40).
Aus diesem Satz wurden nicht nur die vier Bestandteile für den Lulaw abgeleitet, sondern auch eine ganze Symbolik entwickelt. So soll durch die unterschiedlichen Eigenschaften der vier Pflanzen ihre Gesamtheit für die Einheit des jüdischen Volkes stehen. Und während Etrog, Myrte und Dattelpalme in Israel, dem Heiligen Land, heimisch sind, wächst die Bachweide in vielen Gebieten auf der Welt, so wie die Juden in der Diaspora.
ORD Doch nicht jede jüdische Gemeinde in Deutschland hat die Mittel, einen eigenen Arba-Minim-Markt zu unterhalten. Damit dennoch jeder, der möchte, einen Lulaw erhalten kann, organisiert die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) seit über 20 Jahren vor Sukkot einen Versand der kostbaren Pflanzen. »Wir liefern größtenteils an Einzelpersonen, aber auch an kleinere Gemeinde, darunter auch einige liberale«, erzählt Israel Meller, Sekretär der ORD. Genug Ware für 900 Lulawim sind dieses Jahr bei ihm angekommen. Außer den Bachweidenzweigen, die aus England importiert wurden, kommen alle Bestandteile aus Israel.
Im Angebot sind: Kascher Le-Bracha, Mehadrin oder Mehadrin min Hamehadrin.
Mit einigen Helfern wurden die Pakete zusammengestellt und versandfertig gemacht. »Mit DHL haben wir ein besonderes Abkommen, damit sichergestellt ist, dass jeder garantiert rechtzeitig seinen Lulaw bekommt«, sagt Meller.
Trotz der hohen Inflation und den unter Druck stehenden Lieferketten musste die ORD die Preise für ihre Pakete in den vergangenen 20 Jahren nur moderat anheben. »Als wir damit angefangen haben, kostete die einfache Qualität 19,50 Euro, heute sind es 25 Euro«, berichtet Meller. Neben »Kascher Le-Bracha«, der simpelsten Variante, sind auch »Mehadrin« und »Mehadrin min Hamehadrin«, mit den feinsten Exemplaren der Arba Minim, im Angebot. Dann war es an den Gläubigen, die richtige Wahl zu treffen und den jeweils für sich perfekten Lulaw zu finden.