Ich wurde 1981 in der Nähe der israelischen Kleinstadt Raanana geboren. Dort bin ich gemeinsam mit zwei Geschwistern aufgewachsen, bis ich 20 war. Mein Vater kommt aus einer religiösen, meine Mutter aus einer säkularen Familie.
Dadurch gab es bei uns zu Hause immer eine Mischung: Einerseits aßen wir koscher, beachteten den Schabbat und durften an Jom Kippur nichts machen. Andererseits gingen wir in eine säkulare Schule, und alle meine Freunde kamen aus völlig säkularen Häusern. Ich fand diese Spannung schwierig als Kind, denn diese zwei Welten können miteinander nicht umgehen. Sie können nebeneinander existieren, aber nicht zusammen.
Als ich dann ungefähr 15 oder 16 Jahre alt war, habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich schwul bin. Das war sehr früh, normalerweise kommt das etwas später, aber ich habe es einfach gesagt. Es war keine einfache Sache, meine Eltern haben das damals nicht akzeptiert, sie brauchten ein paar Jahre. Aber das ist völlig in Ordnung. Ich kann das verstehen; es war vor 20 Jahren nicht so wie heute, dass Schwulsein in jeder Fernsehserie und jedem Film vorkommt, dass alles offen und normal ist.
vorbilder Die Gesellschaft, in der ich heranwuchs, war ein Macho-Staat, sehr patriarchal, sehr militant. Du musstest ein Soldat sein, du musstest stark sein, du musstest ein Mann sein – und deswegen hat es nicht so gepasst. Dementsprechend war das Coming-out keine einfache Sache, aber ich bin froh, dass ich es so früh gemacht habe, denn das hatte durchaus einen Einfluss darauf, wie es für mich weiterging: Meine Meinungen und Vorstellungen von der Welt habe ich in diesem Alter entwickelt.
Vorbilder hatte ich wenige. Im Internet konnte man im Chat mit Leuten sprechen, aber das war noch sehr begrenzt und musste heimlich geschehen, nachts. Dass das alles so geheim und begrenzt war, hat sehr viel beeinflusst. Wenn dein Konzept der Realität begrenzt ist, dann bist du auch begrenzt, selbst wenn die Welt offen und frei ist. Ich habe dann dennoch ein paar Freunde gefunden, speziell eine lesbische Freundin, und wir sind zusammen nach Tel Aviv gefahren, in die Großstadt, was sehr interessant war. Das war das erste Mal, dass ich mitbekommen habe, dass es überhaupt so etwas wie eine schwule Bar und ein schwules Café gibt, ich hatte ja keine Ahnung.
Mit 16 Jahren habe ich auch angefangen, nebenbei zu arbeiten: in Cafés, Restaurantküchen, Hotels, als Verkäufer. Mit 18, als ich mit der Schule fertig war, ging ich nicht zur Armee, sondern arbeitete weiter. Und mit 20 bin ich schließlich nach Tel Aviv umgezogen und habe dort ein neues Leben angefangen. Gearbeitet habe ich in vielen Bereichen, aber immer wieder auch in der Küche. Mein Ziel war es bereits damals, zum Film zu gehen, aber ich war noch zu jung und hatte keine Lebenserfahrung. Ich bin gereist, habe viel gearbeitet, war eine Zeit lang in Italien und wurde mit 24 Jahren an der Filmhochschule angenommen.
Sderot Die Hochschule befand sich in Sderot, im Süden Israels, direkt an der Grenze zum Gazastreifen. Sderot ist eine Einwandererstadt mit vielen Migranten aus Marokko, dem Kaukasus und Tunesien, deswegen ist es auch eine sehr arme Stadt. Und diese arme Stadt direkt an der Grenze zum Gazastreifen war die erste, die von dort aus angegriffen wurde und immer mitten in der Kampfzone lag. Ich habe fünf Jahre lang in dieser Stadt gelebt, in diesem militärischen Konflikt mit Raketen, Bunkern und Bombenalarm. Ich konnte das einfach nicht ertragen. Es ging dabei nicht um die Sicherheitssituation, sondern darum, wie die Gesellschaft reagierte. Aus Gewalt entsteht mehr Gewalt. Wenn es Krieg gibt, wollen alle noch mehr Krieg. Ich wollte weg davon.
So kam ich plötzlich im September 2009 mit einem studentischen Austauschprojekt und ohne jeden Plan nach Berlin – und blieb. Es war schönes Wetter, ich traf sehr nette Leute und hatte das Gefühl: Ich habe Luft. Damals war auch alles wahnsinnig billig, heute ist das vorbei. Damals war es möglich, ein bisschen Ruhe zu haben, ohne reich zu sein. Ich wusste zunächst gar nicht, was ich machen wollte, und habe ein paar Kurzfilme gedreht, die sehr erfolgreich wurden und auf Festivals Preise gewannen. Einen verkaufte ich sogar für den Vertrieb, das passiert normalerweise mit Kurzfilmen nicht. Mir war klar, dass ich weitermachen muss mit dem Film.
Dann begann ich, an meinem Spielfilm zu arbeiten, The Cakemaker, »Der Kuchenmacher«, der in diesem Jahr ins Programm des Jüdischen Filmfestivals Berlin & Brandenburg aufgenommen wurde. Die folgenden acht Jahre meines Lebens waren diesem Film gewidmet. Es war schwierig, ihn zu finanzieren. Also arbeitete ich, um ein bisschen Geld zu verdienen: im Catering, als »Private Chef«, der Leute zu Hause bekocht, und sogar als Cutter bei einem Pornofilm. Dann empfahl mir eine Freundin: »Ofir, du solltest eigentlich Kochkurse geben.« Ich ging zu einer Kochschule in Prenzlauer Berg und sah mir das Programm an. Sie hatten japanisches, chinesisches, amerikanisches Essen, aber es gab keine israelische oder palästinensische Küche. Also habe ich ihnen einen Kurs über das »Essen von Jerusalem, des Heiligen Landes, Israel, Palästina« angeboten. Diesen Kurs gebe ich mittlerweile seit sechs Jahren, bis heute.
zutaten Ich kann stundenlang über Essen reden. Und ich esse auch gerne. Ich koche, um zu essen. Und es hat auch etwas Emotionales, diese traditionelle Verbindung zur Familie, zum Zusammenhalt, zur Freundschaft. Gemeinsam kochen und gemeinsam essen. Die Idee dabei ist: etwas zu geben. Aber vor allem mag ich daran die Kreativität. Dass man Zutaten hat und etwas daraus macht. Und am Ende hat man einen Teller mit einem Gericht.
Filmemachen ist auch so: Man hat Zutaten und macht daraus etwas, das auf die Leinwand kommt. Ich kenne viele Filmleute und Künstler, die gerne kochen. Man braucht diesen Duft, diese Geräusche, Farben und Kreativität. In meinen Spielfilm The Cakemaker habe ich als Zutaten mein ganzes Leben hineingeschmissen und umgerührt. Die Liebe zum Backen, zu Berlin, Jerusalem, das Essen, Kochen, die sexuelle Identität, die dort etwas fließender ist, nicht schwul, nicht hetero, nicht bisexuell, sondern – anders. Auch die Verbindung von Religion, Tradition und Familie und die Entscheidung, nicht religiös zu sein; all das ist in meinem Film enthalten.
Es ist ein sehr persönlicher Film. Er erzählt von einem jungen Berliner Bäcker, Thomas, der eine Konditorei in Berlin betreibt. Einer seiner Stammkunden ist ein israelischer Mann aus Jerusalem. Er hat zu Hause eine Frau und ein Kind, aber wenn er einmal im Monat beruflich nach Berlin kommt, hat er eine Affäre mit Thomas. Ein Jahr später stirbt er bei einem Autounfall in Israel. Thomas fährt nach Jerusalem und beginnt, eine Beziehung zu der Witwe aufzubauen. Sie hat ein kleines Café in Jerusalem, und Thomas nimmt dort einen Job an, ohne ihr zu sagen, wer er ist.
Beeinflusst ist die Geschichte von einer wahren Begebenheit von jemandem, den ich kannte – er führte ein Doppelleben mit Frau, drei Kindern und einer schönen Arbeit, hatte aber einige Affären mit Männern. Irgendwann erhielt ich eine E-Mail von seiner Frau. Sie schrieb – von seinem E-Mail-Account, von dem er mir immer über seine Männer erzählt hatte –, dass er gestorben sei. Mir war klar, dass sie nach seinem Tod von seinem Doppelleben erfahren hatte. Ich wusste einfach, dass ich diese Geschichte irgendwann erzählen möchte.
Den Film zu drehen, war ein verrücktes Abenteuer – mit einer deutsch-israelisch-palästinensischen Crew und kleinem Budget. Es hat sich gelohnt. Als der Film fertig war, wurde er international ein riesiger Erfolg. Als wir in Karlovy Vary zehn Minuten Standing Ovations bekommen haben, die längsten in der Geschichte des Festivals, wussten wir: Wir haben es geschafft.
tradition Inzwischen haben auch meine Eltern den Film gesehen. Sie fanden ihn schön. Wir sind alle erwachsener geworden in den letzten 20 Jahren, auch meine Eltern. Damals waren sie schon erwachsene Menschen, aber sie mussten Dinge akzeptieren – das hat sie verändert. Die Gesellschaft hat sich verändert. Die Welt hat sich verändert. Alles hat sich verändert. Ich ebenso. Als junger Mann war ich sehr anti-religiös. Heute würde ich mich nicht als religiösen Menschen bezeichnen, aber ich habe viel mehr Verbindung mit der Tradition. Ich habe meinen eigenen Weg gefunden, damit umzugehen.
Als ich jung war, konnte ich die Feiertage nicht ertragen, aber heute sind sie Teil meines Alltags. Ich feiere Schabbat, Pessach, all diese wichtigen Ereignisse. Das ist ein Teil meiner Seele. Aber ich mache das auf meine Art. Niemand kann mir sagen, was richtig und was falsch ist.