Porträt der Woche

Der Kalligraf

Akiva Roszkowski war früher OP-Assistent und will jetzt Toraschreiber werden

von Christine Schmitt  17.02.2023 12:54 Uhr

»Mich zogen hebräische Buchstaben an, sodass ich mich auf den Weg machte, um Papier und Stifte zu kaufen«: Akiva Roszkowski (32) aus Bremen Foto: Kay Michalak / fotoetage

Akiva Roszkowski war früher OP-Assistent und will jetzt Toraschreiber werden

von Christine Schmitt  17.02.2023 12:54 Uhr

Die Pandemie hat mein Leben verändert – zum Guten. Seitdem weiß ich, was ich möchte. Und daran arbeite ich nun intensiv. Bis dahin war ich als OP-Pfleger eine gefragte Kraft und wurde von vielen Kliniken in ganz Deutschland gebucht, denn ich war bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt. Für mich war es normal, an einem weit entfernten Ort von meinem Zuhause im Operationssaal zu stehen und mich als Pfleger um die Patienten zu kümmern. Es gab Zeiten, da saß ich stundenlang im Zug, um in die Stadt oder an den Ort zu gelangen, wo ich die nächsten Tage im Einsatz war.

Doch mit der Pandemie änderte sich alles. Geplante Operationen wurden abgesagt, um die Betten freizuhalten, falls sie von Patienten gebraucht wurden, die schwer an Corona erkrankt waren. Infolgedessen bekam die Zeitarbeitsfirma weniger Aufträge, und ich wurde in Kurzarbeit geschickt. Eines Tages lag dann die Kündigung im Briefkasten – aus »wirtschaftlichen Gründen«.

Eigentlich hatte ich mich in meinem Beruf nie wirklich gut aufgehoben gefühlt. Dennoch fand ich es toll, ein Zahnrad im großen Uhrwerk eines Systems zu sein, das darauf ausgerichtet war, Menschen gesund zu machen. Das war im Grunde auch meine Hauptmotivation.

SAUKLAUE Nun hatte ich Zeit. Ich fing mit Kalligrafie an. Eigentlich habe ich eine Sauklaue und bewunderte immer andere, die schön schreiben können. Doch jetzt zogen mich die hebräischen Buchstaben an, sodass ich mich auf den Weg machte, um Stifte und Papier zu kaufen. Jede Sekunde nutzte ich, um zu üben. Die Technik habe ich mir allein angeeignet. Ganze Tage saß ich am Esstisch, und wenn ich als OP-Pfleger doch einmal verreisen musste, dann stieg ich in den Zug und malte im ICE oder im Hotel.

Mit der Zeit wurde ich immer besser, die Buchstaben nahmen eine elegantere Form an und wurden weicher. Ich fand die hebräische Schrift schon immer sehr faszinierend und habe mich gefragt, wie man so etwas lernt und wie lange es dauert, bis man diese Technik beherrscht.

Zugegeben, ich fing immer wieder an und hörte dann schnell wieder auf. Ich bin gewissermaßen ein Perfektionist. Wenn ich merke, dass mir etwas nicht so richtig gefällt, dann gibt es zwei Optionen: Entweder ich gestehe mir ein, dass ich es einfach nicht kann, oder ich versuche es so oft, bis es perfekt ist. So wollte ich erst einmal eine gewisse Perfektion erreichen, bevor ich mit meiner Kunst an die Öffentlichkeit ging.

Dabei habe ich auch gespürt, dass ich etwas Bleibendes schaffen möchte. Als OP-Pfleger hatte ich zwar eine große Verantwortung, aber es blieb nichts. Die Patienten wurden nach dem Eingriff im besten Fall auf eine andere Station verlegt, und ich habe sie nie wiedergesehen.

Da ich der einzige Religiöse in der Familie bin, kann es schon mal zu Streitigkeiten kommen.

Bis dahin war ich der Hauptverdiener in unserer Familie. Doch meine Frau hat auch bemerkt, wie belastet ich psychisch war: Dass ich meine Familie ständig für ein paar Tage verlassen musste, tat mir nicht gut. Die Kalligrafie war da ein Ausgleich. Sie beruhigte meine Seele.

haushalt Meine Frau hat mich dabei sehr unterstützt, indem sie schließlich wieder als Medizinische Fachangestellte und Mitarbeiterin im jüdischen Kindergarten das Geld verdiente und ich zu Hause bleiben, mich um den Haushalt kümmern und die Kinder genießen konnte.

Nun widmete ich mich also den Buchstaben der jüdischen Nationalhymne, der Hatikwa, und einiger Gebete. Ich fertigte ein paar Designs an, postete sie, erstellte eine Instagram-Seite und wurde bei Facebook aktiv. Aus aller Welt, aus Israel, Kanada, den USA, Südamerika und Polen kamen Anfragen.

Häufig inspirieren mich die Texte aus dem Morgengebet und natürlich aus der Tora und dem Talmud, aber auch Dinge aus dem Alltag. Zur »Hatikwa« wurde ich durch meine Tochter Dalyiah inspiriert. Sie spielte sie auf dem Klavier, und ich summte die Melodie vor mich hin, bis mir irgendwann der Gedanke kam, ein Bild davon zu machen.

BERUFUNG Eines Tages sah unser Rabbiner meine Kalligrafie. Ihm fiel mein Potenzial auf, und er gab mir den Rat, der Berufung zu folgen. Ich überlegte lange, aber schließlich spürte ich, dass ich etwas machen möchte, was ich mit meiner Religion verbinden kann. Gleichzeitig sollte es eine praktische Arbeit sein, die mit der geistigen Komponente in Einklang ist.

Die hebräischen Buchstaben finde ich so spannend, dass ich über jeden ein Buch schreiben könnte. Sie sind heilig und etwas Besonderes. Schließlich machte mich der Rabbiner auf die Ausbildung zum Toraschreiber, zum Sofer, am Chabad-Rabbinerseminar »Or Jonathan« aufmerksam.
So kommt es, dass ich mich nun in Hamburg im Rabbinerseminar zum Toraschreiber ausbilden lasse. Für mich heißt das, morgens um 6 Uhr die Wohnung zu verlassen und erst gegen 20 Uhr wiederzukommen. Von 8 bis 17 Uhr lerne ich im Seminar.

Es wäre bequemer für uns, in Hamburg zu wohnen, aber dort haben wir kein passendes Apartment gefunden.

Es wäre bequemer für uns, in Hamburg zu wohnen, aber dort haben wir kein passendes Apartment gefunden. Wir leben relativ zentral in einer Maisonette-Wohnung in Bremen. Unsere beiden Töchter teilen sich ein Zimmer, und auch unsere beiden Jungs werden demnächst gemeinsam in einem schlafen müssen, aber noch ist unser Jüngster erst ein paar Monate alt und braucht kein eigenes Zimmer.

Unsere Kleinen besuchen die jüdische Kita, und wir würden uns wünschen, dass es in Bremen auch eine jüdische Schule gibt. Vor der Schoa soll es eine gegeben haben.

Aus meiner Ursprungsfamilie bin ich der Einzige, der religiös ist. Meine Eltern haben ihre Wurzeln in Polen und Litauen. Sie kamen in den 90er-Jahren nach Deutschland. Hier wurde ich geboren. In der niedersächsischen Stadt, in der ich aufwuchs, gab es kein jüdisches Leben, nur ein paar jüdische Friedhöfe. Sie beweisen, dass es dort einmal eine Gemeinde gegeben haben muss. Da ich der einzige Religiöse in der Familie bin, kann es schon mal zu Streitigkeiten darüber kommen, was man darf und was nicht. Ich möchte mich eben an die Gesetze halten.

gebete Wenn ich heute im Zug in Richtung Hamburg sitze, nutze ich die Zeit zum Lernen, zum Lesen und um die Birchot HaSchachar zu rezitieren. Einen Teil der Gebete absolviere ich im Zug, den Rest später mit einem Minjan im Chabad-Haus in Hamburg.

Auch die Jüdische Gemeinde Bremen ist mir wichtig. Jeden Freitagabend besuchen meine Familie und ich den Gottesdienst, zu dem etwa 50 bis 70 Beter kommen. Am Schabbat bin ich ebenfalls in der Synagoge.

Ich habe meine Frau in Hannover kennengelernt, wo ich nach dem Fachabitur zur Ausbildung hingegangen war. Dort bin ich ihr zum ersten Mal begegnet. Seitdem sind wir zusammen. In dieser Zeit bin ich auch religiös geworden. Zur Hochzeit reisten wir nach Israel. Als wir unsere Ausbildungen abgeschlossen hatten, überlegten wir, wohin wir ziehen sollten. Eigentlich wissen wir bis heute nicht, warum es Bremen wurde. Ich hatte damals ein vermeintlich gutes Jobangebot angenommen, musste aber rasch feststellen, dass das ein Fehler war.

Biografien Mit meiner Ausbildung, der Kalligrafie und meinem Familienleben bleiben nur wenige freie Momente für mich. Manchmal spüre ich, dass ich wieder Sport machen sollte. Aber ich lese auch gern, derzeit gerade die Tales of Chassidim. Oder Biografien von Holocaust-Überlebenden, die religiös geworden sind. Hin und wieder packe ich auch gern meine Gitarre aus und begleite mich beim Singen. Die Kunst, meine Familie und mein Glaube machen mein Leben aus.

Interessanterweise bestellen viele Menschen, die überhaupt nicht religiös sind, meine Kalligrafien. Sie wollen anscheinend etwas Jüdisches in ihrer Wohnung haben.

Wenn ich eines Tages gestorben bin – hoffentlich erst mit 120 –, dann gibt es danach trotzdem noch meine Werke. Die Kalligrafien können immer weitergegeben werden. Ich habe mir den Wunsch erfüllt, etwas Bleibendes zu schaffen, etwas in der jüdischen Welt zu bewegen und etwas zurückzugeben. Es macht mir eine unglaubliche Freude und bewegt mein Herz, wenn ich sehe, dass Menschen, egal in welcher Verbindung sie zum Judentum stehen, Interesse an meiner Kunst haben. An etwas, das ich mit meiner Hand geschaffen habe.

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