Expertenrunden, in denen es um Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Judentum, Christentum und Islam geht, gibt es viele. Auch Fachforen, die sich mit Antisemitismus in Christentum und Islam beschäftigen. Aber dass Menschen, die in Deutschland diese drei Religionen praktizieren, über ihre Erfahrungen und ihren Umgang miteinander sprechen, kam bisher kaum vor.
»Schalom Aleikum« heißt eine im Juli gestartete Veranstaltungsreihe des Zentralrats der Juden, die einen Rahmen für Begegnungen jenseits der Funktionärsebene schaffen soll. In mehreren Gemeinden in ganz Deutschland tauschen sich vor allem Juden und Muslime, aber auch Christen in moderierten und anschließend offenen Gesprächen aus.
Den Start bildete eine Begegnung zwischen jüdischen und muslimischen Unternehmern in Berlin.
Den Start bildete eine Begegnung zwischen jüdischen und muslimischen Unternehmern in Berlin. Die Rolle des Gastgebers der zweiten Station übernahm vergangene Woche das jüdische Gemeindezentrum in Würzburg und Unterfranken »Shalom Europa«. Diesmal waren christliche, jüdische und muslimische Familien eingeladen.
traditionen Mütter und Kinder der Würzburger Familien Grinbuch, Sen und Tissen erzählen in einer von der Journalistin Ilanit Spinner moderierten Runde, wie es ihnen in Deutschland mit ihrer Religionszugehörigkeit ergeht. Teil der Diskussion waren auch Vorurteile und Anfeindungen in Bezug auf ihren Glauben und ihre Traditionen.
»Wir fangen bei uns zu Hause nicht gleich morgens an zu beten«, sagt die zwölfjährige Muslimin Sirin Sen, »aber wir gehen manchmal in die Moschee, vor allem zu den Festen.« Ihre besten Freundinnen seien eine Buddhistin und eine Christin. Dass wegen ihrer Religion »jemand etwas Blödes oder Böses« zu ihr gesagt habe, sei ihr bislang nicht passiert.
Auch Etel Grinbuch, Jüdin und ebenfalls zwölf Jahre alt, erzählt, dass sie bislang keine negativen Reaktionen in ihrem Umfeld erlebt hat. »Nur einmal hat mich ein Klassenkamerad erstaunt angestarrt, nachdem er erfahren hatte, dass ich Jüdin bin.« Sonst gebe es nur Christen und Muslime in ihrer Klasse. Mit ihrer Familie besucht sie an den jüdischen Feiertagen die Gottesdienste in der Synagoge. Auch die Angebote für Kinder und Jugendliche in der Gemeinde nutzt sie. »So vergisst man nicht, wer man ist«, sagt sie.
toleranz Dennis Tissen wiederum ist Mitglied einer evangelischen Kirchengemeinde in Würzburg, in der sich auch seine Mutter Swetlana Tissen engagiert. Danach befragt, was »typisch jüdisch« sei, lautet ihre Antwort: »Gute Musik, Bildung und Toleranz.«
»Herzlichkeit, guten Tee und den Respekt vor älteren Menschen« hält Etels Mutter Lena Grinbuch für spezifische Eigenschaften des Islam. »Christen scheinen gern zu singen«, findet Sirin Sen und erinnert sich an ihre Zeit in einem kirchlichen Hort.
Hetze »Juden sind an allem schuld«, »Moslems sind einfach nur dumm und brutal«, »Christen sind Fremdbürger« – so lauten Äußerungen über Angehörige der drei Religionen im Internet, mit denen die Mütter und Kinder sowie die anderen Gäste vergangene Woche in Würzburg konfrontiert wurden.
Die nächste Begegnung findet Ende des Monats in Leipzig statt.
»Solche Ansichten vertreten nicht nur kleine Minderheiten. Man sollte das nicht unterschätzen«, sagt Michél Schnabel, islamischer Religionslehrer an Schulen in Würzburg und Unterfranken und engagiert im Verein »Selam Mainfranken«.
wertschätzung Zeynep Sen, die Mutter von Sirin, sieht die Mitmenschen mehr in der Verantwortung, Vorurteilen und pauschaler Hetze zu widersprechen. Zugleich wünscht sie sich, dass der Pluralismus stärker in der Gesellschaft sichtbar wird. Beispielsweise sollten Kinder auch jüdische und muslimische Lehrer haben. »So zeigt sich die Normalität, dass hier Menschen verschiedener Religionen leben.« Sen selbst ist der Meinung, dass eine Wertschätzung der eigenen Religion gerade Grundbedingung für die Achtung Andersgläubiger sein kann.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, betont, dass es in Würzburg bereits positive Erfahrungen mit dem interreligiösen Dialog gebe. So sei seit der Eröffnung des Gemeindezentrums Shalom Europa das Interesse in der Bevölkerung am Judentum stark gewachsen. Aber auch am jährlichen Tag der offenen Moschee gebe es großen Zulauf in Würzburg.
Pfarrerin Angelika Wagner, evangelische Religionslehrerin an der David-Schuster-Realschule in Würzburg, beklagt, dass in der Politik in Bezug auf Religionen oft polarisiert werde. »Um religiöse Vielfalt, und wie diese im Alltag aussieht, geht es nicht.«
Religion Während die Mehrheit der christlichen Kinder in Deutschland wenig religiöse Prägung hat, sind ihre muslimischen Altersgenossen im Durchschnitt stärker mit ihrer Religion verbunden. Dass inzwischen oft auch Lehrer der Spiritualität an Schulen einen berechtigten Raum absprechen, hält Michél Schnabel für problematisch. Er sieht keine Alternative zu einem bekenntnisorientierten Unterricht, etwa in Form eines Faches Ethik.
Peter Mierau, Lehrer am Würzburger Röntgen-Gymnasium, berichtet, dass an seiner Schule acht bis neun Religionen vertreten sind, ebenso ein deutlicher Anteil Konfessionsloser. Um einzelne Gruppen nicht zu benachteiligen, sei der Ethikunterricht auf den Vormittag verlegt worden. Viele ihrer Klassenkameraden seien überhaupt nicht religiös, sagen Lea Wiesemann und Lena Unger.
Die beiden 15-Jährigen gehen in die neunte Klasse der David-Schuster-Realschule. Lea Wiesemann hat sich bewusst für die Konfirmation entschieden und arbeitet in ihrer evangelischen Gemeinde in der Kinder- und Jugendarbeit mit.
gesprächsbedarf Aus Sicht von Gudrun Dandekar, Mitglied einer katholischen Kirchengemeinde, ist das bewusste Christentum in der Gesellschaft rückläufig. Auf Religion an sich trifft das im pluralistischen Westeuropa jedoch keineswegs zu. So hat Gudrun Dandekars Mann Thomas, ein Wissenschaftler, unter seinen Kollegen praktizierende Christen, Juden, Muslime, Hindus und Buddhisten. Aber auch da scheint es manchmal Gesprächsbedarf zu geben.
Der nächste Dialog im Rahmen von »Schalom Aleikum« findet am 29. August in Leipzig mit jüdischen und muslimischen Frauen statt.