Justiz

Der Gesellschaft überlassen

Charlotte Knobloch (r.) bei der Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindezentrum am 9. November 2003. Foto: Astrid Schmidhuber

Der im Mai 2005 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilte Neonazi Martin Wiese steht kurz vor der Haftentlassung. Wiese und drei weitere Mitglieder der rechtsextremistischen »Kameradschaft Süd« erhielten wegen eines geplanten Anschlags bei der Grundsteinlegung für das Jüdische Gemeindezentrum teils hohe Haftstrafen. Am 8. September soll der 35-jährige Rädelsführer der Gruppe als letzter der Verurteilten aus dem Gefängnis entlassen werden. Das bestätigte Justizsprecherin Margarete Nötzel der Jüdischen Allgemeinen. Dann trete unmittelbar die vom Oberlandesgericht München angeordnete fünfjährige Führungsaufsicht in Kraft, die auf Antrag der Staatsanwaltschaft zum Schutz vor gefährlichen Straftätern und zur besseren Resozialisierung verhängt wird. Wiese muss sich bis 2015 von seinen Kumpanen aus der rechtsextremen Szene fernhalten und sich den Weisungen eines Bewährungshelfers fügen.

BLUTMEER Im Juli 2010 folgte das Gericht mit der Festsetzung der Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre dem Antrag der Staatsanwaltschaft. »Eine fünfjährige Führungsaufsicht ist ganz normal«, sagt Nötzel. Daraus könne man schließen, dass die Staatsanwaltschaft keine Gefahr für die Öffentlichkeit mehr sehe. Andernfalls wäre statt dieses »08/15-Antrags« wohl um Sicherungsverwahrung ersucht worden. »Seine Äußerungen und Handlungen in der Vergangenheit und Gegenwart beweisen, dass die Resozialisierung des Neonazi-Terroristen Wiese nicht gelungen ist«, sagt Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. »Allein der Polizei haben wir es zu verdanken, dass sein Plan, die Grundsteinlegung für das jüdische Zentrum in ein Blutmeer zu verwandeln, nicht gelungen ist«. Nach seiner Freilassung habe jetzt wieder die Polizei die undankbare Aufgabe, diesen verbrecherischen Rädelsführer davon abzuhalten, sein mörderisches Unwesen zu treiben. Knobloch appelliert an die Gesellschaft, durch spontanes Eingreifen die Beamten zu unterstützen. »Für diese Neonazis und ihr braunes Gedankengut ist in unserer demokratischen Gesellschaft kein Platz.«

SPRENGSTOFF Bei der Urteilsfindung vor sieben Jahren ging das Gericht davon aus, dass die Angeklagten Mitglieder der terroristischen Vereinigung »Schutzgruppe« waren. Diese hatte Wiese als Leiter des »Aktionsbüros Süd« gegründet. Der aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Wiese führte jene Gruppe an, die zunächst eine grundlegende Veränderung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland in rechtsnationalem Sinne anstrebte. Diese Zielsetzung änderte sich mit der Zeit. Nunmehr sollte das freiheitlich demokratische System beseitigt und »unter Einsatz von Waffen und Menschenleben« eine Staatsordnung nationalsozialistischer Prägung eingeführt werden. Neben anderen Voraussetzungen hinsichtlich der Struktur der Gruppe erkannte das Gericht in dieser Absicht das Wesen der terroristischen Vereinigung. Martin Wiese war die treibende Kraft hinter der Zielvorgabe und der geplanten Umsetzung. Ab April 2003 beschafften sich die Mitglieder der Schutzgruppe scharfe Waffen nebst Munition sowie erhebliche Mengen TNT. Mit dem Sprengstoff wollten sie Anschläge verüben. So war unter anderem geplant, die Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums am 9. November 2003 zu verhindern. Am 6. September 2003 wurde Wiese festgenommen.

Zwar konnte der Staatsschutzsenat des Gerichts keine hinreichende Konkretisierung der Pläne erkennen. Die Richter betonten aber, dass die von Wiese nach SA-Vorbild gegründete Schutzgruppe zu einer »blutigen Revolution« entschlossen gewesen war. Im Verlauf des siebenmonatigen Verfahrens, in dem die Bundesanwaltschaft die Anklage führte, knickten mehrere Beschuldigte ein. Sie gestanden die Pläne und sagten aus, Wiese habe den Sprengstoff für das Attentat beschafft. Anders als seine Mitangeklagten, deren Geständnisse sich strafmildernd auswirkten, bestritt Wiese die Vorwürfe.

Reststrafe Noch im Frühjahr 2008 lehnte der Senat einen Antrag des Verurteilten ab, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Dies sei unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten, heißt es in der Begründung. Die für eine Reststrafenaussetzung erforderliche günstige Prognose könne nicht gestellt werden. »Angesichts des erheblichen Gefährdungspotenzials der begangenen Straftaten«, erläuterte seinerzeit Justizsprecherin Nötzel, »setzt eine günstige Prognose Tatsachen voraus, die sicherstellen, dass der Verurteilte seine charakterlichen Defizite soweit behoben hat, dass er künftigen Tatanreizen widerstehen kann«. Allein der Wille, sich künftig an Gesetze zu halten, genüge nicht. Erforderlich wäre eine günstige Entwicklung von besonderem Gewicht während des Vollzugs gewesen. Die hierfür maßgebliche Aufarbeitung des Tatunrechts und der bestehenden persönlichen Defizite im Sinne eines dauerhaften charakterlichen Wandels vermochte der Senat bei Wiese nicht zu erkennen: »Seine politische Einstellung ist nach wie vor von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt«. Eine Distanzierung hiervon sei während des Strafvollzugs nicht erfolgt. »Daher ist zu befürchten, dass der Verurteilte in Tatanreiz bietenden Gelegenheiten erneut einschlägig strafrechtlich in Erscheinung treten wird«, befand das Gericht vor zwei Jahren. In wenigen Tagen wird Wiese ein freier Mann sein.

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