Wir erwarteten einen Rabbiner mit einem langen Bart, und es kam ein englischer Gentleman», beschreibt Valeriy Bunimov in dem Film Rabbi Wolff, den Britta Wauer 2016 über den in London lebenden Rabbiner gedreht hat, sein erstes Treffen mit William Wolff.
In einem Alter jenseits der 50 hatte sich Wolff den Wunsch erfüllt, den er als 16-Jähriger seiner Lehrerin auf ihre Frage, was er werden wolle, anvertraut hatte: «entweder Rabbiner oder Journalist».
Talkrunde Weil sich die Familie die kostspielige Ausbildung zum Rabbiner nicht leisten konnte, begann William Wolff 1944, zunächst als Journalist zu arbeiten. Rund 35 Jahre schrieb er vor allem für den «Daily Mirror». In den 60er- und 70er-Jahren war er häufig im «Internationalen Frühschoppen», einer Talkrunde zwischen Journalisten zu aktuellen politischen Themen, zu Gast.
Schließlich machte er «alles Geld locker», auch aus Versicherungen und Altersvorsorge, um mit dem Geldpolster ungestört das Rabbinatsstudium aufnehmen zu können. «Als Journalist war ich schließlich nur Beobachter, und ich hatte immer den Wunsch, auch etwas zu tun in der Gesellschaft.»
Ordination Nach seiner fünfjährigen Ausbildung am Leo Baeck College und der Ordination 1984 wirkte William Wolff 16 Jahre als Rabbiner in verschiedenen jüdischen Gemeinden in Großbritannien, unter anderem auch in Wimbledon, wo, wie er der Jüdischen Allgemeinen erzählte, die Gäste des Tennisturniers schon einmal den Parkplatz der Synagoge benutzen durften.
1997 hatten die beiden jüdischen Gemeinden in Schwerin und Rostock William Wolff anlässlich der jährlichen Gedenkfeierlichkeiten zum 9. November eingeladen. Der Kontakt blieb bestehen. 2002 trat Wolff, der sich gern einmal «veränderte, wenn ihm etwas zu gleichförmig wurde», das Amt des Landesrabbiners in Mecklenburg-Vorpommern an und pendelte fortan zwischen London und Schwerin. Damals war er 75.
Er liebte die Mecklenburgische Landeshauptstadt, lobte ihre Kultur und die Bauten. Als 2008 auf historischem Grund eine Synagoge gebaut wurde, beschrieb er sie als «architektonisch ein kleines Meisterwerk, das ein wunderbarer Zusatz zu dem schon enormen Bauschatz der Stadt Schwerin ist». Er konnte sich für vieles begeistern und steckte mit seiner Euphorie seine Umgebung unmittelbar an.
Rabbi Wollf war Ehrenbürger von Schwerin und Rostock.
Die Stadt machte ihn ihrerseits Anfang 2014 zu ihrem Ehrenbürger. Bei der Feier bekannte er, das berühmte Zitat des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy aus seiner Rede 1963 vor dem Schöneberger Rathaus abändernd: «Ich bin ein Schweriner.» 2017 verlieh ihm auch Rostock die Ehrenbürgerschaft.
Für sein gesellschaftliches Engagement erhielt William Wolff 2006 in Neubrandenburg den Siemerling-Sozialpreis, die Theologische Fakultät der Greifswalder Universität verlieh ihm im selben Jahr die Ehrendoktorwürde. 2007 wurde William Wolff mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet, und die Union progressiver Juden ehrte den liberalen Rabbiner mit dem Israel-Jacobson-Preis.
Berlin Als Rabbiner pflegte Wolff den liberalen Ritus, dabei wurden William (Wilhelm) Wolff und sein Zwillingsbruder Joachim am 13. Februar 1927 in einer orthodoxen Berliner Familie geboren. Die Wolffs erkannten frühzeitig die Bedrohung durch die Nazis und emigrierten im Herbst 1933 zu fünft – es gehörte noch die ältere Schwester Ruth dazu – zunächst in die Niederlande. Sechs Jahre später, mit Kriegsbeginn, flohen sie nach Großbritannien.
Trotz des Entrissenseins von Heimat und Verwurzelung bezeichnete sich Wolff immer als Optimist. «Ich nehme an, der Optimismus ist angeboren, er gehört einfach zu mir. Woher er kommt, ich habe keine Ahnung, aber ich bin sehr froh und sehr dankbar, dass er da ist.» Doch solange er es noch konnte, besuchte er regelmäßig seine verschiedenen Heimstätten – auch, «um sich ihrer zu vergewissern»: Berlin, Amsterdam oder seine orthodoxe Familie mit Cousinen, Nichten und Neffen in Israel.
Zuversicht Seine zuversichtliche Einstellung übertrug er auch auf seine Umgebung. «Man fühlt sich bei ihm gut aufgehoben, er hat keine falschen Seiten, und ich muss bekennen, ich bin auch gefangen von seinem Lächeln. Das hat eine besondere Qualität – Humor und Zufriedenheit. Ich mag ihn einfach», beschrieb Henry G. Brandt seinen Freund William Wolff einmal.
«Ich bin einfach nur ein Rabbiner, der mit Trauen und Trauer zu tun hat», fasste der kleine zarte Mann den Sinn seines Lebens einmal zusammen. Dieses Leben führte er jedoch gespickt mit viel Humor. Bei einem Vortrag im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit erzählte er einmal, was Schabbatruhe für ihn bedeutet. Er sei leidenschaftlicher Autofahrer, am Schabbat lasse er den Wagen wohl oder übel stehen, so weh es ihm tue. Er erntete Lacher.
Vorträge Innerhalb kürzester Zeit hatte sich William Wolff in Mecklenburg-Vorpommern einen Namen gemacht. Sein Wort, seine Ansichten waren in Schulen ebenso gefragt wie in Kirchen, bei Vorträgen und in politischen Diskussionen. «Es scheint mir doch wichtig, besonders wegen unserer Vergangenheit mit zwei Diktaturen, in beiden war Religion und besonders Judentum ja nicht gern gesehen, dass sich jetzt Religion wieder positiv in der Gesellschaft bemerkbar macht», begründete er seine Stellungnahmen.
Im Frühjahr 2015 ging William Wolff in Rente, nicht gern, er wollte immer etwas tun, und so bedeutete sie für ihn lange noch keinen Ruhestand. «Ich habe leider keine Ehefrau, keine Kinder und Enkelkinder, und irgendetwas muss ich in nützlicher Weise noch mit meiner Zeit anfangen.» Die jüdischen Gemeinden seien eben seine Familie.
Der Rostocker Gemeindevorsitzende Juri Rosov sah in dem Rabbiner einen «weisen Mann, der ausgleichen könne zwischen liberalen und orthodoxen Strömungen innerhalb der Gemeinde, zwischen jungen und alten». Rabbi Wolff hatte noch im hohen Alter etwas Russisch gelernt, um wenigstens die Seitenzahl der Textstelle ansagen zu können, aus der gerade gelesen wurde.
menschenfreund William Wolff betonte immer, wie viel Freude er am Umgang mit Menschen hat: «Ohne das kann ich mir mein Leben eigentlich nicht vorstellen. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum ich nicht Schriftsteller geworden bin, weil es so einsam ist.» Und diese Menschenfreude strahlte er aus, er lachte gern, und dieses Lachen war ansteckend.
Die Gemeindemitglieder danken William Wolff »für seine menschliche und aufgeschlossene Art«.
Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern trauert um seinen langjährigen Landesrabbiner. «Wir Jüdinnen und Juden aus Mecklenburg-Vorpommern sind Landesrabbiner William Wolff auf immer dankbar für seine menschliche und aufgeschlossene Art, uns, die mehrheitlich erst in Deutschland zu unseren jüdischen Wurzeln finden konnten, das Judentum nahezubringen, geduldig zu erklären, mit uns gemeinsam unsere Gemeinden stabil und kräftig für die Zukunft zu machen», sagte der Vorsitzende des Landesverbandes, Valeriy Bunimov, als er von Wolffs Tod hörte.
«Mit seiner Offenheit und großen Erfahrung trug Rabbiner Wolff erheblich zur Verständigung zwischen Juden und Nichtjuden bei», erklärte der Zentralrat der Juden in Deutschland. Mit seinem Charme und seinem Humor habe Wolff auch Skeptiker überzeugt.
William Wolff starb am 8. Juli im Alter von 93 Jahren in London.