Wenn die Synagoge so voll ist wie an den Hohen Feiertagen, aber statt Beten, Bitten und Büßen Lichter, Lachen und Latkes auf der Tagesordnung stehen, dann ist Chanukka. Denn schließlich ist es quasi Pflicht, ausgelassen zu feiern: Das Ende der Seleukidenherrschaft, die Einweihung des zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem, und dann auch noch das mirakulöse Tröpfchen Restöl, das acht Tage lang brannte, bis neues geweihtes Öl hergestellt war – die Geschichte von Chanukka ist eine des Triumphs auf ganzer Linie. Das Sinnbild des Nes gadol – des großen Wunders – schafft es alljährlich bis auf den Vorplatz des Weißen Hauses in Washington: Dort erstrahlt regelmäßig eine große Chanukkia.
Tradition Und auch die Hessen haben ihre öffentlichen Leuchter. In Städten, in denen Chabad Lubawitsch beheimatet ist, wie etwa in Offenbach und in Frankfurt. In der Mainmetropole ist es bereits Tradition, dass Chabad eine riesige Chanukkia auf dem Balkon der Alten Oper platziert.
Wo sonst die Prominenz auf dem Weg zum »Ball des Sports« flaniert, findet die öffentliche Chanukkafeier mit Entzünden der Kerzen, Gesang und Tanz statt. Es gibt Ölgebäck, Getränke und Geschenke für die Kinder. Und da das Lichterzünden in diesem Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag stattfindet, wird die Wortschöpfung »Weihnukka« so zutreffend wie selten sein.
Auch die Jüdische Gemeinde Kassel feiert am 25. Dezember, und das mit voller Absicht: »Wir wollen ein wenig vom christlichen Weihnachtsfest ablenken«, gibt Vorstandsmitglied Esther Haß freimütig zu. Denn viele Einwanderer hätten, so habe sie beobachtet, aus Gewohnheit auch nach vielen Jahren in Deutschland einen Weihnachtsbaum zu Hause stehen. »Sie sind eben nicht mit jüdischen Riten aufgewachsen«, sagt Haß.
Nachwuchs Umso zufriedener blickt sie auf den Nachwuchs, der im Religionsunterricht tüchtig übt, um in der Synagoge vorsingen zu können, wenn gemeinsam das sechste Licht entzündet wird. Zudem veranstaltet die Jüdische Gemeinde in Kassel zum Lichterfest ein Konzert und »vielleicht sogar noch eine kleine Tombola«, berichtet Haß. Zum Abschluss gibt es, wie auch in den andere Gemeinden, Fettgebackenes: Latkes (Kartoffelpuffer) oder Sufganiot (Berliner, Pfannkuchen).
Die Angebote kommen gut an: An Chanukka ist die Kasseler Synagoge meist proppenvoll. »Manchmal müssen wir sogar Leute abweisen«, bedauert Haß. Für die Mitglieder aus der nordhessischen Provinz, die eigens aus Treysa, Bad Wildungen oder Eschwege anreisen, werden freilich immer Sitzplätze freigehalten.
Auch in Darmstadt feiert die Jüdische Gemeinde in ihrer Synagoge. Allerdings werden die Südhessen bereits das dritte Licht gemeinsam entzünden. Die Kinder, die derzeit noch fleißig im Religionsunterricht ihr Chanukka-Theaterstück proben, werden wohl besonders aufgeregt sein. Aber auch belohnt: Bei den Feiern zum Ölwunder in Frankfurt, Kassel und Darmstadt gibt es – wie auch in vielen anderen Synagogen – Geschenke für den Gemeindenachwuchs. Und zu Hause dann meist noch mehr: Schließlich sollen die Jüngsten ihren christlichen Altersgenossen nicht neidvoll auf die Päckchen blicken müssen.
Was und wie In den jüdischen Kindergärten und in der Isaak-Emil-Lichtigfeld-Schule geht es nicht um Wunschlisten, sondern um die Chanukkageschichte. Und darum, wie man das Fest »richtig« feiert. Ob die Kerzen von rechts oder links entzündet werden, welche Gebete man dabei spricht, welche Buchstaben auf dem Dreidel sind und bei welchem Schriftzeichen man sich wie viele Nüsse nehmen darf.
Bereits seit Wochen entstehen in Handarbeit Leuchter, Dreidel und andere Bastelarbeiten. Die Kinder üben Lieder ein und proben für verschiedene Aufführungen. Schließlich hat jede Schulklasse ihre eigene Feier, zu der stets auch die Familien und Freunde eingeladen sind. Die Eingangsstufe und die Erstklässler werden vor dem gemeinsamen Schmaus auf der Bühne des neu gestalteten Gemeindesaals auftreten und die etwas Älteren erproben sich in den Klassenzimmern an Bastelstationen.
Quiz Originell feiert in diesem Jahr die Oberstufe: Mit Unterstützung des Pädagogischen Zentrums Frankfurt, des Fritz Bauer Instituts, des Jüdischen Museums und der Judaica Europeana werden die Acht- und Neuntklässler das Quiz »Wer wird Millionär« spielen – angemessen mit Fragen zum Fest, zum Judentum und zur jüdischen Geschichte. Moderatoren sind Manfred Levy und Alexandra Weinschenker vom »Pädagogischen Zentrum«.
In diesem Jahr muss in der Lichtigfeld-Schule allerdings vorgefeiert werden: Denn wenn am 20. Dezember abends die erste Kerze gezündet wird, haben die Hessen ihren letzten Schultag bereits hinter sich. So wird der Geruch von Latkes und Sufganiot schon in der Woche vor Chanukka durchs Schulgebäude ziehen.
Damit noch möglichst wenige Gemeindemitglieder in den Winterurlaub entschwunden sind, wenn das traditionelle Lichterzünden in der Westend-Synagoge stattfindet, feiern die Frankfurter gleich am ersten Abend (18 Uhr). Und wem das nicht temperamentvoll genug ist, kommt am nächsten Tag zur Chanukkafeier des Jugendzentrums: Die findet – nomen est omen – im »Halligalli« statt.