Seit der zweiten Klasse wusste ich, dass ich Lehrerin werden will. Heute arbeite ich an einer Grundschule in Dortmund, mehr als 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund, etwa die Hälfte von ihnen ist nicht in Deutschland geboren. Der Dialog steht für mich im Vordergrund – zwischen Religionen, Kulturen und Generationen. Dieses Brückenbauen ist mir sehr wichtig. Angesichts meines Berufes und meines Engagements in der Gemeinde ist für mich die Geschichte der Einwanderung sehr zentral. Ohne diese Geschichte wäre ich nicht diejenige, die ich heute bin.
Geboren wurde ich in Moskau. Mit fünf Jahren, das war 1995, kam ich mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder nach Deutschland, meine Schwester wurde dann 1998 hier geboren. Meine Eltern hatten sich zu diesem Schritt der Auswanderung aufgrund von vielen antisemitischen Erfahrungen in der ehemaligen Sowjetunion entschieden. Ihnen lag am Herzen, das jüdische Leben in Deutschland mit aufzubauen, ein Teil davon zu sein.
jugendzentrum Seitdem lebe ich in Dortmund und bin in der Gemeinde hier gewachsen. Jugendzentrum, Religionsunterricht, Madricha, Leiterin des Jugendzentrums, später habe ich den jüdischen Studentenverband in Dortmund gegründet. Dann wurde ich mit 25 Jahren in die Gemeindevertretung gewählt. Mein Schwerpunkt sind die Themen Kinder, Jugend und Studenten. Seit einem Jahr bin ich nun im Vorstand der Jüdischen Gemeinde Dortmund. Mein Metier ist die Pädagogik. Das Miteinander der verschiedenen Strömungen in der Gemeinde interessiert mich, ebenso der interreligiöse Dialog.
Der andere Teil meines Lebens ist mein Beruf. Ich hatte selbst eine ganz tolle Grundschullehrerin, als ich nach Deutschland kam. In den 90er-Jahren war man hier noch nicht so sensibel für Kinder mit Migrationshintergrund. Zweisprachigkeit spielte noch keine Rolle. Diese Lehrerin jedoch inspirierte mich.
Seit meiner Grundschulzeit wollte ich dann auch Lehrerin werden. Eine Grundschullehrerin für Kinder mit Einwanderungsgeschichte und anderem kulturellen Hintergrund, um ihnen mithilfe von Bildung eine erfolgreiche Integration und einen sozialen Aufstieg in Deutschland zu ermöglichen. Deshalb habe ich neben meinem Lehramtsstudium eine Ausbildung zur Lehrerin für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und eine Zusatzqualifikation als Förderlehrerin mit einem sprachlichen Schwerpunkt gemacht.
Stipendiatin Ich selbst war Stipendiatin der gemeinnützigen Hertie-Stiftung speziell für Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund. Hier wurde gefördert, dass mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund an Schulen gehen, um im übertragenen Sinne Brücken für die Schülerinnen und Schüler zu schaffen.
Die finanzielle Förderung war dabei sekundär, es ging eher um die ideelle Förderung, die ich dadurch erhalten habe. Wir hatten zum Beispiel viele Fortbildungen zum interkulturellen Lernen. Außerdem war die Gruppe selbst sehr inspirierend. Studierende aus aller Welt mit Migrations- und Fluchterfahrungen kamen hier zusammen. Das hat meinen Horizont sehr erweitert.
Als Lehrerin unterrichte ich eine stark multikulturell geprägte Klasse.
Daneben war ich immer sehr verliebt ins Reisen. Asien, Mexiko, Jordanien, um nur ein paar Beispiele zu nennen. In den Semesterferien habe ich meinen Rucksack gepackt und bin dann mal weg, mit Tickets für den Hin- und Rückflug, mehr Planung gab es nicht. Besonders prägende Erinnerungen kann ich nicht hervorheben. Jedes Mal, wenn ich dachte, das ist das Tollste, was ich gesehen habe, habe ich irgendwie noch mal etwas anderes, auch sehr Beeindruckendes, gesehen. Es gibt überall wunderschöne Orte zu entdecken und vor allem wunderschöne Menschen, von innen und außen schön. Freundliche Menschen, die ihre Kultur zeigen wollen, die gastfreundlich und hilfsbereit sind.
Die Liebe zum Reisen kommt vielleicht durch meinen eigenen Migrationshintergrund. Mein Vater stammt aus Moldawien, in meiner Kindheit sind wir zunächst hin und her gependelt zwischen Moskau und Moldawien. Meine Eltern waren noch sehr jung und hatten ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt noch nicht festgelegt, den fanden sie dann erst so richtig in Deutschland. Seitdem ich als verbeamtete Lehrerin arbeite, hat sich das Reisen etwas verändert, jetzt sind es eher die europäischen Länder.
Träume Bereits während meines Studiums habe ich meine Praktika in der Dortmunder Nordstadt gemacht, einem Viertel, in dem viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichten leben. Seit 2018 arbeite ich nun in einer Schule in der Nordstadt. Als Klassenlehrerin habe ich eine stark multikulturell geprägte Klasse mit sehr heterogenen Schülerinnen und Schülern mit ganz unterschiedlichen Schicksalen, manche auch mit Fluchterfahrung. Neben der eigentlichen Lehrtätigkeit liegt der Fokus stark auf Elternarbeit mit kulturellen und sprachlichen Alltagsherausforderungen.
Wichtig ist mir, den Familien aufzuzeigen, dass über den Bildungsweg auch ein sozialer Aufstieg möglich ist. Vielleicht kann ich hier ein wenig Vorbild sein. Man kann seine Träume auch in einem fremden Land erfüllen, und ich möchte die Kinder und Familien dabei unterstützen. Ich denke, dass solche authentischen Vorbilder, also nicht nur in der Theorie, den Eltern auf jeden Fall Hoffnung geben und einen Weg aufzeigen können. Ich gehe offen damit um, dass ich jüdisch bin.
Ich gehe offen damit um, dass ich jüdisch bin.
Man begrüßt sich nicht und sagt: »Hallo, ich bin Diana Broner, und ich bin Jüdin.« Aber im näheren Kontakt stellt sich relativ schnell heraus, dass es auch einen Bezug zu Israel gibt, dass ich Familie dort habe. Auch in meinem WhatsApp-Status, den beispielsweise auch Schülerinnen, Schüler und ihre Eltern sehen können, poste ich bewusst zum Beispiel zum 9. November oder zu jüdischen Feiertagen.
nahost-konflikt Besonders präsent ist das, wenn der Nahost-Konflikt aufflammt. Meine vierte Klasse hat mich im letzten Schuljahr dazu befragt, durchaus auch kritisch. In der Klasse sind viele Kinder mit einem arabisch-muslimischen Hintergrund aus Nachbarländern Israels. Als ich dann von meiner Familie in Israel erzählte, von meinen Cousinen und Cousins, die nicht in die Schule gehen konnten wegen Bombardierungen, ist ein Mädchen aufgestanden und hat mich umarmt. Sie sagte, dass es ihr leidtäte und sie nichts davon wusste, dass auch Israelis leiden würden unter dem Konflikt.
Das hat mich zu Tränen gerührt. Auch eine Mutter, die eine anti-israelische Meinung in ihrem Status gepostet hatte, hat mich angerufen, nachdem ihr Sohn aus der Schule erzählt hatte. Sie hat sich dafür entschuldigt und gesagt, sie hätte das noch nie von der anderen Seite aus betrachtet. Mir geht es darum, reale Begegnungen zu schaffen. Zum Beispiel durch einen Besuch der Synagoge. Die Kinder fanden es spannend. An Chanukka zünden wir die Chanukkia ebenso an wie den Adventskranz, und zum Zuckerfest gibt es Süßigkeiten. Ich möchte die verschiedenen Kulturen und Religionen zusammenbringen und sehe das als meinen pädagogischen Auftrag.
In Dortmund gibt es Bestrebungen zur Schaffung einer jüdischen Grundschule, darin bin ich aktiv mit eingebunden. Im vergangenen Jahr habe ich zusätzlich zu meinem ersten und zweiten Staatsexamen noch einen zweiten Master in Führung und Management von Bildungseinrichtungen gemacht. Die Idee ist, so wie bei unserem jüdischen Kindergarten, dass wir Möglichkeiten schaffen möchten, sich zu begegnen, also auch für nichtjüdische Kinder offen zu sein.
Schrebergarten Seit ein paar Jahren lebe ich vorwiegend vegan. Nachhaltigkeit und Umwelt sind ein großes Thema für mich, wofür ich mich zum Beispiel auch in der Gemeinde engagiere. Mit Freunden habe ich einen Schrebergarten. Dort bauen wir seit ein paar Jahren Obst und Gemüse an. Das ist ein großer Teil meiner Freizeit. Hier habe ich einiges neu entdeckt: säen und ernten, Marmelade kochen, Gemüse fermentieren.
Säen und ernten – das passt irgendwie auch zu meiner Arbeit als Lehrerin und meinem Engagement in der Gemeinde. Ich hoffe, dass ich einen Keim säen kann für Frieden und Dialog, für ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Es würde mich freuen, wenn die nächste Generation die Früchte ernten kann, im jüdischen wie im nichtjüdischen Kontext.
Aufgezeichnet von Annette Kanis