Pessach feiern wir mit sehr, sehr viel Aufwand. Die Wohnung wird gereinigt, alles auf koscher für Pessach gebracht, und auch den Ablauf nehmen wir genau. Unsere Kinder – ein Mädchen von drei und zwei Jungs von fünfeinhalb und siebeneinhalb Jahren – stellen im Chor die Fragen.
Das machen wir schon immer so. Das hat bei uns Tradition und ist für die Kleinen nichts Neues. Außerdem werden die drei im Kindergarten und in der Schule der Gemeinde auf die Feiertage vorbereitet. Sie sind dort am Münchner Jakobsplatz gut untergebracht.
Jeden Morgen bringe ich sie mit dem Auto dahin. Wenn ich danach weiterfahre ins Büro, schalte ich unterwegs das Radio an und höre »Rock Antenne«, den Sender, bei dem ich Programmchef bin. Zu diesem Zeitpunkt habe ich schon ein Stück des ganz normalen Wahnsinns mit drei kleinen Kindern, die voller Energie in den Tag starten, hinter mir.
Um Viertel vor sechs in der Früh klingelt bei mir der Wecker. Dann habe ich noch etwa eine halbe Stunde für mich. Ich schaue mir die ersten Nachrichten im Fernsehen an, gucke, ob es interessante Themen gibt, die auch für unsere Radiostation etwas wären. Danach wecken wir die Kinder und machen Frühstück. Je nachdem, was die Waage sagt, gibt es entweder Joghurt und Müsli, oder ich esse zusammen mit den Kindern gut bestrichene Nutellabrote.
Um Viertel vor sieben fahren wir los. Trödeln dürfen wir nicht, denn der Große geht schon zur Schule, und die fängt pünktlich an. Kurz nach halb acht sind wir am Jakobsplatz. Unser Schulkind findet schon allein seinen Weg, aber die beiden Kleinen begleite ich nach oben in den Kindergarten.
Sind die Kinder versorgt, versuche ich, so etwa alle ein bis zwei Wochen unten in der Synagoge vorbeizuschauen und mit dabei zu sein beim Tefillinlegen. Manchmal verlangt man auch direkt nach mir: »Guy, komm doch bitte runter, wir brauchen noch einen für den Minjan.«
Das ist für mich mehr als reine Pflichterfüllung. Der morgendliche Synagogenbesuch gibt mir etwas. Ich empfinde mich da als Teil unserer Gemeinde, unserer Gemeinschaft. Danach geht’s meistens weiter ins Sendezentrum nach Ismaning in den Münchner Norden. Seit sechs Jahren bin ich bei »Rock Antenne« Programmchef, seit anderthalb Jahren sitze ich mit in der Geschäftsführung. Man kann unseren Sender, der sich ganz dem Rock in all seinen Sparten widmet, vor allem digital empfangen.
Job Im Prinzip funktioniert eine Radiostation wie jedes andere Geschäft. Es muss Geld verdient werden, und es gibt Kosten. Und es gibt eine Zielgruppe, die man erreichen möchte. Damit das Programm richtig gesteuert wird, muss es überwacht werden. Das ist mein Job als Programmchef.
Als Geschäftsführer kümmere ich mich vor allem um Erlösquellen und Ausgaben und dass sie in einem guten Verhältnis zueinander stehen. Diese Mechanismen kennt man aus jeder Firma, die Erfolg haben will. Aber ich glaube, beim Radio geht es ein bisschen lockerer zu, man hat ein bisschen mehr Spaß bei der Sache. Zwischendrin trifft man sich auf einen Kaffee, unterhält sich auch mal ganz ungezwungen.
Meine Kollegen wissen natürlich, dass ich Jude bin, und das interessiert sie auch. Wir hatten schon wirklich interessante Gespräche. Ich finde es wichtig, dass Nichtjuden einen Zugang zum Judentum finden und zwar über einen Juden. Meine Chefin hatten wir schon mal am Schabbat bei uns, ein Kollege kam zu Chanukka und einmal sogar zu Rosch Haschana. Im Gegenzug war ich auch schon zu Weihnachten eingeladen.
Schwierig wird es, wenn das Gespräch auf Israel kommt. Die Menschen lassen sich von der Medienberichterstattung beeinflussen, und die ist nicht immer korrekt. Das konnte man ja wieder vor Kurzem sehen. Da gab es diese umstrittene Aktion vonseiten Israels, bei der ein führender Terrorist getötet wurde. In einer Nachrichtensendung, die ich mir dazu angesehen habe, wurde dieser Angriff sehr genau und ausführlich beschrieben, um dann erst kurz vor Schluss darauf hinzuweisen, dass außerdem in den letzten 24 Stunden 98 Raketen auf Israel abgefeuert wurden.
Die Gewichtung hat viel Einfluss auf die Meinungsbildung. Man hätte ja auch sagen können, dass fast 100 Raketen auf Israel gefeuert worden sind und dass in diesem Zusammenhang ein Terrorist getötet wurde. Das hört sich ganz anders an. Und so lese ich übrigens auch die Süddeutsche Zeitung nicht mehr, ihre Israeldarstellung finde ich nicht in Ordnung.
Montreal Radio ist meine große Liebe. Damit habe ich gleich nach dem Abitur angefangen. Bei »Radio Fantasy« in Augsburg habe ich nach einem Praktikum einen Volontariatsplatz bekommen und wurde zum Rundfunkredakteur ausgebildet. Hängen geblieben bin ich dann bei der Musik. Ich bin für ein Jahr nach Kanada gegangen, nach Montreal, ebenfalls zu einer Radiostation, und habe dort im Bereich Marketing und Musik mitgearbeitet.
In Montreal habe ich meine Frau kennengelernt, eine ausgebildete Marketingexpertin. Im Moment ist sie aber mit den drei Kindern im Hauptberuf natürlich Mama. Von Kanada ging es wieder zurück nach München und wieder zum Radio. Dabei ist es bis heute geblieben. Selbst moderiere ich aber eher selten. Ich helfe eigentlich nur aus, wenn ein Moderator krank ist.
Wenn allerdings in der Gemeinde Bedarf ist und unsere Präsidentin mich darauf anspricht, sage ich nicht nein. Im Gegenteil. Ich führe gern als Moderator zum Beispiel durch den Neujahrsempfang der Gemeinde. Die letzten drei Jahre war das so. Eine ganz besondere Erfahrung durfte ich machen, als die Gemeinde zum Jakobsplatz umgezogen ist.
Da haben meine Frau und ich im Organisationsteam mitgeholfen – eine sehr schöne Aufgabe. Es sollte ja eine Eröffnungszeremonie werden, bei der alles reibungslos klappt und die der Situation würdig war. Die Torarollen wurden ausgehoben, man trug sie unterm Baldachin durch die Münchner Innenstadt – das war schon etwas ganz Besonderes.
Kuscheln Ich mag München. Ich bin ein Münchenfan (und auch ein Fan vom FC Bayern). Hier wurde ich 1974 geboren, hier lebt meine Familie. Obwohl ich oft auch späte Termine habe, bemühe ich mich, mir ein paar Abende in der Woche freizuhalten.
Ich versuche dann, so gegen 18 Uhr nach Hause zu kommen, damit ich noch ein bisschen mit den Kindern zusammen sein kann. Nach dem Abendessen ist Familienzeit. Da bleibt der Fernseher aus. Wir spielen und quatschen – »Wie war’s in der Schule? Wie war’s im Kindergarten? Zeig mir mal, was du gemalt hast!« –, bevor es dann mit einer Gutenachtgeschichte oder mit ein bisschen Kuscheln ins Bett geht.
Mit den Kindern wurde mein Kontakt zur Gemeinde wieder enger. Wir sind keine Dreitagejuden. Meine Frau und ich leben traditionell das orthodoxe Judentum. Bei uns gibt es ausschließlich koscheres Fleisch. Was ich besonders gern esse? Darauf gibt es für einen schlauen jüdischen Mann nur eine Antwort: »Alles, was meine Frau kocht, dicht gefolgt von dem, was meine Mutter kocht.« In unserer Küche wird aber nicht nur gut gekocht, man hat auch einen wunderbaren Blick auf ein Karatestudio. Ein paar Monate habe ich zugeschaut, dann dachte ich: Das probiere ich auch mal aus. Ich mache also Karate. Das tut gut und entspannt von der Arbeit.
Jetzt kommt aber erst einmal Pessach. Meine Frau und meine Mutter bereiten den Sederabend vor. Die ganze Familie wird zusammen sein. Das lieben die Kleinen. Und sind sie happy, dann sind meine Frau und ich das auch. Was will man mehr?