Kaum jemand, der auf dem Oktoberfest den überlebensgroßen Löwen am Festzelt bestaunt, weiß, dass das »Löwenbräu«-Bier in der NS-Zeit als »Judenbier« verunglimpft wurde. Und dies nur aus einem einzigen Grund: weil die Familie Schülein diese Brauerei auf Erfolgskurs gebracht hatte.
Von alledem hatte der junge Josef Schülein, Sohn des Tuchhändlers Joel und seiner Frau Nette, noch keine Ahnung, als er nach dem Tod des Vaters mit der verwitweten Mutter und drei Geschwistern dem ältesten Bruder Jakob aus dem fränkischen Thalmässing nach München folgte.
tradition Mutter Nette, eine gläubige Jüdin, die zeitlebens auf einen koscheren Haushalt achtete und ihre Kinder in der jüdischen Tradition erzog, setzte darauf, mit dem Ersparten Kleinkredite zu vergeben. Dank der seriös geführten Bankgeschäfte erwarb die Familie bescheidenen Wohlstand.
Josef Schülein, Jahrgang 1854, seit 1873 in München ansässig, genügte die mit seinen Brüdern Jakob und Gustav geführte Banker-Tätigkeit nicht. Bereits zwölf Jahre später erwarb er die pleite gegangene Fügerbräu-Brauerei im Münchner Stadtteil Haidhausen. Daraus machte er die Unionsbrauerei Schülein und Companie, die 1903 in eine Aktiengesellschaft umgebaut wurde. Josef Schülein war Geschäftsmann, fürs Bierbrauen beschäftigte er Fachleute. 1905 erwarb er die Münchner-Kindl-Brauerei und zum Ende des Ersten Weltkriegs Schloss Kaltenberg, mit dazugehöriger Brauerei und landwirtschaftlichem Gut. Diesen Firmenzuwachs verwaltete er gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn Fritz Schülein.
Sein privates Glück hatte Josef Schülein mit Ida Baer aus Oberdorf und den gemeinsamen sechs Kindern gefunden. 1921 fusionierte Unionsbräu rückwirkend zum 1. Oktober 1919 mit Löwenbräu und wurde unter diesem Namen fortgeführt. Den Coup hatte der Sohn Hermann Schülein maßgeblich betreut; er wurde Direktor und Vorstandsvorsitzender von Löwenbräu. Hinzu kam bald das Bürgerliche Brauhaus München.
engagement Das soziale Engagement der Schüleins führte durch Grundstücksstiftungen zum Bau einer Siedlung von Sozialwohnungen in Berg am Laim. Schon zu Lebzeiten des »alten« Schülein waren dort 1920 eine Straße und ein Platz nach ihm benannt worden, was im Dezember 1933 rückgängig gemacht wurde.
Josef Schülein, den man den »Bierkönig von Haidhausen« nannte, war ein Original, gut erkennbar an seinem gewaltigen Schnauzer und breitkrempigen Hut. Auf dem Weg zur Arbeit schenkte er den Kindern des Viertels Münzen für Süßigkeiten, kleidete alljährlich bis zu 40 Firmlinge neu ein und stiftete Geld für die Ausbildung besonders Begabter. Während andernorts Freikorps-Anhänger rechtsradikal schäumten und mordeten, eröffnete Ida Schülein nach dem Ersten Weltkrieg im Münchner-Kindl-Keller und im Bürgerbräu-Keller eine Armenspeisung für bis zu 1000 Hungrige täglich.
Gut vergolten hat man es der Familie und ihrem Patriarchen nicht. Nach seinem von den Nationalsozialisten bereits im Mai 1933 erzwungenen Rücktritt aus dem Aufsichtsrat von Löwenbräu zog Josef Schülein sich auf sein Gut Kaltenberg bei Geltendorf zurück, wo er am 9. September 1938 starb. Er ruht auf dem Neuen Israelitischen Friedhof neben seiner bereits 1929 verstorbenen Frau Ida.
Elisabeth Schinagl: »Der Bierkönig von München«. Allitera, München 2022, 276 S., 14,90 €