Die Philosophin (eine Bezeichnung, die sie für sich ablehnte) und Publizistin Hannah Arendt (1906–1975) war eine herausragende Denkerin des 20. Jahrhunderts. Ihre Themen und Aussagen sind bis heute aktuell und werden es bleiben, wie es etwa die Station »Wir Flüchtlinge« in der aktuellen Ausstellung im Literaturhaus belegt.
1933 aus Deutschland nach Paris geflohen, 1941 über Lissabon nach New York gelangt, hatte Arendt 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft verloren, wusste, was es bedeutete, staatenlos, ein »Paria außerhalb der Gesellschaft«, zu sein. Ein Zitat, das einem im Kapitel »Rahel Varnhagen. Eine Lebensgeschichte« begegnet, in dem Arendts Beschäftigung mit der Salondame beschrieben wird, die für den Einstieg in die deutsche Gesellschaft alles, nämlich ihre Herkunftsidentität, opferte. Dies wäre Hannah Arendt im Gegensatz zu Varnhagen nie in den Sinn gekommen. Ihr Leitsatz lautete: »Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen.«
missverständnis Ihr »Denken ohne Geländer« führte nicht selten dazu, dass man sie gründlich missverstand. An jeder Stelle der Ausstellung wird ihr empathischer wie eigenständiger Ansatz deutlich. Die Themeninsel zu »Little Rock« zeigt ihren nonkonformistischen Umgang mit gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit.
Mitte der 50er-Jahre hob der Oberste Gerichtshof der USA die Rassentrennung an öffentlichen Schulen auf. Als es beim erzwungenen Antritt dunkelhäutiger Schüler an der Central High School von Little Rock in Arkansas zu Ausschreitungen kam, waren die Positionen zwischen reaktionären und liberalen Fronten klar. Den Zorn aller zog Arendt sich zu. Als entschiedene Gegnerin staatlicher Einmischung in die Erziehung lehnte sie den erzwungenen Schulbesuch ab. Schwarze Schüler sollten nicht ins Sperrfeuer für eine verfehlte Rassenpolitik geraten.
Bekannter dürfte die Kontroverse um ihre Reportage über den Eichmann-Prozess in Jerusalem sein. In vier Ausgaben der Zeitschrift »The New Yorker« zwischen 16. Februar und 16. März 1963, gab sie – zwischen Werbeanzeigen für Luxusgüter (was absurderweise ihr angelastet wurde) – ihre Eindrücke über »Die Banalität des Bösen« wieder. Dabei ging es ihr nie um eine Verharmlosung der Verbrechen, sie verweigerte nur die Dämonisierung des Angeklagten. 1964 räumte sie allerdings ein: »Ich war wirklich der Meinung, dass der Eichmann ein Hanswurst ist.«
freundschaft Arendt muss ein »Genie der Freundschaft«, so ein Diktum von Hans Jonas, gewesen sein. In einem Brief an Daniel Cohn-Bendit, mit dessen Eltern sie befreundet war, auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen 1968 bot sie ihm finanzielle Hilfe an. Mit ihrer in München gekauften Kleinstbildkamera Minox B fotografierte sie die Familie – von ihrer Großnichte Edna Brocke stammen etliche Ausstellungsobjekte – und ihre Freunde aus allen Lebensbereichen wie den Revue-Autor Robert Gilbert, die Schriftstellerin Mary McCarthy, ihren Doktorvater Karl Jaspers sowie ihren zweiten Ehemann, den Militärhistoriker Heinrich Blücher.
Die Ausstellung im Literaturhaus entstand in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum in Berlin unter der Regie von Raphael Gross. Die Projektleitung in München oblag Tanja Graf und Anna Seethaler. Die Raumsituation verlangte hier eine komprimierte, in Teilen völlig neu gestaltete Präsentation, die dem Verständnis nur gutgetan hat. Der gleichnamige Katalog, herausgegeben von Dorlis Blume, Monika Boll und Raphael Gross, ist im Piper Verlag erschienen, der das Werk von Hannah Arendt insgesamt publiziert.
Die Ausstellung »›Das Wagnis der Öffentlichkeit‹. Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert« ist bis zum 24. April im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, von Montag bis Sonntag 11–18 Uhr zu sehen. Mehr Informationen unter www.literaturhaus-muenchen.de