Wie pluralistisch und inklusiv ist das Judentum in Berlin? Diese Frage stand kürzlich im Zentrum einer von der jüdisch-feministischen Initiative Bet Debora organisierten Diskussionsveranstaltung. Als Gast hatte die Initiative die Rabbinatsstudentin Naomi Henkel-Gümbel in ihre Räumlichkeiten in Prenzlauer Berg eingeladen.
»Keshet« Die 27-Jährige studiert am Zacharias Frankel College in Berlin und Potsdam und engagiert sich bei der Organisation »Keshet«, die Perspektiven der LGBTQI*-Community (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queer, Intersexuelle) innerhalb der jüdischen Gemeinde stärken will.
»Als Mensch, der sowohl eine jüdische als auch eine queere Identität hat, wird man von mehreren Seiten angefeindet«, sagte Henkel-Gümbel. Wie in der Gesamtgesellschaft sei Homophobie auch in der jüdischen Gemeinde ein Problem. »Es gibt in den jüdischen Gemeinden Menschen, die mit einer queeren Identität nichts anfangen können«, erläuterte die angehende Rabbinerin, die in München aufwuchs. Ressentiments gegenüber LGBTQI*-Personen ließen sich unter den Mitgliedern aller Synagogengemeinden und jüdischen Gruppen finden, »ganz gleich, zu welchem religiösen Ritus sie sich bekennen«.
SPEKTRUM Auf der anderen Seite habe man es als Jude mit queerer Identität auch innerhalb der queeren Community nicht leicht, da dort nicht selten antisemitische und antiisraelische Vorurteile bestehen würden. »Deshalb ist eine Organisation wie Keshet so wichtig, da sie jüdischen queeren Menschen einen ›Safe Space‹ gibt und parallel den Austausch mit der Gemeinde und der Gesellschaft sucht«, sagte Henkel-Gümbel. »Nur wenn wir die Diskussion aktiv vorantreiben, können wir etwas verändern.«
»Ich sehe die Zukunft des Judentums, insbesondere in einer offenen Metropole wie Berlin, in einem eklektischen Verständnis von Religion und Tradition.«
Dass sie etwas verändern möchte, ist für die junge Frau Teil der Motivation für eine religiöse Führungsposition. »Ich will Rabbinerin werden, um den Status quo zu verändern, in dem Männer und Frauen zu häufig nicht gleichberechtigt sind und LGBTI*-Menschen um ihren Platz in der Gemeinde kämpfen müssen.«
Schon seit ihrem 14. Lebensjahr träumt Henkel-Gümbel davon, Rabbinerin zu werden. Nach der Schule machte sie zunächst Alija und studierte Psychologie am Interdisciplinary Center in Herzlija. In Tel Aviv war Henkel-Gümbel in unterschiedlichen jüdischen Communitys aus dem breiten religiösen Spektrum aktiv. »Meine Zeit in Tel Aviv hat mich dazu gebracht, meinen Jugendtraum einer Rabbinatsausbildung in die Tat umzusetzen«, sagte sie.
Am Zacharias Frankel College, das sich als Teil der Masorti-Bewegung versteht, fühlt sich Henkel-Gümbel wohl. »Mit meinen Kommilitonen kann ich Themen wie Gender, Queerness und Egalität im Judentum offen diskutieren«, sagte sie. Von den insgesamt fünf Studenten des Colleges sind derzeit zwei Frauen.
MASORTI Für Henkel-Gümbel bedeutet Masorti, oder »Modern Conservatism«, wie sie lieber sagt, vor allem eines: die »Verbindung von jüdischer Tradition, also Halacha und Kaschrut, mit der vollen Gleichberechtigung der Geschlechter im 21. Jahrhundert«. Grundsätzlich spiele es für sie keine Rolle, ob sich eine Gemeinde als liberal, konservativ oder orthodox versteht.
»Ich sehe die Zukunft des Judentums, insbesondere in einer offenen Metropole wie Berlin, in einem eklektischen Verständnis von Religion und Tradition.« Eklektisch könne man in diesem Sinne so definieren: »Ich suche mir von allen Gemeinden das Beste aus, gestalte mein Judentum so, wie ich es für mich persönlich richtig finde.«
Wenn sie einmal ausgebildete Rabbinerin ist, wolle sie die Menschen anhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. »Ich will niemand sein, der vorne steht und leitet, sondern jemand, der aus der Mitte heraus Impulse gibt.«