Nachwuchssorgen? Überalterung? Diese Probleme sind für die bucharisch-sefardische jüdische Gemeinde in Hannover kein Thema. Dort sind alle Generationen vertreten, und es ist immer etwas los. Kinderlachen erfüllt das Gebäude, Teenager gehen grüppchenweise zum Gebet in die Synagoge, junge Familien treffen sich zum Reden in den Gemeinschaftsräumen, in der Küche wird gemeinsam gekocht und jedes Fest gebührend gefeiert.
Zu Tu Bischwat war das Haus drei Tage lang voll und das Programm bunt – mit gemeinsamen Gebeten, Mahlzeiten und Vorträgen. Und auch die Jüngsten hatten eine kleine Vorführung mit Liedern und Tänzen vorbereitet.
Die Gemeinde ist eine starke Gemeinschaft, die fest zusammenhält. Sie ist stetig gewachsen, von den rund 300 Gemeindemitgliedern gehören nahezu zwei Drittel zur jungen Generation. »Und wir haben viele Familien mit Kindern«, sagt Juhanan Motaev, seit August 2016 der erste Vorsitzende.
Sein Vorgänger, Michail Davidov, hatte das Amt aus Altersgründen abgegeben. Seit 2015 wird das Zentrum hauptamtlich vom bucharischen Rabbiner Yafim Aminov betreut. Kantor Ari Malaev arbeitet ehrenamtlich, ist aber von Anfang an dabei und »für uns ein unverzichtbarer Mann«, sagt Motaev.
zentralasien Die bucharischen Juden gehören zu den ältesten Gemeinden der Welt. Sie sind die Nachfahren der Juden, die in babylonische Gefangenschaft gerieten, und stammen ursprünglich aus dem Gebiet des heutigen Usbekistan und Turkmenistan. Über längere Zeit völlig isoliert von anderen jüdischen Gemeinden weltweit, haben sie ihre eigene Glaubensausrichtung entwickelt – mit eigenem Ritus und Gebeten.
Als nach dem Ende der Sowjetunion die ersten bucharischen Juden nach Hannover kamen, konnten sie sich im Gebetsraum der Jüdischen Gemeinde Hannover treffen. Die erste eigene Synagoge wurde 2009 in einem ehemaligen Restaurant eingerichtet, aber schon bald gab es Platzprobleme.
Die Suche nach einer dauerhaften Bleibe war wenige Jahre später erfolgreich. Die Gemeinde konnte im Stadtteil Ricklingen eine ehemalige Kirche samt Nebengebäuden und Garten kaufen und feierte nach Sanierung und Umbau im Jahr 2012 die Einweihung des neuen Gemeindezentrums. Unter dem Namen Jüdisch-Bucharisch-Se-fardisches Zentrum Deutschland e. V. versteht sie sich nun als Heimat für alle rund 1200 bucharischen Juden in Deutschland.
»Wir betreuen sie von unserem Zentrum aus, arbeiten aber nicht nur überregional, sondern auch international mit den Gemeinden in Österreich, Russland, den USA und Israel zusammen«, berichtet Juhanan Motaev. Die bucharische Tradition wird in Hannover sorgfältig gepflegt. Man gibt sich sehr gastfreundlich und »offen für die Welt«, sieht es aber als verpflichtend an, Traditionen und Bräuche an die Jugend weiterzugeben. Integration ja, Assimilation nein, heißt es. Als besondere Schwerpunkte werden die jüdische Erziehung, Bildung und Kultur sowie das positive Einwirken auf die Festigung von Familienbeziehungen genannt.
ratgeber Wie das im Einklang mit dem Glauben gelingen kann, vermittelte der Gast, den die Gemeinde am Tu-Bischwat-Wochenende eingeladen hatte. Rabbiner David Kraus ist Lebensberater, Paar- und Familientherapeut. Er spricht fließend Deutsch und leitet in Jerusalem ein Beratungszentrum. In Hannover ging es mit Vorträgen und in Einzelgesprächen um »die pure Lust am Leben«, darum, wie man Freude am Leben haben kann und dadurch glücklich wird. Im lockeren Plauderton und mit viel Witz schlug er dabei mühelos die Brücke zu Talmud und Tora. Das Publikum in Hannover war begeistert: »Er hat ein Feuer in unseren Herzen entzündet«, meint ein Zuhörer. Beim Bücherverkauf – David Kraus hatte stapelweise die Werke seines Lehrers, Rabbi Shalom Arush, dabei – standen die Leute Schlange.
Aaron Boruchov, zuständig für die Jugendarbeit im Zentrum, hat David Kraus im Namen der Gemeinde nach Hannover eingeladen. »Ich habe ihn 2012 auf Facebook entdeckt, und jetzt hat es endlich geklappt, denn Rabbi Kraus ist ja sehr berühmt und hat einen vollen Terminkalender. Aber das Warten hat sich gelohnt.«
Gerade die Jüngeren seien beeindruckt gewesen, wie er den Bezug zwischen dem täglichen Leben mit all seinen Problemen und dem Glauben herstellte und so den besten Weg wies, schwärmt Boruchov.
projekte Im Juni wird das Jüdisch-Bucharisch-Sefardische Zentrum seinen fünften Geburtstag feiern. Und schon gibt es neue Pläne und Herausforderungen. Eine eigene Mikwe soll gebaut werden. Für ihre Feste wünscht sich die Gemeinde einen größeren Veranstaltungsraum, und das größte Wunschprojekt nimmt auch schon Gestalt an: Für die fast 60 Kinder der Gemeinde soll ein eigener Kindergarten errichtet werden. Die Räume sind bereits auf dem Gelände vorhanden, müssen aber umgebaut werden. Offen für alle Kinder soll der Kindergarten sein, »solange akzeptiert wird, dass wir hier unsere jüdische Tradition lehren«.
Wer sein Kind dort anmeldet, hat den Vorteil, dass es nicht nur zweisprachig, mit Deutsch und Russisch, aufwächst, sondern sogar dreisprachig, denn: »Wir pflegen nach wie vor unsere bucharische Sprache.«
Unterstützung Die Finanzierung dieser Projekte ist ebenfalls Thema, denn nur mit Spenden aus den eigenen Reihen geht es nicht. »Wir werden auch von der Stadt Hannover und vom Kultusministerium unterstützt und sind darüber hinaus dem Landesverband wirklich sehr dankbar, dass er uns immer, bei all unseren Vorhaben, geholfen hat«, bekräftigen Juhanan Motaev und seine Vorstandskollegen.
Auch vom Zentralrat gebe es Unterstützung, nur würde man sich hier vielleicht noch mehr Nähe und Zuwendung wünschen, sagt Motaev. »Wir wollen unsere Gemeinde in die Zukunft führen«, betont der Gemeindechef. »Wir sind noch lange nicht fertig, aber wir gehen einfach voran, und mit Gottes Hilfe erreichen wir unsere Ziele.«
Sowohl die Pläne der Mikwe als auch die des Kindergartens liegen bereits beim Bauamt. Wenn es die Vorhaben genehmigt, können die Arbeiten noch 2017 beginnen. Im Herbst könnte die Mikwe dann bereits fertig sein, »und 2018 wollen wir den Kindergarten eröffnen«, sagt der Vorsitzende.