Mein Jüdischsein habe ich immer wie eine Monstranz vor mir hergetragen: Als Schutz, um ja nicht in Situationen zu kommen, in denen ich nicht sein möchte. Wenn ich neue Leute kennenlerne und sie nett finde, sage ich gleich: »Ich bin Jude.« Damit ich ihnen nicht später die Zähne einschlagen muss.
Nun merkt man mir ja nicht an, dass ich Jude bin. Als ich jünger war, ist es öfter passiert, dass das Gespräch in meinem Beisein ein bisschen antisemitisch wurde. Das war in vielen Ländern so. Da habe ich mich sofort zu erkennen gegeben. Die Reaktion war immer: »Ja, du bist in Ordnung!« Und wer dann nicht? Die Antwort war stets nebulös.
buch Deshalb wollte ich schon immer etwas über das Judentum schreiben. Als ich 2014 in Rente ging, hatte ich endlich die Zeit dazu. Im vergangenen April ist mein Buch – oder besser: mein Manifest – An allem sind die Juden schuld erschienen.
Ich will damit eine Lanze für die Juden brechen und den Lesern vorführen, was sie alles für die Menschheit getan haben. Nie sonst haben so wenige – 0,2 Prozent der ganzen Menschheit – solch gigantische Leistungen vollbracht: in der Literatur, Musik, Kunst, Philosophie, Technik, den Naturwissenschaften und in der Unterhaltungsbranche. Und dafür gibt es nicht einmal Anerkennung, Respekt oder Wertschätzung, nichts! Es mündet immer in Antisemitismus, sogar da, wo es gar keine Juden gibt.
Mal gucken, was ich damit bewegen kann. Meist ist es derselbe Grund, warum man gegen Juden oder gegen Frauen, Ausländer, Amerika, was auch immer ist: die Angst vor Fremdem, falsche Erziehung, falsche Vorbilder, oder man grölt einfach nach, was einem vorgegrölt wird. Ob ich allerdings gerade diese Menschen erreiche, bezweifle ich.
ahnen Ich fühle mich zwar sehr jüdisch, aber ich bin nicht religiös. Das heißt, ich glaube an Gott, führe Gespräche mit ihm und lebe meiner Auffassung nach gemäß den Schriften. Das kann man auch, ohne alle 613 Gebote und Verbote einzuhalten. Früher habe ich etwa manche Samstage in der Firma verbracht. Seit einigen Jahren aber zünden meine Frau und ich freitagabends die Schabbatkerzen an und lesen die Gebete. Es fühlt sich gut an.
Ich bin kein Mitglied der Kölner Gemeinde, obwohl ich häufig in der Synagoge bin. Meine Mutter wollte nicht, dass mein Bruder und ich in einem Verein gemeldet sind. Als die Nazis im Krieg nach Holland kamen, hatten sie nämlich alle Register intakt vorgefunden. Sie brauchten nur die Bücher aufzuschlagen, um zu wissen, wo welche Juden wohnen, wie sie heißen, was sie tun.
Meine Tante Frieda Belinfante – übrigens eine der ersten weiblichen Dirigenten weltweit – war im Krieg im Untergrund und hat mit einigen anderen zusammen das Einwohnermeldeamt in die Luft gejagt. Das war sehr mutig, aber leider einige Jahre zu spät.
familie Ich bin 1943 mitten im Krieg geboren – als Däne in Amsterdam. Mein Vater stammt aus Schleswig-Holstein, hatte aber die dänische Staatsangehörigkeit, dadurch waren auch seine Frau und die Kinder automatisch dänisch. Das hat uns damals das Leben gerettet. Er war ein guter Christ – so wie meine Mutter sehr jüdisch war.
Von ihrer großen Familie ist nicht viel übrig geblieben. Die Belinfantes waren Sefarden aus Portugal, die im 16. Jahrhundert Richtung Amsterdam geflüchtet sind. Einer meiner Vorfahren, Moses Cohen Belinfante, hat die Tora ins Niederländische übersetzt: In dieser Ahnenreihe sehe ich mich.
Andere Zweige des Stammbaums reichen bis nach Russland, China und in die Karibik. Sogar Harry Belafonte soll ein Vetter sein. Jüdische Namen wurden ja oft verändert: entweder von den Juden selbst, um nicht aufzufallen, oder man hat ihnen die Namen weggenommen.
Arbeit Nach dem Abitur habe ich ein halbes Jahr in Südafrika verbracht. Es war Anfang der 60er-Jahre zur Zeit der Apartheid: Ich konnte das nicht lange aushalten.
Zurück in Amsterdam begann ich ein BWL-Studium, stellte aber bald fest, dass das nicht mein Ding war, und heuerte als Steward und Barkeeper auf einem Schiff an, um günstig die Welt sehen zu können. Anderthalb Jahre bin ich so zur See gefahren. Danach blieb ich länger in New York, später bereiste ich als Vertriebsmitarbeiter im Auftrag einer großen skandinavischen Möbelfirma ganz Europa.
Zufällig – aber Zufälle gibt es eigentlich nicht – traf ich dann 1968 jemanden, der einen Nachfolger auf seinem Posten beim schwedischen Gerätehersteller Elektrolux suchte. In dem Unternehmen habe ich noch bis vor wenigen Jahren als Manager gearbeitet.
Ich bin bis weit nach dem Renteneintrittsalter in der Firma geblieben, denn ich habe immer unheimlich gern gearbeitet. Ich musste nicht zur Arbeit wie viele Leute, ich wollte zur Arbeit. So wie ich abends nicht nach Hause musste, ich wollte nach Hause.
model Mit meiner Frau bin ich schon seit 45 Jahren verheiratet. Hanne war in jungen Jahren Model, später hatte sie ein Kosmetikinstitut. Vor einigen Jahren hat sie das Institut aufgegeben und modelt wieder. Sie ist immer noch eine sehr schöne Frau und gerade sehr en vogue. Sie ist in ganz Deutschland und im Ausland unterwegs. Ich bin sozusagen ihr Manager, fahre sie hin und her, trage ihren Koffer, organisiere das Catering. So haben wir eine gemeinsame Aufgabe.
Doch ich hätte gern noch etwas Spannendes, um ein paar Stunden pro Woche auszufüllen. Nachdem man 50 Jahre lang intensiv mit Lust und Wonne gearbeitet hat, ist es furchtbar, nichts mehr zu tun zu haben. Nur weiß ich noch nicht, wo ich mich ehrenamtlich engagieren kann.
Natürlich habe ich jede Menge Interessen. Ich spiele Golf und Tennis, wobei meine Frau die bessere Spielerin ist, und ich halte tapfer mit. Ich schwimme, fahre Rad. Im Keller habe ich mein Musikstudio eingerichtet. Dort habe ich mein Schlagzeug, mein Tenorsaxofon und eine Leinwand, um mit Freunden alte und neue Musikfilme zu schauen.
israel Meine Frau und ich lieben Jazz. Ihretwegen habe ich auch die Oper lieben gelernt. Hier in Köln gibt es ein Kino, das Vorführungen der Metropolitan live überträgt. Das ist jedes Mal sensationell schön.
Zum 50. Geburtstag schenkte mir meine Frau eine Reise nach Israel. Ich war zuvor noch nie dort gewesen. Schon am Flughafen kriegte ich ganz weiche Knie. Am liebsten hätte ich den Boden geküsst, aber bin ich etwa der Papst?
Deutschland könnte von Israel einiges über Integration lernen. Lächerlich, dass ein Land mit über 80 Millionen Einwohnern eine Million Flüchtlinge nicht verkraften soll. Ursprünglich lebten in Israel 600.000 Menschen, jetzt sind es fast acht Millionen mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen.
Von Israel könnte man auch lernen, wie man mit Terror umgeht: einfach weiterleben, sich nicht dermaßen davon beeindrucken lassen, dass man die Lebensqualität verliert. Schließlich fordert der Straßenverkehr 1000-mal mehr Opfer.
pläne Für mich ist es wichtig, dass es den Staat Israel als sicheren Hafen gibt, falls der Hass in Europa weiter zunimmt. Wie ich finde, wird er hier schlimmer und vor allem offener. Früher hätte man seinen Antisemitismus nicht offen zur Schau getragen, heute setzt man sogar stolz seinen Namen unter antisemitische Äußerungen – und niemand unternimmt etwas dagegen. Das gilt auch für Übergriffe auf Flüchtlinge oder Muslime: Da sehe ich keinen Unterschied.
Im Kopf habe ich noch weitere Bücher so gut wie fertig. Ich warte nur auf einen Moment der Inspiration, um sie zu Papier zu bringen. Eine Idee ist, über mein Leben zu schreiben. Klar, jeder Jude hat eine Geschichte zu erzählen, ob vor dem Krieg, währenddessen oder danach.
Eine andere Idee ist, über die Ungerechtigkeit auf der Welt zu schreiben. Erst neulich habe ich gelesen, dass 62 Personen so viel besitzen wie die Hälfte der Menschheit. Brauchen sie das wirklich? Ich könnte nicht Urlaub machen und lecker essen gehen in Ländern, wo Kinder vor der Tür betteln und hungern müssen. Lieber gehe ich Ski fahren nach Davos: Dort bin ich der Arme.
spenden Meine Frau und ich haben immer gespendet – an UNICEF, Amnesty International und Greenpeace. Wir haben leider keine Kinder, aber früher hatten wir ein Patenkind in Brasilien. Zurzeit sind wir Paten für drei israelische Kinder über die WIZO. Ich denke, damit tue ich etwas Gutes, wenn ich schon nicht selbst hingehen und helfen kann.
Wenn Bekannte hören, dass ich spende, sagen sie: Das tust du nur, um dein Gewissen zu beruhigen! Und, was tust du? Da kommt oft gar nichts. Verändere die Welt, aber beginne bei dir selbst!
Das habe ich erst kürzlich wieder von einem Taxifahrer gehört. Er sagte, er sei Palästinenser, ich sagte, ich bin Jude. Wir kamen problemlos miteinander aus. Er erzählte, im Libanon putzten sich die Kinder die Schuhe mit der amerikanischen und der israelischen Flagge ab. Was wird aus ihnen werden?
In arabischen Ländern werden Kinder früh auf Antisemitismus gedrillt: Deshalb stehen wir bei den Flüchtlingen vor einer Riesenaufgabe. Ich bin mit Merkel auf einer Linie: Wir schaffen das! Natürlich nur, wenn wir uns richtig bemühen.