Am Freitag beginnt in Hannover offiziell die »Woche der Brüderlichkeit«. Bei der Zentralen Eröffnungsfeier am Sonntag erhält der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik die Buber-Rosenzweig-Medaille. Die Laudatio hält Margot Käßmann. Die Jüdische Gemeinde, die Liberale Jüdische Gemeinde, das Jüdisch-Bucharisch-Sephardische Zentrum sowie das Jüdische Bildungszentrum Chabad beteiligen sich mit Gottesdiensten, Konzerten und anderen Veranstaltungen am Rahmenprogramm. Auch Rabbiner Gabor Lengyel von der liberalen Gemeinde gestaltet die »Woche der Brüderlichkeit« mit.
Herr Rabbiner Lengyel, was können Sie mit dem Motto »Um Gottes Willen« anfangen, unter dem die Woche der Brüderlichkeit in diesem Jahr steht?
Das ist natürlich eine große Herausforderung – und ein Anlass, sich mit verschiedenen Geboten der Tora auseinanderzusetzen. Was ich in diesem Zusammenhang ebenfalls wichtig finde: Auch in der Bibel finden wir Gewalt und Missbrauch von »Gottes Willen«. Das ist für mich ein wichtiger Aspekt heutiger interreligiöser Diskussionen.
Wie würden Sie den aktuellen Stand des christlich-jüdischen Dialogs beschreiben – angesichts des Dokuments, in dem sich der Vatikan im vergangenen Dezember von der Judenmission distanziert hat, und im Vorfeld des 500. Reformationsjubiläums im kommenden Jahr?
Der Dialog ist auf einem sehr guten Weg. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers hat vor nicht allzu langer Zeit ihre Verfassung in Bezug auf Antisemitismus, Judenmission und das Verhältnis zu Israel geändert. Sie war in dieser Beziehung sicherlich nicht die erste, aber auch nicht die letzte Landeskirche, die das getan hat. Juden und Christen sprechen heute offen und vertraut miteinander. Und wir haben in diesen Tagen mit den Flüchtlingen in unserer Mitte eine gemeinsame Herausforderung. Seit 18 Monaten engagieren sich meine Frau und ich – als Schoa-Überlebender, als Flüchtling, als ehemaliger Soldat der israelischen Armee – privat sehr stark für Flüchtlinge, für Syrer und Iraker, die eigentlich als Feinde Israels gelten, aber die jetzt in dieser Situation unserer Solidarität bedürfen, der Solidarität von Juden und Christen.
Neben Christen und Juden hat auch die Islamwissenschaftlerin und Theologin Hamideh Mohagheghi vom Rat der Religionen Hannover diesmal ein Grußwort zur Woche der Brüderlichkeit beigesteuert. Zusammen mit Ihnen bestreitet die Iranerin eine Veranstaltungsreihe zum Thema »Thora und Qurán gemeinsam lesen«. Was versprechen Sie sich davon?
Wir wollen zunächst eine Einführung in die Schriften und in die Quellen geben. Wir fragen uns, welche Bedeutung die Tora für die jüdische Lehre und der Koran für die islamische Lehre hat. Sind die Verse beider Bücher im 21. Jahrhundert noch relevant? Und wenn nicht, wie müssen wir sie interpretieren? Themen wie Schöpfung, Nächstenliebe, Gebete, Ethik, aber auch Gewalt im Tanach und im Koran werden an sieben Abenden offen angesprochen.
Sollte der christlich-jüdische Dialog Ihrer Meinung nach um den Dialog mit dem Islam erweitert werden?
Schon seit Jahren wird darüber gesprochen, dass man die Muslime in diese Gespräche integrieren sollte. Wenn man die Geschichte der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit nachvollzieht, haben bekannte Persönlichkeiten immer wieder darauf hingewiesen, dass man auch Muslime dazu einladen sollte. Eigentlich begann diese Diskussion bereits 1952, als der Aufruf zur Woche der Brüderlichkeit initiiert wurde.
Der Dialog zwischen Christen und Juden steht nicht im Ruf, sehr viele junge Menschen anzusprechen. Viele Teilnehmer der Veranstaltungen haben die 60 längst überschritten. Bei jüngeren christlich sozialisierten Nichtjuden nimmt das Interesse an Religion generell ab. Viele junge Juden wiederum haben kaum Interesse am Christentum. Welche Zukunft hat der interreligiöse Dialog in 20 oder 30 Jahren?
Das ist eine große Zukunftsfrage. Wir müssen neue Gesprächsformen finden. Das Interesse der Jüngeren wird automatisch größer werden, wenn wir die Woche der Brüderlichkeit um die Muslime erweitern. Das ist nur eine Frage der Zeit. Außerdem brauchen wir mehr kulturelle Veranstaltungen, denn Gottesdienste sind nur eine Seite des Judentums. Aber das Judentum hat viele Facetten.
Vier jüdische Gemeinschaften aus Hannover, von liberal bis ultraorthodox, beteiligen sich an der Woche der Brüderlichkeit. Kann das vielleicht sogar zu mehr Brüderlichkeit zwischen den verschiedenen Strömungen des Judentums führen?
Diesen Wunsch habe ich definitiv. Meine Hoffnung ist, dass es nicht nur zu einem christlich-jüdischen, sondern auch zu einem innerjüdischen Dialog kommen kann – in Hannover und überall.
Das Gespräch mit dem Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover führte Ayala Goldmann.