Als Elfjährigen vertrieben ihn die Nationalsozialisten aus seiner Geburtsstadt München ins Exil nach Tel Aviv. Später absolvierte er das Rabbinatsstudium am Leo Baeck College in London, um dann für die Versöhnung nach Deutschland zurückzukehren. Der im Februar verstorbene Rabbiner Henry G. Brandt ging diesem selbst erteilten Auftrag bis zuletzt unermüdlich nach.
Sein Vermächtnis wird seither von dem Augsburger Verein »Rabbiner Henry Brandt – Brücken bauen für interreligiöse Verständigung e.V.« gewahrt. In diesem Sinne lud der Verein auch am vergangenen Sonntag und Montag zu einem Symposium ein. Der Titel lautete: »Tikkun Olam« – was wörtlich so viel bedeutet wie »die Welt verbessern«. Beziehungen mit Begegnung und Dialog zu verbessern – es war das Lebensthema von Henry Brandt.
herausforderungen Auf dem zweitägigen Symposium diskutierten Wissenschaftler, Experten, Rabbiner sowie Gemeindevertreter gemeinsam über Herausforderungen im friedlichen Miteinander zwischen Juden, Christen und Muslimen. Im Fokus stand vor allem der muslimisch-jüdische Dialog, wie auch die Frage, was die Religionsgemeinschaften voneinander lernen können. An anderer Stelle wurde verhandelt, was Stadtgesellschaften von Religionen erwarten können – und umgekehrt.
2004 hatte Henry Brandt das Rabbinat der Jüdischen Gemeinde in Augsburg übernommen. Bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2019 engagierte er sich dort vor allem für den jüdisch-christlichen Dialog, aber auch für interkonfessionelle und andere interreligiöse Begegnungen. 2015 schließlich würdigte ihn die Stadt Augsburg mit dem Ehrenbürgertitel für sein Lebenswerk. Die Begründung: Brandt habe wesentlich dazu beigetragen, den religiösen Frieden in der Augsburger Stadtgesellschaft zu wahren.
Begegnung und Dialog zu verbessern – es war das Lebensthema von Henry Brandt.
Das bestätigt auch Rabbiner Gábor Lengyel. Er kannte Henry G. Brandt gut. Die beiden verband eine jahrzehntelange Freundschaft sowie die Motivation, den muslimisch-jüdischen Dialog voranzutreiben. Diesem Auftrag verpflichtet fühlt sich Lengyel noch immer. So veranstaltete er auf dem Symposium in Augsburg zusammen mit der aus dem Iran stammenden Theologin und Religionswissenschaftlerin Hamideh Mohagheghi an zwei Tagen die Abendveranstaltung »Wir lesen Torah und Qur’an gemeinsam.«
begegnungen Solche Begegnungen seien wichtig, denn zurzeit gebe es in Deutschland kaum einen jüdisch-muslimischen Dialog, hieß es in der Einladung. Beim Lesen der religiösen Schriften sei sowohl auf die Gemeinsamkeiten als auch auf die Unterschiede eingegangen worden, betont Lengyel. »Wir haben nichts unter den Teppich gekehrt.« Diskutiert habe man auch über die Scharia und die Halacha, allerdings nicht mit der Zielsetzung, ein konkretes Ergebnis zu erreichen. »Ich habe immer betont, dass wir die Gespräche auf einem niedrigen Level halten«, sagt der Rabbiner.
Die politische Diskussion, so auch die Probleme in Nahost, werden dabei vorerst ausgeklammert, denn noch sei das Konfliktpotenzial zu groß. Lengyel sagt: »Um die Konflikte gemeinsam zu besprechen, braucht man ein Vertrauensverhältnis, und um Vertrauen aufzubauen, muss erst einmal über leichtere Themen gesprochen werden.« Moses sei beispielsweise ein gutes Thema. Was steht hierzu im Koran? Und was in der hebräischen Bibel? Über solche Parallelen ließe sich gut sprechen.
Rabbiner Henry G. Brandt habe immer gesagt, Tikkun Olam, die Welt zu verbessern, sei eine hohe Messlatte, erinnert sich Lengyel. Verbessern könne man sie nur im unmittelbaren Umfeld. Dies dürfte nun mit dem Symposium in Augsburg erreicht worden sein. Lengyel ist sich sicher: »Henry hätte sich so gefreut.«