Biesdorf

Dem Krieg nur knapp entkommen

Durch die Terrassentüren der Tages- und Nachtpflegestätte »EL-Jana« weht ein leichter Wind, Sonnenstrahlen wärmen den Raum. Wärme, die die Schoa-Überlebenden und deren Angehörige, die vor fast einem halben Jahr mit Hilfe der ZWST nach Deutschland kamen, jeden Tag genießen. Auch an diesem 1. September.

Sie sitzen im großen Aufenthaltsraum, plaudern, mal lauter, mal mit vielen Pausen dazwischen und warten auf den Gast: Lisa Paus, die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Bündnis 90/Die Grünen. Der Besuch an diesem Septembertag bringt Geschichte mit sich: Vor 83 Jahren überfiel die deutsche Wehrmacht Polen. Das erste Leid für die hier anwesenden Ukrainerinnen und Ukrainer.

Kraft »Ich empfinde es als mehr als bewundernswert, dass man 80 Jahre nach der Schoa die Kraft besitzt, ins Land der Täter zurückzukehren«, eröffnet Paus ihre Rede, nachdem sie viele Hände geschüttelt hat. Die Dolmetscherin übersetzt. »Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine, aber ich bin hier, um zu hören, wie es Ihnen heute hier geht und wie Sie sich eingelebt haben.«

Erst hatte sie sich während des Gesprächs im Hintergrund gehalten, aber jetzt spricht die Schoa-Überlebende Lila Vaksman mit fester Stimme: »Wir kommen aus Rakiv und sind dem Schrecken des Krieges nur knapp entkommen, oft mussten wir Tag und Nacht vor den Bomben fliehen. Gerettet hat uns allein die Jewish Claims Conference, und jetzt haben wir es ihr zu verdanken, dass wir hier in Berlin in Frieden leben dürfen.«

Eine Schicksalsgemeinschaft an Überlebenden hat sich hier in der Tagespflege zusammengefunden.

Die älteste Bewohnerin Susana Neyman klagt von Heimweh. »Ich bin gerade 90 Jahre alt geworden, und ich möchte nicht darüber nachdenken, dass dieser Krieg noch länger anhalten könnte.« Es rühre sie jedoch, wie viele Ausflüge und Empfänge man für sie organisiert habe und mit wie viel Herzenswärme man sich um sie kümmere. So konnte neben vielen Familienmitgliedern zum Beispiel auch der Kater von Swetlana Sabudkina mit einziehen, obwohl Haustiere verboten sind. Die Leiterin Laura Rose rollt charmant mit den Augen: »Es ist ein äußerst hübscher Kater – was soll man tun?«

Eine Schicksalsgemeinschaft an Überlebenden hat sich hier in der Tagespflege in Biesdorf in Marzahn-Hellersdorf zusammengefunden. Hatten sie als Kinder aus jüdischen, ukrainischen Familien den Holocaust überleben können, kam im Februar der russische Angriffskrieg. Abermals wurden ihre Familien auseinandergerissen. Häufig waren es die Angehörigen, die sie zu dem Schritt, sich nach Deutschland evakuieren zu lassen, überredeten.

Seele »Es war sehr schwer, alles hinter sich zu lassen.« Ihr Ehemann sei schlecht zu Fuß, er könne nicht einfach mal so in den Bunker eilen. »Am Ende waren wir sehr positiv überrascht, Berlin mit all seiner Hilfsbereitschaft wiederzusehen. Die Seele möchte dennoch nach Hause«, sagt Tamara und lächelt tapfer. Sie würde wieder dorthin gehen, wo ihre Familie ist. Bis dahin tröstet sie sich mit dem Kochen vieler ukrainischer Rezepte. Es sei erstaunlich, wie schnell sie sich körperlich erholt haben, auch mit den Deutschen, die hier ebenfalls leben, sei es von Anfang an kein Problem gewesen. »Wir können das allerdings nur leisten, weil unsere Leitung russischsprachig ist«, sagt Geschäftsführer Thomas Böhlke, »manche kamen hier im Februar liegend an. Eine unserer Gäste wog nur 25 kg.« Nun habe sie ihm stolz berichtet, dass es wieder 45 kg sind.

»Der prägendste Moment war für mich, als sie eine Seniorin in Dnipro in ihrer Wohnung gefunden haben. Ganz allein saß sie dort, während draußen die Kämpfe tobten«, so Rüdiger Mahlo von der Jewish Claims Conference.

Sonya Tartakovskaya schwärmt von ihrem neuen Alltag: »Ehrlich gesagt geht es uns hier besser als je zuvor. Wir haben Essen und Medikamente. Ich danke!«

Soziale Medien

In 280 Zeichen

Warum sind Rabbinerinnen und Rabbiner auf X, Instagram oder Facebook – und warum nicht? Wir haben einige gefragt

von Katrin Richter  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Ehrung

Verdiente Würdigung

Auf der Veranstaltung »Drei Tage für uns« wurde der Rechtsanwalt Christoph Rückel ausgezeichnet

von Luis Gruhler  19.12.2024

Chabad

Einweihung des größten Chanukka-Leuchters Europas in Berlin

Der Leuchter wird auf dem Pariser Platz in Berlin-Mitte vor dem Brandenburger Tor aufgebaut

 18.12.2024

Berlin

Neue Töne

Beim Louis Lewandowski Festival erklingen in diesem Jahr erstmals nur orientalische Melodien

von Christine Schmitt  18.12.2024

»Coffee with a Jew«

Auf ein Käffchen

Das Münchener Projekt ist ein großer Erfolg - und wird nun fortgesetzt

von Luis Gruhler  18.12.2024

Wirtschaft

»Weichen gestellt«

Jacques Weller über ein von der Industrie- und Handelskammer initiiertes Netzwerktreffen mit jüdischen Unternehmern

von Ralf Balke  17.12.2024