Kurz vor 14 Uhr beginnt es zu regnen. Die Augen des Publikums richten sich zum bewölkten Himmel, und alle hoffen, dass es bei wenigen Tropfen bleibt. Denn der Festakt zur feierlichen Eröffnung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit an der Universität Potsdam findet draußen vor der Kolonnade des Neuen Palais im Schlosspark Sanssouci statt – im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und etwa 250 Gästen.
Aber das Wetter hält. Während Rabbinerin Jasmin Andriani, Absolventin des Abraham Geiger Kollegs, die Anwesenden begrüßt, treffen die Ehrengäste aus der soeben eingeweihten Synagoge auf dem Campus ein – sie liegt einige Hundert Meter entfernt in einem Verbindungsbau zwischen dem restaurierten Nordtorgebäude, dem historischen Hofgärtnerhaus der preußischen Könige (erbaut 1769), und der einstigen Orangerie.
Es ist dieser Gebäudekomplex, der heute, am Mittwoch vergangener Woche, als neuer Sitz des Abraham Geiger Kollegs, des Zacharias Frankel College und der School for Jewish Theology eröffnet wird.
BILDUNGSZENTRUM Das neue Bildungszentrum ist vom Gelände im Park, wo der Festakt stattfindet, nicht direkt zu sehen. Nur wenige konnten dabei sein, als zehn Minuten zuvor zwei Torarollen in die Synagoge eingebracht wurden.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, und Sonja Guentner, Vorsitzende der europäischen Union für das Progressive Judentum (EUPJ), haben die Rollen in den Toraschrein eingehoben – sie stammen aus der bisherigen Lernsynagoge des Abraham Geiger Kollegs in der Berliner Kantstraße.
Kantor Isidoro Abramowicz und Rabbiner Walter Homolka, Direktor des Abraham Geiger Kollegs, haben den Toraschrein nach dem Gebet zum Einheben wieder geschlossen. Wegen der Corona-Verordnungen musste die Zahl der Anwesenden in der kleinen Synagoge streng begrenzt werden.
Zentralratspräsident Josef Schuster
»Die Kooperation zwischen akademischer und rabbinischer Ausbildung ist ein Gewinn.«
Zum Beginn des Festakts sagt der Präsident der Universität Potsdam, Oliver Günther, eine wunderbare Entwicklung finde »ihren vorläufigen Abschluss: die Einrichtung des Fachs Jüdische Theologie an der Universität Potsdam. Erstmalig in der Geschichte werden an einer deutschen Universität Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet, die ersten Absolventinnen und Absolventen sind bereits weltweit in Amt und Würden.«
Und Rabbiner Homolka, der sich seit Jahren für den Bezug der Räumlichkeiten eingesetzt hat, freut sich über den Erfolg: »Endlich haben Jüdische Theologie und Rabbinerausbildung in Deutschland einen dauerhaften Ort!«
REDNER Dann spricht Bundespräsident Steinmeier. »Dein Haus sei weit geöffnet«, sagt er. Als offenes Haus habe sich das Abraham Geiger Kolleg von Beginn an verstanden. »Dahinter stand eine kühne Idee: Hier in Deutschland – ausgerechnet hier in Deutschland – sollten wieder liberale Geistliche in der großen Tradition des Reformjudentums ihre Ausbildung erhalten.«
In den letzten Jahren habe sich »neues jüdisches Leben in unserem Land entfaltet, jüdisches Leben, das vielfältig, lebendig, in die Zukunft gewandt ist«. Doch sei dieses jüdische Leben in Deutschland noch immer nicht selbstverständlich, jüdische Einrichtungen müssten noch immer geschützt werden: »Der Anschlag von Halle vor knapp zwei Jahren hat uns das mehr als schmerzlich deutlich gemacht.«
Es schmerze ihn und mache ihn zornig, »dass sich Antisemitismus, antisemitischer Hass und Hetze in Deutschland, ausgerechnet in Deutschland, wieder offen zeigen, schon seit Jahren«. Für Deutsche könne es nur eine Antwort geben: »Wir, jeder Einzelne und wir als ganze Gesellschaft, dulden keinerlei Antisemitismus! Wir schauen nicht weg! Wir wehren den Anfängen im Alltag, ehe aus Worten Taten werden, und treten denen entschieden entgegen, die Hass und Hetze verbreiten. Antisemitismus ist immer ein Seismograph dafür, wie es um unsere Demokratie steht.«
»Wir, jeder Einzelne und wir als ganze Gesellschaft, dulden keinerlei Antisemitismus!«
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Der nächste Redner ist Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), dem die Freude deutlich anzumerken ist. Die Eröffnung des Zentrums sei »ein kraftvolles Zeichen für selbstbewusstes jüdisches Leben in unserem Land. Ganz im Sinne des traditionellen Geistes der Offenheit und Toleranz in der jüdischen Gelehrsamkeit steht Brandenburg fest an der Seite der jüdischen Gemeinschaft.«
Der Ministerpräsident betont: »Die Ausbildung von Rabbinerinnen und Rabbinern in Potsdam wird das Leben der zehn jüdischen Gemeinden bei uns im Land Brandenburg befruchten, aber sicher auch weit über die Grenzen auf ganz Deutschland und Europa ausstrahlen.«
GEBOTE Anschließend redet Zentralratspräsident Josef Schuster. »Dass wir heute kurz vor dem Festakt die Torarollen in die wunderschöne moderne Synagoge eingebracht haben, ist kein Zufall«, sagt er. »Denn die Gebote und das Studium der Tora haben das jüdische Volk jahrtausendelang zusammengehalten.«
Die Lehren von Abraham Geiger und Zacharias Frankel dienten als Richtschnur zur Standortbestimmung für jüdische Studierende, die sich der liberalen oder im englischen Sprachgebrauch »Conservative«-Richtung zurechnen. Die Kooperation zwischen akademischer und rabbinischer Ausbildung sei »für alle Beteiligten ein Gewinn«.
Auch Schuster nimmt Bezug auf den aktuellen Antisemitismus und betont: »Wir haben keine unrealistischen Ziele. Wir sind hier zu Hause und wollen hier bleiben. Heute setzen wir ein wichtiges Zeichen unseres Glaubens an die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland. Heute ist ein guter Tag für die jüdische Gemeinschaft und das ganze Land.«
FORDERUNG Mit dem Grußwort von Sonja Guentner findet der Festakt seinen Abschluss. Anschließend erklärt Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD): »85 Jahre nach der Forderung Abraham Geigers stellen wir die christliche und jüdische theologische Wissenschaft und Ausbildung an unseren Universitäten endlich gleich.«
Und dann können sich die Gäste mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Restaurierung und Umbau von Nordtorgebäude und Orangerie gut gelungen sind. Etwa 80 Studierende zählt die jüdische Theologie an der Universität Potsdam, mehr als 40 Rabbiner und Kantoren wurden an den Rabbinerseminaren bereits ausgebildet.
Auch eine eigene Torarolle ist bereits in Auftrag gegeben. So bleibt nur zu hoffen, dass die Zukunft der jüdischen Theologie in Potsdam genauso vielversprechend und rosig sein wird wie die neu bezogenen Gebäude im Schlosspark Sanssouci.