»Wenn man menschlichen Schicksalen Namen und Gesicht zurückgibt, ist das eindrucksvoll und überzeugend«, sagt Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde in Erfurt. Er hat gerade im Erinnerungsort Topf & Söhne die Ausstellung »Kicker Kämpfer Legenden – Juden im deutschen Fußball« angesehen. Seit 8. Mai ist die seit Jahren bekannte Wanderausstellung des Berliner Centrum Judaicum – um den Schwerpunkt der Thüringer Geschichten des Fußballs während der Nazi-Zeit erweitert – für das Publikum geöffnet.
»Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es in Mitteldeutschland zu diesem Thema keine Geschichten gibt«, erklärt Kuratorin Annegret Schüle. Und so begann sie im Herbst vergangenen Jahres gemeinsam mit ihrem Team in Archiven des Landes zu forschen. Die Ergebnisse aus Erfurt, Jena und Gera sind jetzt zu besichtigen.
Sportclub Erfurt Eine der Geschichten ist die des Schuhfabrikanten Alfred Hess. In den 20er-Jahren wat er als Kunstmäzen bekannt. Nur wenige wissen, dass er zudem 1895 auch den Sportclub Erfurt unterstützte, den Vorgänger des heutigen FC Rot-Weiß Erfurt. Hess kaufte auf dem Cyriaksberg ein Gelände – groß genug für zwei Fußball-, einen Hockey- und sechs Tennisplätze. Er war leidenschaftlicher Fußballer. Als Dankeschön wurde er Ehrenvorsitzender auf Lebenszeit.
Allerdings starb er schon 1931 während einer Operation. Er erfuhr nicht mehr, dass Max Machemehl seine Nachfolge antrat. Unterschiedlicher konnten die beiden Gönner dieses ersten Erfurter Fußballklubs nicht sein: Denn Machemehl war Prokurist bei »Topf & Söhne«, also Oberverkäufer der Verbrennungsöfen und der Gaskammerbelüftungstechnik. Er wird alle jüdischen Fußballer in Erfurt aus dem Verein ausschließen.
Förderer 1890 entstand in Jena der erste Fußballverein. Förderer war Wilhelm Thiel. Seit er zwölf Jahre alt war, kickte er im Verein – bis 1936. Da wurde der in einer protestantischen Familie aufgewachsene Junge ausgeschlossen. Seine leibliche Mutter Babett Schuh war Jüdin und er nach Nazi-Ideologie ein »jüdischer Mischling«. Noch nicht einmal das Stadion durfte er betreten – ebenso wenig wie sein Chef, Gustav Schürer, auch er Jude.
Als der damalige Deutsche Meister FC Schalke 04 im Oktober 1937 gegen den Gastgeber SV Jena nur knapp mit 4:3 gewann, waren sie selbst als Zaungäste ausgeschlossen. Thiels Dauerkarte für seinen Fußballverein war ungültig. Nach dem Krieg wurde sie reaktiviert, 1997 war er der älteste Dauerkartenbesitzer des Fußballvereins und erhielt eine Ehrennadel.
Die Fußballmannschaft des Vereins »Freie Turnerschaft Untermhaus« in Gera bestand überwiegend aus jüdischen Männern. 1933 wurde der Verein verboten, jüdische Mitglieder gründeten 1935 die Sporttruppe Bar Kochba. Unterstützt wurden sie von dem jüdischen Fabrikanten Robert Mazur. Nach den Olympischen Spielen 1936 wurde Bar Kochba die Nutzung einer Sporthalle untersagt, noch im selben Jahr wurde die Gruppe aufgelöst.
Flucht Neun der 15 Mitglieder konnten Deutschland noch verlassen, sechs wurden ermordet. Robert Mazur glaubte sich als Hauptmann der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg geschützt. Dieser Glaube wurde in der Pogromnacht 1938 zerschlagen. Robert Mazur kam ins KZ Buchenwald, wurde misshandelt und floh nach der Entlassung aus Deutschland. Drei Jahre später starb er in London an den Spätfolgen der Folter.
Die Thüringer belassen es in dieser Schau nicht bei der Vergangenheit. Gemeinsam mit dem Verein »Spirit of Football« und den Fanprojekten in Erfurt und Jena bietet der Erinnerungsort mehrere Veranstaltungen, die sich mit fremdenfeindlichen Parolen in Fußballstadien heute auseinandersetzen.
Das Kreativ-Projekt »Lass dich nicht lenken – selber denken« ist eine dreitägige Veranstaltung für Projekte an Schulen. Es stellt Kickerbiografien vor und bietet zudem ein Fußballspiel im Stadtpark an. Die Schau dauert bis Ende November. Esther Goldberg