Irgendwie fühlt man sich an einen Jugendtreff erinnert, das Interieur und alles drum herum wirkt ein wenig improvisiert und bunt zusammengewürfelt. Und genau wie bei einem Zusammensein von quirligen Teenagern geht es auch zu, wenn sich in den Räumen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Passauer Straße jeden Mittwoch ab 19 Uhr der jüdische Single-Club trifft: locker, laut und fröhlich.
Mehr als 20 Alleinstehende im Alter von Ende 30 bis weit über 70 kommen regelmäßig dorthin, um einen abwechslungsreichen Abend in Gesellschaft zu verbringen. »Schließlich tut das Alleinsein niemandem gut«, bringt es Luba Landsman auf den Punkt. »Es macht unglücklich und schadet der Gesundheit.« Genau deshalb ergriff die resolute Anfangsechzigerin, die seit über 40 Jahren in Berlin lebt, die Initiative.
marktlücke Es gibt in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin viele kulturelle Angebote, aber eine Möglichkeit, sich als Single einmal in der Woche zu treffen, um in entspannter Atmosphäre bei Kaffee, Schnittchen und Kuchen andere Alleinstehende kennenzulernen, fehlte bislang. »Es war gewissermaßen eine Marktlücke«, sagt Luba Landsman und lacht.
Also kontaktierte sie kurzerhand den Gemeindevorsitzenden Gideon Joffe und schlug ihm ihre Idee von einem Treff für Alleinstehende im nicht ganz so juvenilen Alter vor, die sofort auf Zustimmung stieß. Damit wurde vor knapp einem Jahr der jüdische Single-Club ins Leben gerufen.
»Bei uns kommen die unterschiedlichsten Leute zusammen«, erklärt Landsman. »Deutsche und russische Juden, sogar ein Israeli war schon öfters zu Gast.« Dabei betont sie, dass trotz der zahlenmäßig starken Präsenz von Juden aus der Ex-Sowjetunion untereinander Deutsch gesprochen wird. Gerne würde Landsman den Single-Club noch ein wenig bekannter machen. »Bisher funktionierte das vor allem über Mund-zu-Mund-Propaganda.«
besucher So wie bei Miriam, einer ehemaligen Erzieherin und Mitarbeiterin der Jüdischen Gemeinde, die den Treff bereits zum dritten Mal besucht. »Und gewiss nicht das letzte Mal«, wie sie betont. Zum Kreis der ständigen Besucher gehört auch Manfred Strastil. Der nichtjüdische Regisseur kam durch seine Arbeit während des Sechstagekrieges erstmals nach Israel. »Kurz zuvor war ich noch in Ägypten, wo die Militärs mir ihre Vernichtungsfantasien unterbreiteten. Ich bin sofort Richtung Tel Aviv abgereist.«
Vor der Kamera hatte Manfred Strastil sie dann alle. »Unter anderem bin ich Golda Meir und Mosche Dayan begegnet.« Seine Affinität zu Israel sollte den Berliner dann in Kontakt mit deutschen Juden bringen. Nun sitzt auch er gemeinsam mit anderen Singles am großen Tisch des Clubs und plaudert munter drauflos.
Obwohl kein Programm im eigentlichen Sinne existiert und das zwanglose Beisammensein im Mittelpunkt stehen soll, gibt es immer wieder musikalische Darbietungen. »Wir hatten kürzlich eine ausgebildete Sopranistin bei uns, die für uns sang«, berichtet Landsman stolz. »Auch Tatjana gehört zu unserer Gruppe – eine am Konservatorium von St. Petersburg ausgebildete Pianistin, die manchmal für uns spielt.«
musik Die Liebe zur Musik scheint bei dem Treff die verbindende Klammer zu sein. Und so dauert es auch nicht lange, bis jemand aus dem Kreis zu seiner Gitarre greift und ein Lied anstimmt. Es ist Georg Potzies, zuerst singt er auf Jiddisch. Nach reichlich Beifall folgen Folk-Klassiker auf Englisch. Dass er das nicht zum ersten Mal macht, merkt man sofort.
»1991 habe ich den ersten Platz in einem deutschlandweiten Bob-Dylan-Imitationswettbewerb gewonnen«, erklärt der Musiker. Als Besucher der Synagoge Joachimsthaler Straße erfuhr Potzies vor einigen Monaten von dem Single-Club. »Eigentlich wollte ich nur mal kurz vorbeischauen.« Seitdem ist er Stammgast.
Single-Club, das klingt auch ein wenig nach Kontaktsuche auf die klassische Art und Weise. Kein anonymes Treffen im virtuellen Raum oder serieller Partner-Check im Zehn-Minuten-Takt wie beim Speed-Dating, sondern ein allmähliches Kennenlernen in der ganz realen Welt. Das muss weder langweilig sein, noch ist es angestaubt. Doch bis dato hat Amors Pfeil noch niemanden so richtig erwischt.
liebe »Aber einige freundschaftliche Bande sind bei uns schon geknüpft worden«, betont Landsman. »Die treffen sich bereits nicht nur an den Mittwochabenden. Und mit ein wenig Masel findet man bei uns auch die große Liebe.« Am mangelnden Temperament der Gäste im Treff wird dies nicht scheitern. Wie die plötzlich aufflammenden Diskussionen um die Politik Putins beweisen, haben die meisten Single-Club-Mitglieder ordentlich Pfeffer im Blut.
Doch keine Viertelstunde später werden sie von Ella Jucha ebenso bestimmt wie charmant wieder zur Ordnung gebeten. »Sei a Mensch!«, ruft sie dazwischen und fängt auf Jiddisch an zu singen, woraufhin fast alle in das Lied mit einsteigen. Die Harmonie ist wiederhergestellt – auch das erinnert irgendwie an einen turbulenten Jugendclub.