Frau Knobloch, am 13. Februar jährte sich der Brandanschlag auf das alte Gemeindezentrum der Kultusgemeinde in der Reichenbachstraße zum 54. Mal. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?
Der Anschlag war einer der Momente, bei denen man niemals vergisst, wo man war, als man davon erfahren hat. Für mich war der 13. Februar damals vor allem der Geburtstag meiner Tochter, und wir waren nach einer langen Feier entsprechend erschöpft. Es war aber auch ein Freitag, und als am späten Abend das Telefon klingelte, war mir sofort klar, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Ich hatte zu der Zeit kein Gemeindeamt inne, aber ich war im sozialen Bereich tätig und arbeitete mit Holocaust-Überlebenden und ihren Angehörigen. Ich kannte deshalb auch die Menschen, die in der Reichenbachstraße wohnten, und ich ahnte bereits, was ein Brand in dem Gebäude für sie bedeutete. Das ganze Treppenhaus bestand aus Holz! Die Hoffnung, dass sie sich doch noch irgendwie retten konnten, erfüllte sich leider nicht.
Welche Folgen hatte das Attentat für die Gemeinde?
Sieben jüdische Menschen wurden ermordet, mitten in München, und zwar offensichtlich nur, weil sie jüdisch waren. Das war eine Zäsur. Man darf nicht vergessen, dass viele Gemeindemitglieder damals noch Erinnerungen an den Holocaust hatten, das Kriegsende war gerade einmal 25 Jahre her, und jetzt brannte wieder eine jüdische Einrichtung in Deutschland. So sahen viele das. Nur drei Tage vorher hatte es außerdem einen Anschlag auf ein israelisches Flugzeug am Münchner Flughafen gegeben, und zwei Jahre später mussten wir das Olympia-Attentat miterleben. Einige Familien kamen in dieser Zeit zu der Einschätzung, dass ihr Leben als jüdische Menschen in München und Deutschland auf Dauer nicht sicher war. Es gab in den 70er-Jahren einiges an Abwanderung. Zwar hat die Politik sich sehr schnell und energisch an unsere Seite gestellt, aber der Schaden war bereits angerichtet.
Wie präsent war der Anschlag danach im Gedächtnis der Gemeinde?
Es mag überraschen, aber die Erinnerung spielte keine große Rolle, zumindest offiziell. Der Vorstand war vor allem daran interessiert, das Gemeindezentrum möglichst schnell neu aufzubauen, schon 1971 wurde der Grundstein gelegt. Und für das Gros der Gemeindemitglieder galt: Wer nach diesem Anschlag in München blieb, war bereit, bestimmte Dinge auszublenden – aus Selbstschutz. Innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde wollte man sich nicht an diese ständige Unsicherheit erinnern. Für uns damals war das die beste Möglichkeit, um weiterzumachen. Wir liefen ohnehin nie Gefahr, den Anschlag zu vergessen, denn das neue Gebäude in der Reichenbachstraße erinnerte uns bei jedem Besuch daran. Es gab in der Gemeinde auch eine erste Sicherheitsgruppe, als Reaktion auf den Anschlag. Nach der großen Zuwanderungswelle ab 1989/90 hatte dann nur noch eine Minderheit der Mitglieder überhaupt Erinnerungen an das Attentat, und im Bewusstsein der Münchner Mehrheitsgesellschaft kam der 13. Februar 1970 sowieso nicht vor.
Das änderte sich erst 2020, als die Landeshauptstadt zum 50. Jahrestag des Anschlags erstmals ein eigenes Gedenken ausrichtete. Was hat diese Initiative bewirkt?
Ich empfand es als wichtiges Zeichen, dass das Gedenken von der Stadt ausging. Wenn so etwas Furchtbares buchstäblich in der Mitte der Gesellschaft – im Herzen von München – passiert, dann sollte es im allgemeinen Interesse liegen, daran zu erinnern. Ich hatte den Eindruck, dass das Gedenken jetzt auch junge Menschen erreichte, unter anderem in unserer Gemeinde. Das war nötig, weil schon damals fast niemand mehr da war, der diese Nacht selbst miterlebt hatte. Der Zeitpunkt war deshalb richtig, um die Morde wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Der Kabarettist Christian Springer hat zum Gedenken 2020 einen Aufruf gestartet, um die Täter doch noch zu ermitteln, allerdings ohne Erfolg. Haben Sie noch Hoffnung, dass die Morde jemals aufgeklärt werden?
Herr Springer hat damals noch einmal Bewegung in eine halb vergessene Angelegenheit gebracht, und dafür bin ich ihm dankbar. Es gab über die Jahre schließlich eine Reihe von Theorien zur Täterschaft, von denen viele sehr plausibel klingen. Aber wie bereits 2020 wäre ich auch heute überrascht, wenn wir noch einen Durchbruch sehen würden. Sehr wahrscheinlich lebt der oder leben die Täter ohnehin nicht mehr.
Was wünschen Sie sich für die Erinnerung an den Anschlag in der Zukunft?
Den Schwung aus dem Gedenkakt vom Februar 2020 haben wir mit der Pandemie direkt danach leider verloren. Der tiefe Einschnitt in der jüdischen Geschichte Münchens nach 1945 darf aber nicht dauerhaft vergessen werden. Ich würde mich deshalb freuen, wenn es zumindest zu runden Jahrestagen auch weiterhin städtische Gedenkveranstaltungen gibt – und wenn die Zivilgesellschaft selbst zur treibenden Kraft würde, wäre das natürlich noch besser.
Mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sprach Leo Grudenberg.