Im Sommer hatte ich meinen Auftakt als Pianistin auf einem Kreuzfahrtschiff. Ich war drei Wochen auf See – großartig! Auf dem Schiff – es war die MS Europa 2 – habe ich auf zwei Steinway-Flügeln gespielt. Einer davon sah grau-perlmutt aus – so eine Farbe hatte ich zuvor noch nie gesehen. Wunderschön!
Ich habe jeden Tag in der Lobby gespielt, nachmittags vor allem Bar-Piano-Musik und abends dann auch Pop. Wenn ich im Belvedere auftrat, einer Lounge mit fantastischem Blick aufs Meer, habe ich in erster Linie klassische Musik ausgewählt. Der Reiseveranstalter hat mir die Auswahl komplett überlassen. Für drei Wochen braucht man ein großes Repertoire, denn viele Gäste kommen ja immer wieder.
Noten Ich spiele komplett ohne Noten. Aber ich habe ein Notizheft, in das ich mir die Liedtitel schreibe. Beim Spielen schaue ich dann hin und wieder, was ich als Nächstes bringe. Ich hatte kein festes Programm, sondern habe je nach Stimmung und nach den Zuhörern variiert. Auf der »Europa« reisen ja nicht nur ältere Leute, wie man oft annimmt, sondern auch Familien. Viele Gäste haben Wünsche geäußert. Und ich konnte dann über Blickkontakt sehen, wie mein Spiel ihnen gefiel und ob es angenommen wurde.
Manche Gäste hielten sich gern in meiner Nähe auf. Das hat mir einerseits gefallen, weil ich dadurch nicht allein war. Andererseits sind drei Wochen Gästekontakt auch sehr anstrengend, denn man muss sich ständig unter Kontrolle haben. Ich denke, ich halte es maximal vier Wochen aus, dann bin ich total erschöpft.
Vor meiner ersten Kreuzfahrt war ich noch nie auf einem Schiff gewesen. Ich hatte ein wenig Sorge, seekrank zu werden. Die Schiffsärztin gab mir prophylaktisch ein Mittel. Aber ich habe es nur ein Mal genommen. Letztlich fand ich es sogar recht interessant zu spielen, wenn der Flügel hin- und herschaukelt.
Auf dem Schiff hatte ich den Status eines Crew-Mitglieds und bekam deshalb auch eine Aufgabe zugewiesen für den Fall einer möglichen Seerettung. Ich habe auf dem Schiff sogar eine Prüfung ablegen müssen – und bin sehr stolz, dass ich mir alle Regeln merken konnte. Besonderen Spaß hat es mir gemacht, dass ich so viele Städte kennengelernt habe: Kiel, Hamburg, Oslo, Kopenhagen, Lissabon, Malaga und Barcelona.
Konservatorium Bislang bin ich für Konzerte vor allem durch Russland und Deutschland gereist. Und ich war in Israel – dort hatte ich eine Kibbuz-Konzerttour. Geboren wurde ich in Jekaterinburg. Ich war dort am Konservatorium und habe an der Musikhochschule studiert. Während des Studiums habe ich bei dem inzwischen leider verstorbenen russischen Komponisten Oscar Feltsman etwas von dessen Kunst gelernt und das Trio »Mazel Tov« gegründet. Wir haben die CD »Sholom Sholom« und »Jüdisches Glück« herausgebracht und überhaupt viel jüdische Musik gespielt.
Ich habe diese Musik auch bearbeitet – nach den klassischen Regeln, sodass Hits wie »Tumbalalaika« oder »Bei mir bist du schejin« zwar verändert sind – aber so, dass sie auch für Musikkenner interessant sind. Ich war als Solistin und mit meiner Band ziemlich erfolgreich, und wir haben viele Konzerte gegeben. Das war auch nötig, denn ich musste meine Familie ernähren.
Da wir auswandern wollten, durften meine Eltern nicht mehr arbeiten. Sie waren als Ingenieure in sogenannten sicherheitsrelevanten Betrieben beschäftigt, bei denen zwischen Kündigung und Auswanderung fünf Jahre vergehen müssen.
Auswanderung Wir waren unsicher, ob wir nach Israel oder Deutschland auswandern sollen. Aber meine Mutter verträgt die Hitze nicht. Hinzu kam, dass mich Bekannte aus Deutschland motiviert haben, hierherzukommen. Und von Verwandten in Israel wussten wir, dass das Leben dort schwieriger ist als in Deutschland.
Leicht war es hier zu Beginn allerdings auch nicht. Zu Hause war ich bekannt, hatte Preise gewonnen, die Leute haben mich auf der Straße angesprochen und um Autogramme gebeten. Hier in Deutschland landeten wir vor neun Jahren erst einmal in einem winzigen Städtchen, in dem abends um sieben alle offenbar schlafen gingen. Immerhin gelang es mir, in einem Nachbarort ein Klavier zum Üben zu finden. Ich bin dann immer zu Fuß dorthin gelaufen.
Das Städtchen war mir zu klein und provinziell – wir haben deshalb alles daran gesetzt, nach Frankfurt zu kommen. Schließlich hatten wir Erfolg, und das Sozialamt bewilligte uns eine kleine Wohnung. Da saßen wir nun in den leeren Räumen und waren einfach nur glücklich. Kurz darauf packte ich zum ersten Mal in Deutschland wirklich meine Koffer aus. Ich schrieb mich in einen Sprachkurs ein, suchte mir einen Flügel zum Üben und fing an, in Restaurants zu spielen.
In den ersten Jahren in Deutschland reiste ich manchmal noch nach Russland, um Konzerte zu geben. Meine Seele war noch dort. Mit der Zeit bin ich auch in Deutschland ein wenig bekannter geworden. Ich spiele bei Veranstaltungen in Restaurants und Bars in Frankfurt. Zudem habe ich Auftritte in Skiresorts und Hotels in Österreich und in der Schweiz. Seitdem ich eine eigene Homepage mit Videos habe, läuft es besser mit den Bewerbungen. Aber es ist mir noch immer fremd, dass ich mich um Auftritte so bemühen muss. In Russland war ich von Kindesbeinen an diejenige, die man anrief, wenn man eine Klavierspielerin suchte oder jemanden, der ein wenig improvisierte.
Büro Trotzdem möchte ich nie im Leben mit einem Beamten oder einem Banker tauschen. Es ist zwar schön, jeden Monat ein regelmäßiges Gehalt zu bekommen, aber ich könnte nicht den ganzen Tag im Büro sitzen. Außerdem hätte ich Schwierigkeiten, morgens pünktlich da zu sein, denn ich bin ein Nachtmensch und schlafe morgens gern lange. Bis nachts um eins am Klavier zu sitzen, das macht mir hingegen nichts aus.
Ein Leben ohne Musik könnte ich mir nicht vorstellen. Das würde ich nicht aushalten. Schon als Kind habe ich gern Klavier gespielt – auch wenn ich, vermutlich wie die meisten Kinder, nicht gerne geübt habe. Ich bin faul – aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Wenn meine Lehrerin mich ermahnt hat oder es darauf ankam – zum Beispiel vor einem Wettbewerb –, dann war ich immer fleißig. Aber ich wollte immer nur diejenigen Stücke üben, die ich mochte und die mich interessierten. Zum Glück hat Gott mich beschenkt, und mir ist vieles einfach zugeflogen.
Manchmal fällt mir eine Melodie ein – dann vergesse ich alles um mich herum, setze mich ans Klavier und spiele. So kann es sein, dass ich das Frühstück verpasse oder mitten in einer Arbeit einfach aufhöre und ans Klavier verschwinde und improvisiere. Das liebe ich!
Israel Sehr gern würde ich wieder in Israel auf Konzertreise gehen. Ich habe in meinem Herzen eine besondere Beziehung zu diesem Land. Schon wenn ich aus dem Flugzeug steige und den Boden betrete, ist das ein besonderer Moment.
Aber ich werde in Frankfurt bleiben und mir hier eine Zukunft aufbauen. Ich möchte auch die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen, denn dann habe ich bessere Möglichkeiten, in den USA aufzutreten. Vielleicht führt mich ja eines Tages auch eine Kreuzfahrt dorthin.