Der Name markiert eine Zäsur: Halle. Für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland gibt es eine Zeit vor und eine nach dem rechtsextremen Anschlag in der Stadt in Sachsen-Anhalt. An Jom Kippur 2019, dem 9. Oktober, versuchte ein Attentäter, in die Synagoge in Halle einzudringen. Als das misslang, zog er durch die Stadt und erschoss zwei Menschen.
Nun, vier Jahre nach der Tat, wird in der Reihe »Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart« ein neuer Band veröffentlicht, der die Ereignisse sowie den Umgang der Überlebenden und ihrer Unterstützer mit diesen aufarbeiten soll. Am Mittwoch vergangener Woche wurde Nachhalle in Berlin vorgestellt.
landeszentrale Bei der Veranstaltung in der Landeszentrale für politische Bildung waren neben der »Jalta«-Mitherausgeberin Anna Schapiro auch Rabbinerin Rebecca Blady, die den Anschlag damals in der Synagoge miterleben musste, sowie Rachel Spicker von der Mobilen Opferberatung Sachsen-Anhalt anwesend.
Spicker unterstützt seit dem Attentat zahlreiche Betroffene, unter anderem durch ihr Engagement in der »Soligruppe 9. Oktober«. Als Aktivistin will sie sich dennoch nicht bezeichnen lassen. »Es ist Teil eines jüdischen Selbstverständnisses, sich für andere einzusetzen«, sagte sie bei der Vorstellung von Nachhalle.
An Jom Kippur 2019, dem 9. Oktober, versuchte ein Attentäter, in die Synagoge in Halle einzudringen.
In dem Beitrag, den sie zusammen mit Naomi Henkel-Gümbel zum Band beigesteuert hat, geht es um »Solidarität und Allianzen nach Halle«. In diesem beschreibt sie, wieso es ihr und anderen so wichtig war, die unterschiedlichen Überlebenden des Attentats – darunter Ismet Tekin, in dessen Schnellrestaurant Kevin S. erschossen wurde – miteinander zu vernetzen: »Es wurde klar, dass wir uns kennenlernen, uns gegenseitig zuhören und unterstützen wollten, um gemeinsam die öffentlichen Narrative dieses Anschlags zu verändern.«
intention Aus derselben Intention heraus ist auch das »Festival of Resilience« entstanden, an dessen Organisation Spicker beteiligt ist. Mitinitiatorin Blady beschreibt die Veranstaltung als »eine Chance für uns, unsere Erzählung, unsere Geschichte zu beanspruchen, bevor es jemand anderes tun konnte«.
Das Festival, das in diesem Jahr zum vierten Mal in Berlin stattfinden wird, soll den Betroffenen unterschiedlicher rechtsextremer Anschläge eine Stimme geben. Rabbinerin Blady war in der Synagoge von Halle, als der Attentäter an Jom Kippur 2019 versuchte, in diese einzudringen.
Für sie habe das Ereignis die Bedeutung der Hohen Feiertage grundlegend verändert. Das »Festival of Resilience« ist »um das jüdische Fest Sukkot herum aufgebaut«, eingeladen seien »Menschen aus verschiedenen Kulturen, die durch eine gemeinsame Mission vereint sind, um im Dienste des Weltfriedens unter einer vorübergehenden, farbenfrohen, heiligen Sukka zusammenzukommen«, schreibt Blady in ihrem Text im Sammelband.
Auch die anderen Beiträge in Nachhalle – unter anderem geschrieben von Hannah Peaceman, Ezra Waxman und Frederek Musall – vereint das Ringen darum, das Attentat nicht nur zu analysieren, sondern aus ihm die Kraft für die jüdische Gemeinschaft zu ziehen, sich gegen Menschenfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt zu wehren. Denn, wie Rabbinerin Blady schreibt: »Resilienz ist ein fundamentaler Teil dessen, was wir sind.«
Micha Brumlik et al. (Hrsg.): »Nachhalle« in der Reihe »Jalta. Positionen zur jüdischen Gegenwart«. Neofelis, Berlin 2023, 203 S., 16 €