Kaum hat das neue Schuljahr begonnen, stehen mit Rosch Haschana ab 20. September die Hohen Feiertage vor der Tür. Ob Jom Kippur, Sukkot oder Schemini Azeret und Simchat Tora, sie fallen in diesem Jahr alle auf Werktage. In den jüdischen Schulen reagiert man durchweg gelassen auf diese Herausforderung, den Stoff in der verkürzten Zeit durchzunehmen.
»Wir sind eine Schule mit ganzheitlichem Konzept«, sagt Noga Hartmann, seit drei Jahren Direktorin der Frankfurter Lichtigfeld-Schule. Dazu gehöre, dass man die Schüler auch auf die Herausforderungen vorbereite, die ihnen später im Leben begegnen. »Phasen, in denen es mal etwas stressiger ist, sind doch Teil des Lebens, und wir begegnen ihnen mit Gelassenheit und Kompetenz.« Den Kindern könne man auf diese Weise gut vermitteln, dass »Anspannung und Entspannung dazugehören«.
Aus pädagogischer Sicht seien die Feiertage so kurz nach dem Beginn des neuen Schuljahrs ohnehin kein wirkliches Problem, »als Lehrer ist man es ja gewohnt, zu schauen, was in bestimmten Situationen zu tun ist«. Kurz vor freien Tagen oder Ferien »beginnt man dann beispielsweise kein neues Kapitel, sondern arbeitet die bekannten Themen noch einmal auf und festigt das Gelernte dadurch«.
Chol Hamoed Natürlich werde auch auf die Chol-Hamoed-Tage Rücksicht genommen, betont Hartmann. Dies sind die Tage zwischen Sukkot und Schemini Azeret, also die »Zwischenperiode«, denn die ersten beiden Tage von Sukkot sowie die letzten beiden Tage (Schemini Azeret und Simchat Tora) sind volle Feiertage, und fünf Tage sind Chol Hamoed.
»Es gibt an unserer Schule Kinder, die dann nicht schreiben, und wir setzen entsprechend in dieser Zeit keine Termine für Klassenarbeiten an.« Das werde sich natürlich auch nicht ändern, wenn die Lichtigfeld-Schule bald größer wird. »Ich habe nämlich die größte Nachricht überhaupt für uns erhalten: Unsere Schule wird ab dem nächsten Schuljahr mit der Sekundarstufe II beginnen. Wir haben die Anerkennung für die gymnasiale Oberstufe bekommen«, freut sich Noga Hartmann. »Das heißt, die Lichtigfeld-Schule wird das staatlich anerkannte Abitur anbieten können, das ist für viele Eltern ganz wichtig. Bisher mussten die Kinder nach der Sekundarstufe I auf eine andere Schule wechseln.«
»Wir koppeln alles immer sehr gut miteinander«, erklärt Heike Michalak, Leiterin der Jüdischen Traditionsschule in Berlin, »das heißt, Rosch Haschana wird bei uns beispielsweise nicht nur im Fach Judaistik, sondern auch in den Fächern Deutsch, Kunst, Musik behandelt.«
Feriengestaltung Kurz nach der Einschulung am 8. September erleben die ganz Kleinen »gleich, dass bei uns in der Schule alles immer zusammengehört, der Unterricht und das Feiern«. Allerdings hat die Schule auch die Herbstferien um eine Woche verkürzt. »Das ist erlaubt«, sagt Michalak, »natürlich muss das immer durch die Schulbehörde genehmigt werden.« Ihre Schule mache das nicht zum ersten Mal. Im vergangenen Schuljahr habe man die Pfingstferien ganz ausfallen lassen. Das jetzt auch im Herbst zu machen, wäre jedoch nicht möglich. »Dann wird die Schulzeit bis zu den Winterferien einfach zu lang für die Kinder.« Die Eltern störe der Wegfall einer freien Woche im Übrigen nicht, »im Gegenteil, sie sind eher froh, dass die Kinder betreut sind«.
Auch an der Yitzhak-Rabin-Schule in Düsseldorf werden die Feiertage in den Unterricht mit einbezogen, wie Schulleiterin Daphne Schächter erklärt. »Wir schreiben Grußkarten mit guten Wünschen und lernen dann gleichzeitig, wie man einen Brief schreibt, sprechen in der Versöhnungszeit zwischen dem Neujahrsfest und Jom Kippur über unsere Klassenregeln und darüber, wie Streit geschlichtet werden kann.« Natürlich habe es Auswirkungen, wenn gleich nach dem Schuljahresbeginn schon Feiertage seien, »aber darauf kann man sich ja frühzeitig einstellen«, meint Schächter.
Über die christlichen Feiertage wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten spreche man ebenfalls im Unterricht, sagt Schächter. »Wir haben ja auch nichtjüdische Schüler, die diese Feiertage begehen, davon erzählen und Fragen beantworten.« Das jetzige Schuljahr sei »in der Tat sehr kurz, nach den Herbstferien wird es für die Schüler wirklich in die Vollen gehen«. Gerade die Erstklässler seien jedoch »supermotiviert«. »Es ist immer wieder schön zu sehen, wie stolz sie bei der Einschulung sind. Und bei ihnen dauert es auch nicht lange, bis sie sich an den neuen Rhythmus angepasst haben, trotz Feiertagen. Wenn sie einmal krank sind, sind sie richtig traurig, dass sie die Schule verpassen.«
Stundenplan An der Yitzhak-Rabin-Schule gibt es Unterrichtsgarantie, das heißt, in der Ganztagseinrichtung fällt kein Unterricht aus. Dabei herrscht eigentlich ein großer Mangel an Grundschullehrern. Den Stundenplan zu Beginn des Schuljahrs zu erstellen, sei entsprechend langwierig, erzählt Schächter. »Wir machen das zu zweit und per Hand.« Das dauere dann ungefähr eine Woche. Es gebe zwar Computerprogramme dafür, »aber alleine dort die für uns geltenden Gegebenheiten einzugeben, würde vermutlich ein Jahr lang dauern«, sagt sie.
Rabbiner Yaacov Zinvirt von der Heinz-Galinski-Schule in Berlin sieht in dem Unterrichtsausfall durch Feiertage ebenfalls kein großes Problem. »Es sind nur ein paar Tage im Jahr, das wird dann halt alles nachgeholt«, sagt er und merkt an: »Jede Sache geschieht auf Kosten einer anderen, so ist das eben immer im Leben.« Alle Feiertage werden in der Schule gefeiert. »Wir erinnern uns nicht nur an die Geschichte, sondern aktualisieren sie. Denn wir fragen uns auch: Was bedeutet ein Feiertag in der heutigen Zeit für uns? An Pessach sprechen wir darüber, was Freiheit heute bedeutet.«
Es sei wichtig, dass die Kinder die Feiertage erlebten, »und dann weiter machen in der Zukunft«. Viel Wert lege man daher in der Schule auch auf praktische Dinge. »Wir backen zum Beispiel miteinander Challot und lernen, welche Gebete man in der Synagoge spricht.« Das lebenslange Lernen gehöre »zur Art des Lebens im Judentum« dazu. »Ich habe viel von meinen Lehrern gelernt, aber von meinen Schülern habe ich am meisten gelernt«, erklärt Zinvirt.
Simcha Der Lernerfolg lasse sich schließlich auch beeinflussen: Simcha, hebräisch Freude, sei für das Lernen wie für das Lehren eine wichtige Voraussetzung. »Der Mensch muss mit einem inneren Lächeln dabei sein.« Wenn der Lehrer selbst motiviert sei, »dann ist die Hälfte schon getan«, meint der Rabbiner. Dazu gehöre auch, dass man mit den Schülern nicht »von oben nach unten« spreche, sondern dass »Lehrer und Schüler Teil des Ganzen sind«. Die Kinder müssten beispielsweise nicht nur Fragen stellen dürfen, sondern sich auch im Unterricht miteinander über den Lehrstoff unterhalten können. »Wir brauchen ja keine Papageien, sondern Menschen, die denken und kritisch sind«, erläutert Zinvirt sein pädagogisches Konzept.
Und was die ausfallende Unterrichtszeit betreffe, sei es eben so: »Wenn man alles haben möchte, muss man eben ein bisschen jonglieren.«