Nicht nur in Israel wird Jom Haschoa begangen, auch die deutschen Gemeinden erinnern – in diesem Jahr am 8. April – an die Opfer des Holocaust und an die Juden, die als Untergrundkämpfer versuchten, das Morden der Nazis zu beenden. In Auschwitz findet zudem der Marsch der Lebenden statt – eine Gedenkveranstaltung, bei der Tausende jüdische Jugendliche aus aller Welt an die sogenannten Todesmärsche der KZ-Häftlinge erinnern.
Wie aber vermittelt man das Thema Schoa Grundschülern, die das Ausmaß des Mordens gar nicht erfassen können, weil sie noch viel zu jung dafür sind? »Die älteren Schüler recherchieren Schicksale aus der eigenen Familie. Davon werden dann sechs beim Gedenkgottesdienst in der Gemeinde vorgelesen«, beschreibt Alexa Brum, Leiterin der Lichtigfeldschule in Frankfurt am Main, einen Aspekt der Vorbereitungen auf Jom Haschoa. Ganz wichtig ist ihr, dass das öffentliche Vortragen »absolut freiwillig ist, dazu gehört auch, dass die Familie ihr Einverständnis dazu gibt«.
Empathie Angeregt zu diesem Unterrichtsprojekt wurden die Lehrer bei einer Fortbildung in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, wo schon seit einigen Jahren deutschsprachige Pädagogen Anleitungen zu kindgerechter Aufarbeitung der Schoa erhalten. »Es geht nicht um Zahlen und Dokumentation von Gräueltaten, sondern um einen individuelleren Ansatz, der ganz vom Menschen ausgeht: Wie war das Leben der Großeltern, wie haben die Juden vor 70, 80, 90 Jahren gelebt?« Die Fortbildung sei »qualitativ extrem hochwertig« gewesen, erinnert sich Brum, »das wissenschaftliche Niveau war fantastisch«.
Auch nichtjüdische Lehrer seien dabei gewesen, »wir erfuhren einen Respekt im Umgang miteinander, der uns alle außerordentlich bewegt hat. Wie wir diese erlebte Empathie, die dadurch freigesetzt wurde, in der Arbeit mit den Kindern umsetzen können, war Gegenstand der folgenden Seminare.« Was Schülern welcher Altersstufen in welcher Form zugemutet werden kann, gehörte mit zu den Themen: »Kurz und knapp gesagt, muss man ihnen in den verschiedenen Stufen dort begegnen, wo sie stehen, da sind wir uns wohl an allen deutschsprachigen jüdischen Schulen einig.«
Drei Puppen Dazu werden in Frankfurt auch Bücher eingesetzt, die von Yad Vashem herausgegeben werden und das Thema Holocaust auf kindgerechte Weise thematisieren. »Three Dolls« erzählt beispiels- weise die Geschichten dreier mittlerweile alter Damen, für die ihre Puppen während der Zeit der Verfolgung viel mehr waren als nur hübsch angezogenes Spielzeug. »Die Kinder können anhand dieses Buchs viel über die Nazizeit aus dem Blickwinkel Gleichaltriger erfahren«, sagt Brum, »und natürlich nachvollziehen, wie wichtig sie waren, denn auch für heutige Kinder sind Puppen und Teddys Tröster.«
Altersgemäß, aber nicht traumatisierend – so beschreibt auch Noga Hartmann, Direktorin der Berliner Heinz-Galinski-Grundschule, den pädagogischen »Umgang mit diesem sensiblen Thema«. Die Lehrer staunten »immer wieder, wie viel die Kinder schon wissen, manche Großeltern leben zwar nicht mehr, aber manche haben auch grausame Geschichten erzählt«.
Als Beispiel nennt Hartmann ein Kind, das auf die Frage, wie sich Oma und Opa kennengelernt haben, davon erzählte, wie sich der Großvater freiwillig zur Roten Armee meldete, um gegen die Nazis zu kämpfen. In den Wäldern fanden die jungen Soldaten viele Leichen von Menschen, die von den Deutschen ermordet worden waren. »Für dieses Kind war die Geschichte mit ihren Gräueln so präsent, dass sie ganz eng mit den beiden Großeltern verbunden war«, sagt Hartmann. »Die Kinder tragen dieses Erbe auch mit sich herum.«
Jahresmotto In der Heinz-Galinski-Grundschule wird es am 8. April eine gemeinsame Gedenkfeier für alle Schüler geben. In den ersten beiden Stunden wird das Thema Holocaust in den Klassen behandelt. »Aus der Feier kann dann jeder das mitnehmen, was er versteht.« Das jeweilige Jahresmotto der Schule wird mit einbezogen, »im vergangenen Jahr lautete es Heilung der Welt, und da wollten wir aufzeigen, dass vor vielen Jahren etwas sehr Schlimmes passiert ist, aber es immer Hoffnung und das Ziel ist gibt, die Welt zu heilen«.
In diesem Jahr ist das Motto »Derekh Erez Kadma la-Tora« dabei geht es um menschlichen Anstand und das Leben gemäß der Tora, »und zu diesem Anstand gehören unter anderem Zivilcourage und das Aussparen von Ungerechtigkeit – egal, gegen wen sie sich richtet«.
Die Schüler besuchten auch die Blindenwerkstatt von Otto Weidt, der einige seiner jüdischen Arbeiter retten konnte. Auch das Bilderbuch Papa Weidt von Inge Deutschkron wird im Unterricht gelesen. »Wir wollen den Kindern Kraft geben, ihnen zeigen, dass sie nicht hilflos sind. Das Thema ist furchtbar, aber der Holocaust ist nun einmal geschehen, und es wurden ganze Generationen ausgelöscht – deshalb kann man es nicht einfach totschweigen«, betont Hartmann.
Bücher In der Düsseldorfer Yitzhak-Rabin-Schule wird es keine spezielle Feier zu Jom Haschoa geben. »Wir arbeiten das Thema Holocaust am 9. November mit unseren Viertklässlern auf«, berichtet Direktorin Natascha Dörner. Viele der Neun- und Zehnjährigen hätten allerdings bereits zu Hause viel über die Schoa gehört. Die Eltern werden daher auch gezielt informiert, welche Unterrichtsinhalte vermittelt werden sollen und beispielsweise auch, welche Literatur in der Schule verwendet wird.
»Sie möchten die Bücher meistens gern auch selbst lesen, damit sie zu Hause gezielt darauf eingehen und dann auch Fragen ihrer Söhne und Töchter beantworten können.« Oft sind die Protagonisten der Werke Kinder. »Die Schüler können sich besser in sie hineinversetzen als in Erwachsene. Wir arbeiten mit verschiedenen Materialien, zum Beispiel mit einem Bilderbuch, das kindgerecht Ausschnitte aus Anne Franks Tagebuch enthält.
Natürlich ist es immer einfacher, wenn wir uns mit Literatur beschäftigen, in der die Kinder überlebt haben, aber den meisten ist es damals eben nicht gelungen«, konstatiert Dörner. Insgesamt gelte für alle Altersstufen: »Man muss sehr sensibel auf Fragen antworten und genau aufpassen, was man mit Kindern bespricht.«
Zeitzeugen Zur Gedenkfeier am 9. November kommt auch immer ein Überlebender in die Düsseldorfer Schule, um mit den Kindern über den Holocaust zu sprechen. »Bisher hatten wir noch jedes Jahr das Glück, in Kooperation mit der hiesigen Mahn- und Gedenkstätte einen Juden einladen zu können, der die Schoa überlebt hat«, sagt Dörner.
»Alle sind immer sehr gut auf die Schüler eingegangen.« Solange noch Zeitzeugen lebten, werde man diese Tradition auch fortführen. Auch, weil die Fortbildung in Yad Vashem vor Augen geführt habe, dass es ganz wichtig sei, Kindern zu vermitteln, »wie jüdische Menschen früher gelebt haben«.
Informationen über deutschsprachige Fortbildungen und Materialien der Internationen Schule für Holocaust-Studien (ISHS) von Yad Vashem finden Sie im Internet unter www.yadvashem.org/yv/de/index.asp