Noch steht es. Aber es ist bereits vollständig leer geräumt, die Fenster zur Straße hin sind mit einem feinen Film aus Staub und Ruß überzogen: das Fachwerkhaus in der Bremer Straße Nummer 14 im Städtchen Bremervörde in Nordwestniedersachsen. Geht es nach dem Willen der Stadt, soll es spätestens im Sommer abgerissen werden und einem Verbrauchermarkt der Gruppe Bündig, einem »Famila«-Supermarkt, weichen soll.
Doch das Haus hat eine bewegte und bewegende Geschichte hinter sich: Erbaut um etwa 1840, gehörte es von 1909 an dem jüdischen Schlachter und Viehhändler Joseph Salomon, der damit auch das Bürgerrecht erwarb. Soldat für den Kaiser im Ersten Weltkrieg, talentiert in der Viehzucht, konnte er in den Weimarer Jahren zusätzliches Land erwerben, gründete schließlich einen landwirtschaftlichen Betrieb, während er mit seiner Familie in Bremervörde wohnte, als anfangs angesehener Bürger der Stadt.
Theresienstadt Was sich ändern sollte: Ab 1933 verlor Joseph Salomon nach und nach seinen Besitz und musste schließlich auch das Haus in der heutigen Bremer Straße 14 verkaufen – weit unter Wert, versteht sich. Er selbst konnte 1939 mit seiner Familie in die USA emigrieren; seinen beiden Schwestern gelang dies nicht mehr. Ihre Spuren verlieren sich in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz.
Lange war diese Geschichte in Bremervörde unbekannt, dann zwar erforscht, aber kaum verbreitet. Dass heute wenigstens mit einer Gedenktafel am Bremervörder Rathaus an die Schwestern Salomon, aber auch an die anderen 41 Bremervörder Juden, die zum Teil schon vor 1933 Opfer von Bedrängung und Verfolgung wurden, erinnert wird, ist dem pensionierten Lehrer Klaus Volland zu verdanken. Er hat, wie auch die Bremervörder Lehrerin Petra Fischer, beharrlich nach den Spuren jüdischen Lebens in Bremervörde, aber auch im benachbarten Zeven geforscht und dazu immer wieder publiziert.
Volland ist es auch, der den Abriss des einstigen Hauses von Joseph Salomon – in dem während der vergangenen 30 Jahre eine Kneipe untergebracht war – nicht klaglos hinnehmen will. Dabei soll der Bau des Supermarktes keinesfalls verhindert werden. Vielmehr hat eine von Volland gegründete Bürgerinitiative Vorschläge erarbeitet, wie man das Haus stehen lassen und in den großflächigen Neubau integrieren könnte, um es als Café, Bäckerei oder auch Blumenladen zu nutzen. Hauptsache, das Haus bliebe stehen!
Projekt Doch das Unternehmen Bündig und die Stadt haben schon abgewunken: Viel zu teuer, zu kompliziert und auch zu aufwendig sei ein solches Projekt. Und das, wo das alte Fachwerkhaus noch vor wenigen Jahren von der Stadt selbst als »stadtbildprägend« im »Gestaltungsleitfaden zum Sanierungsprojekt Innenstadt Süd« aufgelistet worden war; eine Art Verordnung, die sich die Stadt Bremervörde für ihren Altstadtkern selbst auferlegt hat, um architektonischen Wildwuchs zu unterbinden.
Doch solche Entscheidungen lassen sich per Ratsbeschluss wieder ändern, und die Stadtverwaltung ist bereits dabei, die dafür notwendigen Schritte einzuleiten. So befindet sich Klaus Vollands kleine Bürgerinitiative in einer nicht gerade beneidenswerten Situation: Viele Bremervörder freuen sich auf die neue Einkaufsmöglichkeit, andere zucken bedauernd mit den Schultern, und von den politischen Parteien, die im Stadtrat vertreten sind, hat sich noch keine sicht- und hörbar auf Vollands Seite geschlagen.
Demnächst soll ein neuer Bebauungsplan öffentlich ausliegen – wie üblich vier Wochen –, das ist die letzte Chance, Einspruch zu erheben. Danach entscheidet der Stadtentwicklungsausschuss, dann der Rat der Stadt. Und es sieht nicht so aus, als könne Klaus Volland mit Unterstützung rechnen: Lediglich die Grünen plädieren für den Erhalt des alten Hauses.
Mittlerweile haben der zukünftige Nutzer wie auch die Stadt signalisiert, dass man an der neuen, monochromen und fensterlosen Fassade des neuen Verbrauchermarktes eine weitere Gedenktafel anbringen könnte, die dann von der Geschichte des nun verschwundenen Hauses und seines einstigen Besitzers erzählen würde. So läuft das oft – nicht nur in der niedersächsischen Provinz: Die realen Zeugnisse des einstigen jüdischen Lebens verschwinden – es bleiben Gedenktafeln.