Dass ich heute hier sein kann, ist mein ganz persönlicher Sieg über Hitler», sagt Batsheva Dagan und blickt auf ihren linken Unterarm. Dort sind die Ziffern 45554 in schräger Schrift eintätowiert. Die Zahlenkombination war ihre Häftlingsnummer in Auschwitz-Birkenau. «Die Tätowierung erinnert mich immer wieder an meine Aufgabe», sagt Dagan. «Ich muss der jungen Generation von den Schrecken der Vergangenheit erzählen, damit so etwas nie wieder passiert.»
Anfang August war die 92-jährige Schoa-Überlebende aus Cholon in Israel nach Ravensbrück in den Norden Brandenburgs gekommen, um genau das zu tun.
Workshop Beim 14. Generationenforum in der Mahn- und Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück traf Dagan zusammen mit drei weiteren Überlebenden 40 Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland und zahlreichen anderen Ländern. In Gesprächsrunden und Workshops erzählten die Zeitzeuginnen den jungen Menschen von ihrem Verfolgungsschicksal und dem Alltag im Konzentrationslager.
Performance Am Ende des viertägigen Forums stand in diesem Jahr eine Performance, die die Jugendlichen unter Anleitung eines Künstlerteams basierend auf den Erlebnisberichten der Überlebenden erarbeiteten.
Das Generationenforum gibt es als Kooperationsprojekt der Hildegard-Hansche-Stiftung und der Gedenkstättenleitung in Ravensbrück seit 2005. Batsheva Dagan ist von Anfang an mit dabei. «Die Gespräche mit den Jugendlichen sind eine Bereicherung für mich. Ich bekomme viele tolle Rückmeldungen», sagt sie.
Geboren wurde Dagan 1925 als Isabela Rubinstein in eine jüdische Familie in Lódz in Polen. Nachdem die Nationalsozia-
listen ihre Heimat besetzt hatten, floh sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern nach Radom. Dort errichteten die Besatzer ein Ghetto, in das auch Familie Rubinstein eingesperrt wurde. Dagans Eltern und ihre ältere Schwester wurden bei der Liquidierung des Ghettos 1942 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.
Schwerin Sie selbst entkam der Deportation mit gefälschten Papieren. Zwangsverpflichtet gelangte Dagan zunächst als Dienstmädchen in das Haus einer nationalsozialistischen Familie in Schwerin in Mecklenburg. Sie wurde verraten und im Mai 1943 von der Gestapo nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dagan war damals gerade einmal 18 Jahre alt. In Auschwitz-Birkenau musste sie über ein Jahr lang schwerste Zwangsarbeit leisten. «Der Tod war im Lager durch den Rauch der Krematorien allgegenwärtig», sagt Dagan.
Als sich im Januar 1945 die Rote Armee näherte, schickten die Nationalsozialisten Dagan mit Tausenden anderen Häftlingen auf einen Todesmarsch in Richtung Westen. Später pferchte man ihre Gefangenengruppe in Viehwaggons zusammen und schaffte sie nach Ravensbrück. «Das Lager in Ravensbrück nannten wir nur die ›Hölle vom Schwedtsee‹», erzählt die 92-Jährige.
Frauen-KZ 1938 errichtete die SS am Ufer des Schwedtsees gegenüber der Stadt Fürstenberg an der Havel in dem kleinen Dorf Ravensbrück das größte Konzentrationslager für Frauen. Insgesamt waren rund 132.000 Frauen und Kinder sowie 20.000 Männer und 1000 weibliche Jugendliche auf dem KZ-Gelände inhaftiert. Unter den Gefangenen waren Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas sowie von den Nazis als Asoziale bezeichnete Menschen aus mehr als 40 Ländern.
Auf dem KZ-Gelände entstanden Produktionsstätten wie Schneidereien, Webereien und Flechtereien. Ab 1942 errichteten hier auch Firmen wie Siemens Arbeitsstätten, in denen Zwangsarbeiterinnen schufteten. Schätzungen zufolge starben etwa 28.000 Häftlinge in Ravensbrück an Hunger, Krankheiten oder medizinischen Experimenten. Im April 1945 wurde das Lager durch die Rote Armee befreit. Seit 1959 gibt es auf dem Gelände einen Erinnerungsort.
Rote Armee Dagan verbrachte einen Monat in Ravensbrück und einen weiteren Monat im angegliederten Außenlager in Malchow. «Prügel der Aufseher waren an der Tagesordnung. Zu essen gab es kaum etwas», erinnert sich Dagan. Von Malchow aus schickte man sie zusammen mit anderen Frauen kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee auf einen weiteren Todesmarsch. Am 2. Mai 1945 wurde Dagan bei der Stadt Lübz in Mecklenburg von britischen Soldaten befreit.
Erinnerungen Nach Ravensbrück zurückzukehren, sei ihr anfangs sehr schwergefallen, erzählt Dagan. «Ich konnte in der ersten Nacht in der Jugendherberge kein Auge zutun», sagt sie. Zu präsent seien die Erinnerungen an das Erlebte gewesen. Die Jugendherberge befindet sich auf dem historischen KZ-Gelände. Die Zimmer sind in den ehemaligen Häusern der Aufseherinnen eingerichtet.
Nach dem Krieg emigrierte Batsheva Dagan über Belgien nach Israel. Dort hat sie Psychologie studiert und geheiratet. Heute ist sie Großmutter von zehn Enkelkindern. Über ihre Erlebnisse während der Schoa hat sie mehrere Bücher geschrieben, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten.
Lebensfreude Fin Morgenrot aus Hamburg haben die Erzählungen der Überlebenden sehr bewegt. «Die Lebensfreude, die diese Menschen trotz der schrecklichen Vergangenheit heute noch ausstrahlen, gibt einem unglaublich viel Kraft», sagt er. Der 21-Jährige hat zum ersten Mal am Generationenforum in Ravensbrück teilgenommen. «Es ist schon etwas ganz anderes, ob man Überlebende trifft oder im Geschichtsunterricht über den Nationalsozialismus lernt», sagt der Abiturient.
Rap Sich mittels einer künstlerischen Performance den Themen Schoa und Verfolgung anzunähern, sei eine gute Idee, sagt Morgenrot. «Das hat das Ganze aufgelockert und für viele den Zugang zur Geschichte leichter gemacht.» Batsheva Da-
gan war mit Blick auf die Performance zunächst etwas skeptisch. Dass eines ihrer Gedichte über das Leben im Ghetto in Form eines Rap-Songs neu interpretiert werden sollte, hat sie zunächst befremdet. Am Ende war sie mit dem Ergebnis aber sehr zufrieden. «Die Jugendlichen finden eben ihre eigenen Wege, das Gedenken an die Schoa wachzuhalten», sagt Dagan. «Und das ist auch gut so.»
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