Herr Rabbiner, von 1985 bis 2016 waren Sie jüdischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR). Wie haben sich im Laufe der Jahre die Aufgaben des DKR gewandelt?
Unsere deutsche Gesellschaft hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die Schwerpunkte haben sich verlagert. Im Mittelpunkt stand immer die Beziehung und die Zusammenarbeit zwischen Judentum und Christentum. In den 80er-Jahren war die Erinnerungsarbeit vorrangig. Langsam verschob sich das auf zukunftsgerichtete Zusammenarbeit. Engagement gegen Antisemitismus und Antiisraelismus sowie die Arbeit mit der Jugend rückten mehr in den Vordergrund.
Was hatte Sie damals dazu bewogen, diese Funktion zu übernehmen?
Ich war Anfang der 80er-Jahre nach Deutschland zurückgekommen und hatte das Landesrabbinat in Niedersachsen übernommen. Ich war bereits im christlich-jüdischen Gespräch in England und der Schweiz tätig. Nachdem damals gerade der lange amtierende Vorstand zurückgetreten war, fragte man mich, ob ich bereit wäre, als jüdischer Vorsitzender zu kandidieren. Ich habe mich zur Verfügung gestellt. Es wurden weit über 30 Jahre.
Was wurde in diesen Jahren in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit erreicht?
In dieser Zeit haben sich die Beziehungen im Großen und Ganzen positiv entwickelt. Die Thematik Schoa war nicht mehr das absolut allein dominierende Thema, das es in den 80ern war. Die Themen, die wir diskutierten und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden, wurden breiter und gesellschaftlich allgemeiner. Später kam auch die Entwicklung hinzu, dass der Islam und die große Anzahl der muslimischen Zuwanderer die Themenstellung der Gesellschaft veränderten. Die Beziehungen zum Islam und Kenntnis über ihn rückten mehr in den Vordergrund. Das hatte einen Einfluss auf den Stellenwert des christlich-jüdischen Dialogs. Er war nicht mehr so im Fokus der Aufmerksamkeit.
Sollte der christlich-jüdische Dialog um den Islam erweitert werden?
Es gab immer Vorstöße, den Dialog zu erweitern. Das war auf lokaler Ebene oder in bescheidenem Maße der Fall. Der christlich-jüdische Dialog und der jüdisch-islamische Dialog befanden sich in ganz unterschiedlichen Stadien der Entwicklung. Aktivitäten, die man unternahm, waren beherrscht von Allgemeinplätzen. Die tiefgehenden Auseinandersetzungen, die wir mit unseren christlichen Partnern hatten, gab es mit dem Islam nicht.
Gab es in Ihrer Zeit beim DKR Konflikte?
Innerhalb unserer Arbeit gab es weitgehend Harmonie. Das war eine der großen Errungenschaften dieser Zeit: dass wir auch kontroverse Probleme diskutieren konnten, ohne dass es in Gegnerschaft oder Feindschaft umschwappte. Ein Zeichen für einen fortgeschrittenen Dialog.
Welche Funktion hat in Ihren Augen der christlich-jüdische Dialog?
Ich bin überzeugt, dass das Gespräch, die Konfrontation mit Unterschieden und Geschichte die beste Waffe gegen Antisemitismus und Vorurteile ist, besser als der erhobene Zeigefinger. Das ist unbedingt notwendig, um den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft zu fördern. Der Antisemitismus zeigt wieder seine Fratze. Umso notwendiger sind das Gespräch und die gemeinsame Arbeit, dagegen anzukämpfen. Ein Zusammenwirken der jüdischen Gemeinschaft und der christlichen Kirchen ist notwendig.
Bleiben Sie im christlich-jüdischen Dialog engagiert?
Ich bin 92. Es ist eher eine Gesundheits- und Altersfrage. Ich bin Jüdischer Ehrenvorsitzender des Koordinierungsrats. Wo ich kann, bin ich natürlich involviert. Aber es ist Zeit, dass Jüngere die Arbeit übernehmen.
Mit dem langjährigen jüdischen Präsidenten des DKR sprach Eugen El.