Als Heinz Kahn 1988 den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde Koblenz übernahm, hatte diese ungefähr 50 Mitglieder. Zwei Jahre später, 1990, waren es nur noch knapp 20, »wir waren eindeutig eine kleine, sterbende Gemeinde«, erinnert sich der Tierarzt. Entsprechend wurden die Gedenk- und Feiertage nur im ganz kleinen Kreis und oft auch nur im privaten Rahmen begangen. Mittlerweile hat die Gemeinde rund 970 Mitglieder – die meisten von ihnen sind aus ehemaligen Sowjetunion eingewandert.
Dank ihnen wird auch wieder gefeiert. Zum Beispiel der 9. Mai, der Tag, an dem in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa begangen wird. Für die jüdischen Zuwanderer ist dieses Datum immer noch ein wichtiger Tag: »Wir haben verschiedene Klubs, die sich beteiligen, es wird getanzt und gesungen«, sagt der 88-jährige Kahn, der sich selbst nicht an den Vorbereitungen des Programms beteiligt. Er lässt sich lieber überraschen.
Kongresshalle Etwas anders ist es im Saarland. Bislang wurde eher Jom Haazmaut, der Jahrestag der Unabhängigkeit Israels, mit »einer sehr schönen Feier offiziell begangen«, berichtet Marcel Wainstock, Geschäftsführer der Synagogengemeinde Saar. Reichte jahrzehntelang der Gemeindesaal als Veranstaltungsort vollkommen aus, änderte sich das mit dem Beginn der Zuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion drastisch. Nun muss man für große Veranstaltungen Räume in der Saarbrücker Kongresshalle mieten. Dieses Mal fällt die Feier allerdings aus, bedauert Wainstock. Denn praktisch auf sich allein gestellt, sieht man sich nicht in der Lage, die mehrere Tausend Euro teure Veranstaltung zu stemmen. Gefeiert wird dagegen der Tag der Befreiung, und das nicht zum ersten Mal. »Der Seniorenklub hat diesen Gedenktag immer für uns ausgerichtet, es gab ein Mittagessen, bei dem die Veteranen geehrt wurden.«
Anfangs seien die alteingesessenen Gemeindemitglieder ein wenig erstaunt gewesen über die Feiern am 9. Mai. Denn unter den Juden, die vor dem Naziterror ins benachbarte Frankreich flohen, waren einige, die entweder in der französischen Armee oder, wenn sie keine französische Staatsangehörigkeit hatten, in der Fremdenlegion kämpften. »Viele machten darum später kein Aufhebens«, erinnert sich Wainstock, der in der saarländischen Gemeinde aufgewachsen ist. Nun aber feiern die Veteranen alle zusammen.
Musik In diesem Jahr ganz besonders groß: Zum 65. Jahrestag der Befreiung wird nach der Kranzniederlegung in der KZ-Gedenkstätte Neue Bremm ein Essen stattfinden, zu dem die Veteranen und ihre Familien eingeladen sind. Besonders stolz ist man darauf, dass man den Sänger Mark Aizikovitch für diesen Tag verpflichten konnte. »Den haben wir uns aus dem Kulturprogramm des Zentralrats gewünscht und auch bekommen«, freut sich Wainstock. Kerzenzünden Jom Haschoa, der Tag, an dem seit 1951 in Israel der Opfer der Schoa gedacht wird und der in diesem Jahr auf den 12. April fiel, wurde im Saarland nicht offiziell begangen. »Wir gedenken der Opfer schon seit Jahrzehnten am 9. November, im Rahmen einer sehr würdevollen Gedenkstunde«, sagt Wainstock.
Veteranen Auch in Essen wird Jom Haschoa nicht begangen, »wir haben bereits Kerzen angezündet und halten ein stilles Gedenken ab«, sagt der Vorsitzende der dortigen Jüdischen Gemeinde, Jewgenij Budnizkij. Dagegen feiert man den Geburtstag Israels und den Tag des Sieges »mit einer großen Veranstaltung, es gibt ein Konzert, koscheres Essen – und die Veteranen sind dazu natürlich eingeladen.« 35 Kriegsveteranen leben in der Ruhrgebietsstadt, darunter sind 16 Menschen, die die Blockade von Leningrad überlebt haben. Ihnen Respekt zu zollen, sei auch wichtig, weil sie als Zeitzeugen der jüngeren Generation so viel zu vermitteln hätten, sagt Budnizkij. »Bis zu ihrem Tode haben wir beispielsweise eine alte Dame ganz besonders geehrt, die am Unabhängigkeitskrieg beteiligt war und dann später in ihre alte Heimat Essen zurückkehrte.« Nicht alle Veteranen schaffen es aus gesundheitlichen Gründen, an der Feier zur Befreiung teilzunehmen. Das, was sie erlebt haben, wird trotzdem Teil der Veranstaltung sein. Die Senioren wurden zu Hause besucht und erzählten ihre Geschichte. »Auf diese Weise gerät die Vergangenheit nicht in Vergessenheit.«
In der Israelitischen Kultusgemeinde Hof wird der Holocausttag nicht mit einer besonderen Feier begangen, wie Rabbiner David Goldberg erklärt. »Der Landesverband richtet jedes Jahr eine Gedenkstunde anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau aus, da fahren alle Gemeinden aus Bayern hin. Der israelische Botschafter wird einen Kranz niederlegen, es kommen Überlebende aus der ganzen Welt.« Die Mehrheit der Hofer Gemeindemitglieder stammt aus der ehemaligen Sowetunion, entsprechend wird der 9. Mai auch groß gefeiert.
Paraden Und Jom Haazmaut? »Wir schaffen es nicht, dazu auch noch eine Feier zu organisieren, gleich nach Pessach. So etwas kostet viel Zeit und viel Geld, und außerdem ist die Zeit zwischen Pessach und Schawuot ja eigentlich eine traurige Zeit, in der man nicht feiern sollte«, sagt der Rabbiner. In Jerusalem genau einen Monat nach dem Tag geboren, an dem Israel unabhängig wurde, hat David Goldberg viele Erinnerungen an die ersten Feiern an Jom Haatzmaut, »das war für uns Kinder immer ganz besonders aufregend«.
Wie beurteilt ein Rabbiner aus Israel denn die Feiern anläßlich des 9. Mai? »Der Tag der Befreiung war ein wichtiger Tag«, sagt Goldberg. »Ihn zu feiern, verstößt natürlich nicht gegen die religiösen Regeln.« Antisemitismus sei zwar in der Sowetunion, vor allem in Russland und der Ukraine, sehr verbreitet gewesen, andererseits »ist es sehr verständlich, dass auch die dortigen Juden die Befreiung als freudiges Ereignis sahen und sehen.« Ihm persönlich seien die »abgehaltenen Freudenparaden« nicht so verständlich, denn »es sind Millionen Menschen gestorben, das wäre doch eher ein Anlass für Gedenkstunden«.
Aber es sei eben auch nachvollziehbar, dass die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion den 9. Mai auch in ihrer neuen Heimat gern feiern wollten: »Wenn jemand etwas Gutes organisiert, warum nicht? Die Menschen freuen sich, sie können sich treffen, die Lieder von damals singen, Schriftsteller zitieren, und so etwas schafft natürlich auch Verbindung zur Gemeinde.«