Am Dienstagabend kommt der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zu einem Vortrag in die Landsynagoge im südthüringischen Berkach. Dort lebten über Jahrhunderte Juden mit ihren christlichen Nachbarn zumeist friedlich, sagt die Koordinatorin des Projekts »Tora ist Leben«, Alexandra Husemeyer, in unserem Interview. Der kleine Ort an der Grenze zu Bayern erlebte aber auch Zeiten der Ablehnung bis hin zu Pogromen.
Frau Husemeyer, was macht die Landsynagoge in Berkach an der thüringisch-bayerischen Grenze so bedeutsam für das deutsch-jüdische Zusammenleben?
Zunächst, ich finde die Formulierung deutsch-jüdisch nicht ganz so glücklich. Die Juden, die hier in Thüringen oder in Berlin oder Frankfurt lebten und leben, waren und sind ja schließlich auch Deutsche. Aber zu Ihrer Frage: Das kleine Dorf Berkach mit seinen weniger als 400 Einwohnern ist ein wichtiger Gedächtnisort für jüdische Kultur. Hier sind noch immer bedeutsame Stätten jüdischer Spiritualität auf engstem Raum zu finden: ein jüdischer Friedhof, eine Mikwe - ein Ritualbad -, die Synagoge und die jüdische Schule haben die Zeiten überdauert. Nicht zuletzt, weil sie in der DDR zu Lagerräumen umfunktioniert wurden. Nach ihrer liebevollen Sanierung stehen sie wieder für Besichtigungen offen. Das ganze Ensemble ist einzigartig für Thüringen. Seit dem 17. Jahrhundert gab es ein zumeist friedliches Zusammenleben und Zusammenarbeiten in diesem Dorf, in dem Ende des 19. Jahrhunderts ein Drittel der Bevölkerung Juden waren. Daran, aber auch an die Zeiten von Ablehnung bis hin zu Pogromen, soll mit dem Besuch von Josef Schuster erinnert werden. Aber in Berkach wollen wir nicht nur zurückschauen, sondern auch nach vorn.
Inwiefern?
Ein Jugendbegegnungszentrum, das zeigt, wie lebendig jüdische Kultur ist, soll entstehen. Jugendliche werden zum Entdecken des Judentums eingeladen. Die Schaffung eines Raumes, in dem sich atheistische, muslimische, christliche und jüdische Menschen ohne Vorbehalte begegnen können, ist auch das erklärte Ziel der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.
Der Abend in der Synagoge sollte einer der Höhepunkte des Themenjahres »Neun Jahrhunderte jüdisches Leben in Thüringen« werden. Was ist unter Corona-Bedingungen überhaupt noch möglich?
Unter Corona-Bedingungen ist am Dienstag leider keine Präsenzveranstaltung möglich. Das Projekt »Tora ist Leben« ist sehr dankbar, dass durch ein Hygiene- und Sicherheitskonzept eine Hybridveranstaltung möglich ist. In der Synagoge dürfen 25 Personen teilnehmen. Wir erwarten neben Josef Schuster auch den Thüringer Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) und die beiden Bischöfe Friedrich Kramer von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und Ulrich Neymeyr vom Bistum Erfurt. Alle, die nicht in Berkach dabei sein können, sind herzlich dazu eingeladen, Schusters Vortrag »Ist Pessach das jüdische Ostern? Vom Wissen und Unwissen über das Judentum im 21. Jahrhundert« live mit dem Smartphone oder am Computer zu verfolgen.
Die beiden großen christlichen Kirchen schenken der Jüdischen Landesgemeinde im Themenjahr »Neun Jahrhunderte jüdisches Leben in Thüringen« eine neue Tora-Rolle. Wie kommt die Handschrift des Textes voran?
Gut. Toraschreiber Reuven Jaacobov, der in Berlin Buchstaben für Buchstaben - am Ende sind es exakt 304.805 - auf Pergament schreibt, hat versichert, dass er am Donnerstag, den 30. September 2021, pünktlich mit der neuen Tora nach Erfurt kommen wird. Dann findet ein Freudenfest zur Begrüßung der Schrift statt.
Wie genau muss man sich das in Zeiten der Pandemie vorstellen?
Am Nachmittag laden die Projektpartner Jüdische Landesgemeinde Thüringen, Bistum Erfurt und Evangelische Kirche in Mitteldeutschland zum Feiern auf dem Wenigemarkt der Landeshauptstadt ein. Ein Festzug wird die wertvolle Schriftrolle dann in die Neue Synagoge einmal quer durch Erfurt geleiten. Leider mussten die Termine für das öffentliche Schreiben der Tora in Thüringen coronabedingt abgesagt werden. Wenn es die Bedingungen zulassen, kommt Rabbiner Yaacobov aber ab Ende Mai unter anderem in die Synagogen in Erfurt und Mühlhausen sowie in die Gedenkstätte ehemalige Synagoge Eisenach und lässt sich beim Schreiben - wie beim Auftakt im Oktober 2019 in der Neuen Synagoge in Erfurt - über die Schulter schauen. Das wäre wirklich schön.
Das Interview führte Dirk Löhr.