Ich wurde 1981 in Frankfurt am Main geboren. Als ich acht Jahre alt war, wanderte meine Familie nach Israel aus – nach Tel Aviv. Meine Eltern sind Israelis. Mein Vater kam nach dem Militärdienst auf der Suche nach einem besseren Leben nach Deutschland. Seine Eltern folgten ihm. Meine Mutter zog mit ihren Eltern aus Israel nach Deutschland, als sie 14 Jahre alt war.
Meine Großmutter mütterlicherseits stammt aus Köln. Sie wurde vor dem Krieg allein nach Israel geschickt, als ihr Vater in Düsseldorf die ersten Nazi-Aufmärsche erlebte. In Israel lernte sie dann meinen Großvater kennen, einen bulgarischen Juden. Sie wanderten 1962 nach Deutschland aus. Eigentlich wollten sie nach Amerika, sind aber, wie viele Juden, hier hängen geblieben.
Mit ihren zwei Kindern – meiner Mutter und meinem Onkel – verschlug es sie nach Frankfurt. Dort sind sie auch begraben. Meine Mutter ging später mit ihren Kindern – also mit mir und meiner Schwester Nizzana – zurück nach Israel. Das war 1989. Ich zog nach dem Militärdienst nach Berlin, meine Schwester schon vorher. Schließlich bin ich in Frankfurt gestrandet. Von Köln nach Tel Aviv, zurück nach Frankfurt: Ich weiß nicht, wie viele Generationen es sind.
jecke In Frankfurt bin ich noch in die erste Klasse gegangen. Ich war vorher auch im Kindergarten der Gemeinde. In Israel kamen meine Schwester und ich in die zweite Klasse. Ich konnte damals kein Wort Hebräisch. Am ersten Schultag kamen wir wie richtige Jeckes – völlig overdressed und in Mokassins – in unsere neue Schule in Tel Aviv. Doch nach eineinhalb Jahren haben wir nur noch Iwrit gesprochen.
Unsere Ankunft in Israel fiel noch in die Zeit vor der großen Einwanderungswelle der russischsprachigen Juden in den 90er-Jahren. So war ich der einzige Migrant in der Klasse. Was Integration und Sprache angeht, konnte man sich noch gut auf mich konzentrieren.
Es hat nur ein paar Wochen gedauert, bis mich ein Mitschüler »Nazi« nannte und ich ihn daraufhin schlug. Die Lehrerin stellte ihn zur Rede. Er hatte keine Ahnung, was das Wort »Nazi« überhaupt bedeutet. Er musste dann – in der zweiten Klasse! – etwas über den Nationalsozialismus schreiben und ich über Gewalt. Die Unterschiede zu den Mitschülern waren ansonsten ziemlich schnell weg.
reiterhof Ich wuchs im Norden von Tel Aviv auf. Dort habe ich auch Abitur gemacht. Ich war danach drei Jahre beim Militär. Meine vielen Reisen führten mich schließlich auch in den Taunus bei Frankfurt – ich besuchte meine ältere Schwester, die in Deutschland geblieben war.
Dort lernte ich Briggi, meine Frau, kennen. Damals wohnte sie auf einem Reiterhof im Taunus. Wir reisten ein Jahr lang gemeinsam, dann sagte sie, dass sie ihr Studium an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung (HfG) abschließen und daher näher an die Hochschule ziehen will. So bin ich also nach einer Pause von 17 Jahren wieder in meiner alten Heimat gelandet. Ich sprach Deutsch wie ein Erstklässler, konnte nicht lesen und schreiben. Dennoch bewarb ich mich 2007 an der HfG – und es hat funktioniert.
Offenbach kannte ich aus meiner Kindheit nicht. Nach der Rückkehr habe ich nie meine Frankfurter Wurzeln gesucht. Ich habe mir zwar die Orte meiner Kindheit angeschaut, aber sonst habe ich das Beste aus dem Hier und Jetzt gemacht.
dna Wir haben es uns in Offenbach bequem, gemütlich und interessant eingerichtet. Aus dem Studium heraus gründete ich 2012 mit zwei Freunden, Nicolas und Oliver Kremershof, die Agentur »Urban Media Project«. Wir beschäftigen uns mit der DNA der Stadt. Wir schauen, wie die Stadt mit Bewohnern, Touristen und Verwaltung kommuniziert – und umgekehrt. Die ganze Arbeit ist ein großer Kommunikationsfluss.
Die Herausforderungen sind ganz unterschiedlich. Meine Aufgabe in der Agentur ist die Ideenentwicklung. Auch schaue ich stra-
tegisch, welche neuen Projekte für uns interessant sind und wie wir dorthin kommen. Die Produkte sind Kampagnen, aber auch Drucksachen und Leitsysteme im Stadtraum. Wir haben immer nach Formaten gesucht, die die Menschen zusammenbringen. Begegnung und Abbau von Hemmschwellen stehen im Vordergrund.
2009 konzipierte ich eine Reihe von unkonventionellen Stadtführungen durch Offenbach. Es ging darum, Orte zu besuchen, die man sonst nicht sieht. Wir gingen etwa in einen türkischen Nachtklub mit Live-Musik, auch in eine Hinterhofmoschee. Nachts haben wir eine Polizeiwache besucht und den Beamten bei ihrer Arbeit zugeschaut. Mein Diplomprojekt war das Format »Eine Stadt zeigt sich offen«, bei dem Menschen, die einander nicht kennen, sich gegenseitig zu Hause besuchen.
Mir ist ganz egal, woher sie stammen. Hauptsache, die Chance, dass sie sich anderswo begegnen, ist gering. 2010 organisierten wir die Filmreihe »Kinoerwachen«. Weil es kein Programmkino in Offenbach gab, zeigten wir acht Filme an acht unterschiedlichen Orten, darunter in der Jüdischen Gemeinde den Film Walk on Water des israelischen Regisseurs Eytan Fox. Über 200 Leute kamen, auch der Gemeinderabbiner war da. Es war ein schönes Erlebnis.
kinder Als ich vor etwa zwölf Jahren in Frankfurt ankam, habe ich das als Kulturschock empfunden. Alles ist sehr geordnet. In Berlin lernt man Leute auf der Straße kennen, das passiert in Frankfurt nicht so schnell. Als ich Briggi gesehen habe, so bunt und braun und lockig, habe ich daher die Gelegenheit ergriffen. Wir sind schon seit zwölf Jahren zusammen. Wir haben gemeinsam das Studentenleben in der Offenbacher Innenstadt durchgemacht – das ist wie Berlin-Kreuzberg vor 15 Jahren. Mittlerweile haben wir zwei Söhne: Liam ist fünfeinhalb, Jimmy ist erst ein paar Monate alt.
Meine Frau ist nicht jüdisch. Meinen Kindern will ich so wenig wie möglich von dieser Last mitgeben, die man mitschleppt. Es ist eine große Herausforderung, deutscher Jude und Israeli zu sein. Mit dieser Mischung klarzukommen, ist ein lebenslanges Projekt.
Mein Vater, der in Frankfurt Geschäftsmann war, wurde in Israel sehr religiös. Ich will meinen Kindern die Schönheit der Tradition mitgeben. Ich finde es schade, wenn das Christentum auf Weihnachtsbaum und Geschenke reduziert wird, und genauso ist es beim Judentum.
tradition Ich spreche mit meinen beiden Söhnen nur Hebräisch. Ich lese ihnen auch vor, und wir hören Hörspiele. Es ist nicht einfach, das durchzuhalten. Denn in Offenbach gibt es wenig israelische Infrastruktur. Normale Israelis kommen irgendwohin und suchen als Erstes die israelische Gemeinschaft – ob in Indien, Südamerika oder in Manhattan. Das hat mich nie interessiert.
Ich suche die coolen Leute vor Ort, egal, wo sie herkommen. Ich suche nicht den Kontakt zur jüdischen Gemeinde oder zur israelischen Community. Das macht es mir noch schwerer, meinen Kindern die Tradition und die Sprache weiterzugeben. Langsam trägt es jedoch Früchte. Liam versteht alles. Er spricht besser Iwrit als ich in seinem Alter. Insofern bin ich optimistisch.
In Israel habe ich eine wunderschöne Kindheit und Jugend verbracht, die ich eigentlich jedem wünschen würde. Jugend in Israel ist wunderbar: warm und schön. Der soziale Zusammenhalt ist einmalig. Diese Sozialisierung werde ich immer mit mir tragen. Das wird mich hier immer fremd halten. Diese Wärme ist einfach ganz anders als in Deutschland.
Von Jahr zu Jahr fühle ich mich in Israel immer mehr als Tourist mit Ortskenntnissen und weniger als Einheimischer. Wenn ich nach Israel komme, lasse ich mich darauf ein und genieße es. Aber man entfernt sich ein Stück weit von der Mentalität. Man wird deutscher. Zwei Heimaten zu haben, ist ein großes Geschenk, wenn man es schafft, das irgendwie einzuordnen.
kochbuch Es geht ums Ankommen. Ich fühle mich durch meine Familie und die Kinder total angekommen. Dennoch ist Israel ein großer Teil von mir. Meine Jugendfreunde sind dort. Ich aber bin bewusst in Deutschland geblieben und fühle mich gut mit der Entscheidung. Es ist ein langer Prozess, die zwei Herzen in einer Brust zu etwas Positivem zu machen. Ich versuche, Israel als zweite Heimat zu sehen.
Eine der größten Sehnsüchte beim Thema Israel ist das Essen. Ich koche oft israelische Speisen. Ich habe vieles aus dem Jerusalem-Kochbuch von Yotam Ottolenghi gekocht. Ich habe einen Freund in Israel, Osher Eidelman, er ist Fernsehkoch. In unserer WhatsApp-Gruppe fragt er immer nach neuen Ideen. Auch ich suche nach einer Idee, die mir eine berufliche Brücke nach Israel schlagen könnte. Vielleicht könnten wir gemeinsam ein Kochbuch machen oder kulinarische Touren nach Israel anbieten.
Aufgezeichnet von Eugen El