Rostock

Damit die Erinnerung nicht verblasst

Für Sonntag hatte das Max-Samuel-Haus zur Säuberung von Denksteinen aufgerufen, 50 Menschen beteiligten sich. Foto: Max-Samuel-Haus

Rostock

Damit die Erinnerung nicht verblasst

Mehr als 50 Freiwillige reinigen Denksteine für ermordete Juden in der Hansestadt

von Jérôme Lombard  25.01.2022 09:43 Uhr

Nun glänzen sie wieder: Die 70 Denksteine, die in Rostock an die von den Nationalsozialisten ermordeten Jüdinnen und Juden erinnern. Rund 50 Freiwillige waren am vergangenen Sonntag mit Putzutensilien wie Schwämmen und Bürsten durch die Stadt in Mecklenburg-Vorpommern gegangen, um anlässlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar an die Opfer der Schoa zu erinnern.

Zu der Aktion aufgerufen hatte der Förderverein des Max-Samuel-Hauses, der sich seit 2001 um das Denksteinprojekt in der Hansestadt kümmert. »Wir hatten im Vorfeld gar nicht mit so einer großen Beteiligung aus der Stadtgesellschaft gerechnet«, sagt Steffi Katschke, Leiterin des Max-Samuel-Hauses. »Dank der vielen vor allem auch jungen Leute konnten wir tatsächlich alle Denksteine in der Stadt säubern.«

Los ging es am Sonntagnachmittag am Schillerplatz unweit des Hauptbahnhofs. Vor der Hausnummer 3 polierten die Freiwilligen die Denksteine für Margarete, Hedwig und Richard Siegmann. Der Denkstein für Richard Siegmann war erst im Mai des vergangenen Jahres neben denen für seine Frau Margarete und seine Tochter Hedwig vor dem letzten selbst gewählten Wohnort der Familie verlegt worden.

Straßenbahn Richard Siegmann war von 1898 bis 1935 Direktor und Vorstand der Rostocker Straßenbahn AG und Stadtverordneter gewesen. Als Jude 1935 aus seiner Arbeitsstelle gedrängt, wurde Richard Siegmann zusammen mit seiner Ehefrau 1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort starb er noch im selben Jahr an Unterernährung. »Es sind Rostocker Schicksale wie das von Richard Siegmann, an die die Denksteine in der Stadt erinnern«, sagt Steffi Katschke.

Auch beim Mitzwah-Day hatten sich schon einmal Rostocker um die Denksteine gekümmert und sie gesäubert.

Da die Reinigungsaktion so gut angenommen wurde, plant der Förderverein eine weitere im Herbst zum Gedenken an die Novemberpogrome. »So werden im Laufe des Jahres alle Steine mindestens einmal von Schmutz Moosen und Patina befreit, sodass sie wieder gut zu lesen sind«, erklärt Steffi Katschke. Bisher hatte sich vor allem die Rostocker Stadtreinigung um die Säuberung der Denksteine gekümmert.

Auch am deutschlandweiten Mitzwah-Day haben sich Freiwillige jährlich dazu aufgemacht. »Ich würde mich sehr freuen, wenn unsere öffentlichen Reinigungsaktionen dazu beitragen würden, dass die Anwohner an ihren Wohnorten selbst aktiv werden und sich unabhängig von bestimmten Kalenderdaten um die Pflege der Denksteine kümmern würden«, sagt Steffi Katschke. »Wer die Erinnerung an die Opfer der Schoa wachhält, setzt auch ein Zeichen gegen heutigen Antisemitismus.«

Max-Samuel-Haus In Rostock gibt es zwei Sorten von Denksteinen. 25 der aktuell 70 Denksteine haben die Größe A3 und sind aus grauen Dolomitsteinplatten gefertigt. Mit dieser Variante war das Projekt 2001 vom Förderverein des Max-Samuel-Hauses an den Start gegangen. Da sich die Steinplatten über die Jahre aber als sehr witterungsanfällig gezeigt haben, werden seit sechs Jahren neue Steine nur noch als Metallsteine in das Gehwegpflaster eingelassen.

Auch ältere, beschädigte Natursteinplatten werden mittlerweile durch die Messingsteine ersetzt. Diese goldfarbenen Steine erinnern an die bundesweit bekannten Stolpersteine des Künstlers Gunther Demnig, sind aber in Rostock von einem anderen Künstler gefertigt. Die »Stiftung – Spuren – Gunter Demnig« hatte 2015 der weiteren Nutzung des Begriffes Stolperstein durch die Rostocker Initiative widersprochen.

Markenschutz Die Demnig-Stiftung hatte sich 2006 den Begriff »Stolperstein« als geschützte Marke eintragen lassen. Sie mochte nach Angaben des Fördervereins dem weiteren Gebrauch des Begriffs Stolperstein auch gegen Gebühr nicht zustimmen. Der Verein hat daher den Begriff »Denkstein« gewählt, um auch weiterhin die vielen Beteiligten der Rostocker Initiative einbeziehen zu können.

Auf den Denksteinen sind wie bei den Stolpersteinen jeweils der Name, der letzte Wohnort, das Todesdatum und der Todesort eingraviert und jeder Stein wird jeweils in das Pflaster vor jenem Haus eingelassen, an dem diese Personen zuletzt gelebt oder gewirkt haben. Rund 135 Euro kostet die Verlegung eines neuen Denksteines.

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  21.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025

Feiertage

Hymne auf die Freiheit

Der Alexander-Moksel-Kindergarten führte im Gemeindezentrum ein Pessach-Musical auf

von Vivian Rosen  17.04.2025

Berlin

Mazze als Mizwa

Das Projekt »Mitzvah Day« unterstützt die Berliner Tafel mit einer Lebensmittel-Spende

von Katrin Richter  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Jewrovision

»Schmetterlinge im Bauch«

Nur stilles Wasser trinken, noch einmal gut essen, dann geht es auf die Bühne. Die Moderatoren Masha und Gregor verraten, wie sie sich vorbereiten und mit dem Lampenfieber umgehen

von Christine Schmitt  16.04.2025

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025

Literatur

Die Zukunft Israels hat längst begonnen

Der Schriftsteller Assaf Gavron stellte im Jüdischen Gemeindezentrum seinen aktuellen Erzählband vor

von Nora Niemann  14.04.2025