Er werde nach Bückeburg reisen, um seine Trauung zu vollziehen, schreibt Religionslehrer Stern und bittet den Gemeindevorstand um drei Wochen Urlaub. Geschrieben hat er den Antrag im April 1846 in Schwerin, entdeckt wurde er im August 2010. Bei Sanierungsarbeiten des jüdischen Gemeindezentrums fanden kürzlich Handwerker im Dachsims mehrere Papiere, Kalender, ein Buch, eine Postkarte und eine Soldatenidentitätsmarke – ein Sammelsurium aus fast zwei Jahrhunderten.
Brigitta Steinbruch vom Landeshauptarchiv in Schwerin sitzt gemeinsam mit Landesrabbiner William Wolff über den Fundstücken. Während die Archivarin die altdeutsche Schrift entziffert, übersetzt Wolff das Hebräische. So wird schnell deutlich, dass es sich bei den kleinen Heftchen mit grauem Papierumschlag um einfache jüdische Taschenkalender für die Jahre 1819 bis 1827 handelt.
Bewerbung Während die Taschenkalender die Jahrzehnte fast unversehrt überstanden haben, sind die Seiten der ungebundenen Dokumente eingerissen, einige Ecken und somit manche Textzeilen fehlen komplett. Allerdings ist die Schrift sehr gut erhalten und so kann Archivarin Brigitta Steinbruch lesen, wie sich jemand darum bemüht, das Schächten zu erlernen, um als Aushilfe dem Gemeindeschächter Groß helfen zu können. Herr Groß hätte dafür wiederum, so steht es niedergeschrieben für den April 1845, wenig Interesse gezeigt. Im Oktober 1843 äußert sich der damalige Landesrabbiner Samuel Holdheim über das Schulsystem und schlägt dem Gemeindevorstand vor, eine Konferenz dazu abzuhalten.
Valerij Bunimov vom Schweriner Gemeindevorstand freut sich nicht nur über diesen Fund, er nennt ihn symbolisch: »Ende Mai haben wir die Straße am Gemeindezentrum in Landesrabbiner-Holdheim-Straße umbenannt und drei Monate später finden wir genau hier ein Schreiben mit der originalen Unterschrift des Rabbiners.« Landesrabbiner William Wolff ist ebenfalls begeistert von den historischen Papieren, sie zeigen, »dass wir hier eine Geschichte, hier Wurzeln haben und das stärkt auch unser Selbstbewusstsein.«
zuordnung Neben dem Schriftverkehr fanden die Handwerker eine Soldatenidentitätsmarke aus Metall. Ob die eingestanzten Daten über ein Infanterie-Ersatz-Bataillon Hinweise auf einen jüdischen Soldaten geben könnten, soll jetzt von Archivaren geklärt werden. Die jüdische Gemeinde wird alle Fundstücke dem Landeshauptarchiv übergeben, dort will Brigitta Steinbruch die Schreiben den bereits vorhandenen Dokumenten zuordnen. Wie lange die jetzt wieder aufgetauchten Dinge dort oben im Dachsims des Hauses Nummer 3 der Landesrabbiner-Holdheim-Straße lagen, dürfte allerdings ungeklärt bleiben.
Die Gemeindehäuser erhalten derzeit eine neue Dacheindeckung und einen neuen Anstrich der Fassaden. Die Kosten in Höhe von 95.000 Euro teilen sich Stadt und Land, zudem hat sich der Zentralrat der Juden in Deutschland finanziell beteiligt.
Ob Religionslehrer Stern im Frühjahr 1846 tatsächlich drei Wochen Urlaub machte, ist nicht überliefert, allerdings äußerte sich damals der Gemeindevorstand zu seinem Ansinnen dahingehend, ob nicht auch zwei Wochen reichen würden – zu lesen auf der Rückseite des Antrags.