Das Bundesverdienstkreuz hat sie schon. Jetzt ist Ljudmila Budnikov für den »Emotion Award« der Frauenzeitschrift »Emotion« in der Kategorie Soziale Werte nominiert. Die zweite Vorsitzende der liberalen Jüdischen Gemeinde Segeberg und des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein hilft ehrenamtlich seit mehr als 15 Jahren denen, die sich nicht – wie sie – sofort in der neuen Heimat Deutschland zurechtfanden.
Ljudmila Budnikov betreut die Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, Juden, die in ihrem russischen Pass noch »Jüdisch« trugen. Sie wurden benachteiligt, weil sie einer Religion angehören, die sie nicht leben konnten, geschweige denn, dass sie öffentlich Hebräisch oder gar Jiddisch sprechen durften – wie noch Budnikovs Großeltern.
Heimat »Wir waren in der UdSSR als Juden sichtbar, wurden schikaniert, und deshalb haben so viele Juden die Sowjetunion verlassen«, erzählt die 52-Jährige. Einige gingen nach Israel und in die USA, viele nach Deutschland. Sie suchten eine Heimat – und standen vor einer riesigen Aufgabe.
Sie sprachen kaum Deutsch, wussten nicht, wie deutsche Ämter, Arbeitgeber und Ärzte, Schulen und Wohnungsvermieter ticken, wie sie einkaufen sollten. Ihre Zeugnisse waren plötzlich wertlos, sie mussten ihre Berufe neu lernen, vor allem aber eine neue Sprache. Zu ihnen gehörte auch Ljudmila Budnikov. Sie wurde am 17. Februar 1966 in Gomel in Weißrussland geboren, wuchs dort auf, studierte und war Elektroingenieurin im Eisenbahnwesen. 1992 kam sie mit Ehemann Jurij und den Töchtern Katja und Viktoria nach Bad Segeberg. »Wir waren die ersten Juden in Bad Segeberg nach der Schoa. Wir haben uns aber rasch eingewöhnt, doch viele jüdische Immigranten brauchen heute noch Hilfe. Viele sind allein, und das will ich ändern«, sagt Budnikov.
Begegnung In den 90er-Jahren traf sie mit ihren Töchtern auf einem Spielplatz Walter Blender, später erster Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Bad Segeberg und des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden von Schleswig-Holstein. Sie entdeckten, dass sie beide jüdisch sind. Sie fanden weitere Juden in Bad Segeberg und gründeten am 17. Februar 2002 wieder eine jüdische Gemeinde in der Kreis- und Kurstadt in Schleswig-Holstein. »An meinem Geburtstag, und das macht mich besonders glücklich«, sagt Budnikov.
Damals zählte die Gemeinde erst 28 Mitglieder. 170 Mitglieder eröffneten die Synagoge »Mishkan Ha’Zafon«, die »Synagoge des Nordens«, im Juni 2007. 200 Mitglieder hat die Gemeinde heute. Herz und Seele ist Ljudmila Budnikov, und deshalb hat ihre Tochter Katja sie nach dem Motto »Tue Gutes und rede darüber« für den »Emotion Award – Soziale Werte« vorgeschlagen.
»Die Nominierung hat mich sehr gefreut. Und wenn ich den Preis wirklich erhalte, werden wir alle zusammen kräftig feiern, denn der Preis ist ein Dank für alle«, sagt Ljudmila Budnikov. »Jeder findet bei uns einen Platz und kann sich zu Hause fühlen, denn wir holen die Menschen dort ab, wo sie stehen«, sagt sie.
Behördengänge Budnikov begleitet Segebergs jüdische Neubürger zu Behörden, Banken, Betrieben und Krankenkassen und übt mit ihnen das Einkaufen. »Die Beratung und Hilfe geht bis zum Abwimmeln von Staubsaugerverkäufern, denn die Flüchtlinge lassen sie in ihre Wohnung, weil die ja so nett lächeln«, sagt Budnikov. Viele würden sich anfangs wie Menschen zweiter Klasse fühlen, weil sie nichts verstehen. »Da muss ich einfach helfen, denn die Menschen sind verzweifelt und drohen, an Sprach- und anderen Barrieren zu zerbrechen.«
Doch über die Hilfe zum Alltag, über den Deutschunterricht hinaus führt sie die Kontingentflüchtlinge auch wieder an ihre Religion heran. Viele neue Gemeindemitglieder hätten erst hier ihr Jüdischsein wiederentdeckt. »Wie kann ich die Tora mit meinem alltäglichen Leben verbinden? Wer ist Gott? Das sind Fragen, auf die unsere Mitglieder eine Antwort suchen, und wir möchten ihnen ihre jüdischen Wurzeln wiedergeben.« Viele Mitglieder seien heute wieder stolz, jüdisch zu sein.
Auch ihre Eltern lebten die jüdischen Traditionen nicht mehr. »Ich habe das Jüdischsein durch meine Großeltern kennengelernt«, sagt die Verwaltungsangestellte des Kreises Segeberg, die in der Jugendhilfe arbeitet. Ihre Großeltern sprachen zu Hause Jiddisch. »Das hat mir in den ersten Monaten hier in Deutschland sehr geholfen, denn ich erkannte den Klang der Sprache und auch einige Vokabeln wieder.« Mit ihren Großeltern habe sie auch die jüdischen Feste wie Pessach, Schawuot, Jom Kippur, Sukkot und Chanukka gefeiert – heimlich.
Während sie nach Deutschland emigrierte, ist ihr Bruder Alexander nach Israel ausgewandert. Er ist orthodoxer Rabbiner geworden und lebt in Beitar Illit zwischen Jerusalem und Bethlehem, die Eltern leben in Bet Schemesch zwischen Tel Aviv und Jerusalem.
Familie »Das alles hilft mir sehr bei meiner sozialen Arbeit in unserer Gemeinde, wenngleich meine Töchter, als sie klein waren, auch manchmal sagten: ›Mama, bald können wir dich gar nicht mehr erkennen, so selten bist du hier‹«, erinnert sich die zweifache Mutter.
»Doch neben meiner Familie ist auch die Gemeinde mein Leben, das ist meine Freizeit, ohne dies alles wäre mein Leben ohne Sinn«, stellt sie nachdenklich fest. Es sei schön, zu erleben, wie die von ihr betreuten Menschen immer selbstständiger werden. »Ich gebe Hilfe zur Selbsthilfe und praktische Tipps, damit sie durch das eigene Handeln wieder selbstsicher werden und sich hier zu Hause fühlen. Wenn das gelingt, macht mich das glücklich«, sagt Ljudmila Budnikov. Als zweite Vorsitzende der Gemeinde und des Landesverbandes übernimmt sie auch repräsentative Aufgaben, unter anderem beim Zentralrat der Juden in Deutschland.
Insgesamt sind 13 Frauen für den Emotion Award 2018 für Soziale Werte nominiert. »Ich finde es toll, dass sich so viele Frauen ehrenamtlich engagieren, und freue mich, dazugehören zu dürfen«, sagt Ljudmila Budnikov.
Die Preisverleihung der vier Emotion Awards findet am 28. Juni in Hamburg statt. Bis Freitag, 4. Mai, können die nominierten Frauen unter www.emotion.de/award-2018 im Internet gewählt werden.