»YouTube hat mir mein Abitur gerettet.« Das sagt Junna Baytmann aus Gelsenkirchen. Nun hat die 19-Jährige ihren Schulabschluss in der Tasche und ist glücklich. Die Videoplattform nutzte sie oft und ausgiebig, und damit liegt Junna voll im Trend, wie die Studie »Jugend/YouTube/kulturelle Bildung. Horizont 2019« in der vergangenen Woche herausgefunden hat: Immer mehr Schüler lernen mithilfe von Videos und Tutorials, die ihnen helfen sollen, bessere Noten in der Schule zu erzielen.
»Als ich in der Unterstufe war, konnten mir noch meine Eltern helfen«, erzählt Junna. In den vergangenen Jahren aber habe sich YouTube so rasant und, was das Lernen angeht, positiv entwickelt, dass es für die Schülerin leichter gewesen sei, den Lernstoff mithilfe eines Clips erklärt zu bekommen, als ihn in Büchern nachzuschlagen.
»YouTube hat mir mein Abitur gerettet.« Junna Baytmann
Sport Juwal Dattner aus Pforzheim hat vor einem Jahr sein Abitur absolviert und ist nun gerade aus Israel zurückgekehrt. »Ab und zu habe ich in der Schulzeit die Lernvideos genutzt, aber eigentlich nicht so oft«, sagt der 19-Jährige. In Mathe haben sie ihm sehr geholfen, vor allem, weil sein Lehrer – so beschreibt der ehemalige Schüler – auch nicht alles wusste.
Erleichternd sei es natürlich, dass man vor- und zurückspulen kann, wenn man etwas nicht verstanden hat. Und anschaulich sei es auch, denn Juwal musste eine Prüfung in Sport ablegen. »Da habe ich mir bei YouTube eine Bewegungsanalyse angesehen und an ihr nachvollzogen, wann welcher Muskel beim Laufen genutzt wird.«
Das habe ihm viel gebracht. Allerdings, räumt er ein, werde man durch das Ansehen von YouTube-Videos nicht gleich unbedingt auch besser in der Schule. Das Lernen bleibt nicht aus. Und oft seien ihm die Videos – beispielsweise in Geschichte – zu oberflächlich gewesen. Dann nahm sich Juwal doch lieber das Buch zu Hilfe. Die Lernstrategie mache es letztendlich aus, denn »wenn man gelernt hat und sich dann das Video anschaut, dann festigt das das Wissen«, findet der junge Mann.
Von der ersten Minute an setzte das Albert-Einstein-Gymnasium in Düsseldorf auf moderne Medien.
Tutorial Gerade in Mathe und in den Naturwissenschaften seien die Lernvideos detaillierter als im Unterricht, meint die 16-jährige Melissa Vapner aus Dortmund. In der Schule gebe es »immer nur ein Blatt mit einer Abbildung«. Für Deutsch seien Tutorials allerdings eher ungeeignet, denn da die Schüler in der Oberstufe vorranging Textanalysen schreiben würden, könne ein Videoclip da nicht weiterhelfen. Allerdings haben die Erklärfilme einen kleinen Vorteil.
Während man in der Schule mit jedem Lehrer klarkommen müsse, könne man sich den bei YouTube aussuchen. Und manchmal, so beschreibt die 16-Jährige, nutzen sogar Lehrer die Filme für ihren Unterricht. Gerade in Chemie. Denn Versuchsbeschreibungen sind nicht so spannend wie ein Video über das Experiment. »Ich empfinde sie als Bereicherung«, sagt Melissa, und ihre Eltern seien glücklich, wenn sie überhaupt lerne.
Medien »Wir schauen nicht nur die Filme, sondern stellen auch eigene her«, sagt Rafael Luwisch, Direktor des Albert-Einstein-Gymnasiums in Düsseldorf, dessen Träger die Jüdische Gemeinde Düsseldorf ist. Vor wenigen Jahren öffnete das Haus seine Türen und setzte von der ersten Minute an auf moderne Medien. Anstelle einer Tafel gibt es in den Klassenzimmern Smartboards, und jedes Kind hat ein iPad. »Aber unseren Schülern ist es nicht gestattet, sich andere Filme im Unterricht anzuschauen«, sagt der Schulleiter.
Jüngst haben sie beispielsweise auf Hebräisch einen Rap geschrieben und anschließend ein Video dazu aufgenommen. In den Naturwissenschaften würden Experimente filmisch festgehalten, zudem gebe es Filme über den israelischen Unabhängigkeitstag oder über die Landeskunde Israels. Inwieweit seine Schüler Lernvideos zu Hause nutzen, weiß Luwisch nicht. »Darüber sprechen wir nicht.«
Tiemo Duarte ist nicht nur Lehrer an der Düsseldorfer Schule, sondern auch iPad-Koordinator und Blogger und setzt sich mit professionellen Lernmethoden und neuen Medien auseinander. Duarte steht im Thema und weiß, was seine Schüler an den YouTube-Clips schätzen. »Die Videos erklären es viel besser als viele Lehrer.«
Past Progressive Oft schämten sich Kinder, eine Frage zu stellen, bei YouTube können sie aber so oft hin- und herspulen, bis sie es verstanden haben. Außerdem könnten sich die Schüler die Filme überall und zu jeder Zeit anschauen. Im Englischunterricht hat der Pädagoge gerade ein Video gezeigt, das das Past Progressive und die Uhrzeiten erklärt. »Ein Muttersprachler war für den Text verantwortlich und hat es viel interessanter gemacht als ich«, sagt Duarte. In seinem eigenen Blog erstellt er Listen mit Übungen und Tipps für seine Schüler.
Der Video-Clip ersetzt nicht unbedingt das Lernen – hilft aber dabei.
Lehrer müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass sie die großen Meister sind. »Auf dem Schulhof lernen die Kinder effektiver als im Klassenzimmer mancher Schulen, denn da kommen sie oft in das moderne Steinzeitalter.« Die Schüler leben in einer anderen Welt als die Lehrer. Eltern rät er, die Handys ihrer Kinder nicht per se zu verteufeln.
Smartphone »Die Eltern sehen das sehr unterschiedlich«, beobachtet Sarit Robert, Religionslehrerin an der Berliner John-F.-Kennedy-Schule. Manche Eltern überlassen ihrem Nachwuchs Handys, mit denen man nur telefonieren kann, legen Wert darauf, dass sie an der frischen Luft sind und Sport treiben. Andere statten ihre Kinder mit Smartphones aus.
Wenn Robert ein Thema im Unterricht bearbeitet, greift sie auch gern einmal auf einen kleinen Film zurück, der den Stoff veranschaulicht. Für sie ist es wichtig, dass man weiß, wer der Urheber des Filmes ist. »Aus welcher Ecke stammt er? Ist er neutral?«
Gerade was Israel angeht, müsse man auf die Quelle achten. »Aber meine Schüler sind noch jünger und lesen eher Bücher. Und ich lege Wert darauf, dass wir freitags nach der Schabbatfeier auch Zeit haben, uns zu unterhalten.« Denn sie möchte auch wissen, was die Schüler bewegt – und das erklärt noch kein Tutorial.