Rechtsextremismus

Chemnitz steht auf

Foto: dpa

Es war ein eindrückliches Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit, die Hetze der AfD und anderer rechtsextremistischer Strömungen. Mit einem großen Open-Air-Konzert haben mehr als 65.000 Menschen am Montagabend in Chemnitz das Solidaritäts-Konzert unter dem Motto »Wir sind mehr« besucht. Zu der Veranstaltung hatten verschiedene Bands eingeladen, darunter »Die Toten Hosen«, »Feine Sahne Fischfilet«, die Chemnitzer Band Kraftklub und der Rapper Marteria.

Das Konzert war eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen vor rund einer Woche und die folgende Vereinnahmung der Bluttat durch rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte. Tatverdächtig sind zwei Flüchtlinge. In der Folge kam es zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen und Demonstrationen in Chemnitz.

Schweigeminute Das Konzert auf dem Johannisplatz startete am späten Nachmittag mit einer Schweigeminute. Auch angrenzende Straßen waren mit Besuchern gefüllt. Auf Plakaten standen Slogans wie »Menschenrechte statt rechte Menschen« und »Wir alle wollen leben ohne Angst und Hass«.

Die Veranstaltung in der Chemnitzer Innenstadt verlief störungsfrei, wie die Polizei am späten Abend mitteilte. Laut Bundespolizei gestaltete sich auch die Abreise der auswärtigen Konzertbesucher vom Hauptbahnhof Chemnitz störungsfrei.

Wegen der vielen Konzertbesucher untersagte die Versammlungsbehörde weitere Kundgebungen und Spontanversammlungen in der Innenstadt, etwa des thüringischen »Pegida«-Ablegers »Thügida«. Bereits am Wochenende waren in Chemnitz mehrere Tausend Demonstranten verschiedener politischer Lager auf die Straße gegangen.

Mut Campino, Leadsänger der Toten Hosen, erklärte vor dem Konzert, die Musiker wollten jenen Menschen in Chemnitz und Sachsen Mut machen, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen. Es gehe nicht um einen »Kampf links gegen rechts«, sondern darum, sich den Ausschreitungen eines »Rechtsaußenmobs« entgegenzustellen.

In einem schriftlichen Statement warfen die teilnehmenden Musiker den rechten Demonstranten in Chemnitz vor, die Tötung des Deutschen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren: »Es geht ihnen nicht darum zu trauern, sondern darum, ihrem Hass freien Lauf zu lassen.« Beim Konzert sollten auch Spenden für die Familie des Getöteten sowie für sächsische Antirassismus-Initiativen gesammelt werden.

In Chemnitz soll es an den kommenden drei Montagen wieder Konzerte geben. Einzelheiten stünden aber noch nicht fest. Bereits am Freitag lädt das Theater Chemnitz zu einem Gratiskonzert unter dem Motto »Gemeinsam stärker – Kultur für Offenheit und Vielfalt« ein.

»Pegida« Bei einem »Trauermarsch« mehrerer AfD-Landesverbände und des fremdenfeindlichen »Pegida«-Bündnisses hatten sich am Samstag mindestens 6000 Menschen beteiligt. Da Gegendemonstranten die Route blockierten, wurde der Marsch vorzeitig beendet. Es kam zu tumultartigen Szenen.

Während und nach der Demonstration wurden laut Polizei insgesamt 18 Menschen verletzt, darunter drei Polizeibeamte und ein Mitarbeiter des Mitteldeutschen Rundfunks. Weitere Journalisten wurden attackiert. Unter den Demonstranten waren auch gewaltbereite Rechtsextreme.

Politiker mehrerer Parteien erhoben am Montag Forderungen nach einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Die Bundesregierung blieb jedoch bei ihrer skeptischen Haltung. Derzeit lägen die Voraussetzungen einer Beobachtung der Partei als Ganzes nicht vor, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag in Berlin.

Regierungssprecher Steffen Seibert ergänzte, die Voraussetzungen seien gesetzlich festgeschrieben. Die Sicherheitsbehörden müssten entscheiden, »wann was getan werden muss«. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) forderte allerdings eine weitgehende Beobachtung von Teilen der Partei.

Masken Am Montag bestätigte eine Sprecherin des niedersächsischen Innenministeriums, dass die Jugendorganisation der AfD dort künftig unter Beobachtung steht. Auch Bremen beobachtet die »Junge Alternative« seit einer Woche. »Diese Leute haben mehrfach in der jüngsten Vergangenheit ihre Masken fallen lassen. Die Botschaften dieser Gruppe sind teilweise Rassismus pur«, sagte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD)

Nach dem Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit warnte der Fraktionsgeschäftsführer der SPD im Bundestag, Carsten Schneider, vor weiteren Problemen mit Rechtsextremismus in Ostdeutschland. »Die Situation in Ostdeutschland ist fragil«, sagte er am Montagabend im Fernsehsender Phoenix. Er merke eine starke Ablehnung demokratischer Prozesse.

»Das ist ein Pulverfass«, warnte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer. Alle diejenigen, die in Chemnitz mit rechten Gruppierungen demonstrierten, müssten sich für die Folgen mit in Haftung nehmen lassen. »Wer mit Neonazis marschiert, der hat in der Mitte der Gesellschaft nichts zu suchen, der macht sich gemein mit harten Rechtsextremisten«, erklärte Schneider.

Der Deutsche Kulturrat bezeichnete das Konzert als vollen Erfolg. Geschäftsführer Olaf Zimmermann sprach am Dienstag von einem »deutlichen, unübersehbaren Zeichen gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt«. epd

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