Themenabend

Chassidisches Blumenkind

Von Kopf bis Fuß auf Carlebach eingestellt: (v.l.n.r.) Rabbiner Steven Langnas, Marcus Schroll, Marian Offman, Gershom von Schwarze und Yechiel Brukner Foto: Marina Meisel

Am 14. Januar wäre Shlomo Carlebach sel. A. 85 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde zu einem Abend eingeladen, der diesem 1925 in Berlin geborenen Rabbiner gewidmet war. Der deutsch-amerikanische orthodoxe Rabbiner, der vor allem als Komponist und Sänger von religiösem Folkrock bekannt wurde, starb am 20. Oktober 1994. Die Per- sönlichkeit Carlebachs wurde in seiner Musik, im Film und in ganz persönlichen Berichten von Menschen skizziert, die ihm begegnet waren. So wurde gleich in den Begrüßungsworten von Vizepräsident Marian Offman die Begeisterung seiner Generation wach, die sich in den 60er- und 70er- Jahren an der Musik von Bob Dylan und Joan Baez und eben auch an der von Rabbi Shlomo Carlebach zeigte.

Lehre Zunächst führte der Religionslehrer und Leiter des religiösen Erziehungswesens der IKG, Marcus Schroll, in das Leben und Wirken von Rabbiner Shlomo Carlebach ein. Zwar hat er ihn persönlich nicht mehr erlebt, doch seine Schriften gehören für Schroll zum festen Bestandteil im Unterricht. Shlomo Carlebach entstammt einer bekannten deutschen Rabbinerfamilie. Sein Vater war Rabbiner an der Synagoge Passauer Straße. Er folgte 1931 einem Ruf als Oberrabbiner nach Baden bei Wien, von wo aus die Familie nach dem Anschluss Österreichs nach New York emigrieren konnte. Bereits 1940 gründete er dort die Carlebach Schul, die Rabbi Shlomo Carlebach nach dem Tod des Vaters von 1967 bis 1980 führte. Shlomo Carlebach hatte an verschiedenen Jeschiwot vor allem in New York studiert und fühlte sich besonders dem Chassidismus und den Lubawitschern verbunden. Neben dem Wort war es besonders die Musik, die eine herausragende Rolle in seinem Leben spielte. Mit den Folkmusik-Legenden Bob Dylan und Joan Baez war er bereits 1963 bei einem Festival in San Francisco aufgetreten. Die Musik war für ihn ein wichtiges Element, mit der Carlebach Zugang auch zu den jungen Menschen fand, die sich vom Judentum entfernt hatten. »Die Offenbarung der Tora bedeutet nicht, dass Gott nur einmal mit uns gesprochen hat, sondern dass Gott immer mit uns spricht. Wenn jemand sagt, ich weiß nicht, was ich tun soll, dann heißt das, er hat keine Ohren. Gott sagt uns immer, was wir tun sollen«, zitierte Schroll den Rabbiner, der durch seine Musik weit über die jüdische Welt hinaus bekannt wurde. Doch die Musik alleine war es nicht, mit der Carlebach die Herzen der Menschen eroberte.

Der Münchner Künstler Gershom von Schwarze, der lange in Israel gelebt hat, berichtete von der Batmizwa seiner Tochter. Der große seelische Schmerz einer Lebenskrise, an der das junge Mädchen zu dieser Zeit intensiv litt, war wie weggeblasen, als Rabbi Shlomo damals das Haus betreten hatte. Das war nicht nur bei seiner Tochter so. Das Charisma Carlebachs habe auf viele Menschen, auch auf ihn selbst, immer positiv ausgestrahlt. Damit und mit seiner Musik gelang es dem Sänger und Komponisten von israelischen, chassidischen und amerikanischen Songs auch seiner Aufgabe als Rabbiner in ganz besonderer Weise gerecht zu werden. Von Schwar- ze erzählte, dass es Carlebach ganz besonders um die jüdischen Mittelklasse-Kinder ging, die gerade in den 60er- und 70er-Jahren ihren Weg in anderen religiösen Richtungen und Traditionen suchten. Diese Kinder wollte er zurückholen in das Judentum.

Innovativ Carlebach habe immer wieder betont, dass in einer Generation ein Drittel des jüdischen Volkes in der Schoa verloren gegangen sei. »Jetzt dürfen wir nicht einen einzigen mehr verlieren.« Die unkonventionellen Wege, die Rabbi Shlomo Carlebach dabei ging, illustrierte der Film, der im Hubert-Burda-Saal gezeigt wurde. IKG-Gemeinderabbiner Steven Langnas bekannte denn auch, dass er sich als Junge überhaupt nicht habe vorstellen können, dass Rabbi Carlebach einer bedeutenden deutschen Rabbinerfamilie entstamme. Er hatte ihn mit elf oder zwölf Jahren in einem Sommer-Camp in seiner amerikanischen Heimat erlebt. Für ihn war er damals ein »chassidisches Blumenkind«.

Die Ausstrahlung der Blumenkinder-Generation von Woodstock berührte auch die Besucher im Hubert-Burda-Saal. Ob man etwas von der Atmosphäre, wie sie der Film gezeigt hat, in den Alltag von heute retten könne, war eine der Fragen aus dem Publikum. Zum Erstaunen mancher stellte Rabbiner Langnas das Fortleben der Kompositionen Carlebachs im Repertoire des Münchner Synagogenchors heraus. Und Marcus Schroll sprach von der Begeisterung, mit der die Schüler bei der Sache waren, wenn es um das Thema Carlebach sowohl in seinen Schriften wie in seiner Musik geht. Besonders angetan seien die Jugendlichen, wenn die Religionslehrerin Michaela Rychla dabei auf ihrer Gitarre spielt. Diese Erfahrung hat auch Rabbiner Yechiel Brukner gemacht, der für Torah MiZion in München ist. Er selbst war bereits als Madrich von Rabbi Shlomo begeistert. Die Botschaft und die gewaltige Kraft, die von Carlebach ausging, ist bis heute zu spüren, auch bei der Jugend, stellte Brukner fest. Dabei sei Rabbiner Carlebach stark im chassidischen Gedankengut verwurzelt gewesen. Mit einer kleinen Geschichte unterstrich er eine wichtige Botschaft des singenden Rabbis – die Frage: Warum und wozu bist du gerade jetzt an dem Ort, an dem du stehst? Ein Stück dieses Abends nahm sich dann mancher Besucher als CD mit.

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