Einen besseren Zeitpunkt hätte es für die Veranstaltung nicht geben können, findet Abraham Lehrer. »Pessach steht gemeinsam mit Ostern vor der Tür, und vor genau einer Woche starteten die Muslime in den Fastenmonat Ramadan«, erläuterte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Was wäre da also passender, als Vertreter der drei Religionen Judentum, Islam und Christentum zu einem gemeinsamen Gespräch zusammenzubringen?
Genau das hat am Mittwochabend vergangener Woche die »Denkfabrik Schalom Aleikum« getan. »Dialog Plus Eins« nannte das Projekt des Zentralrats die Podiumsdiskussion, zu der sie hochkarätige Gäste nach Berlin eingeladen hatte: Neben Lehrer diskutierten Katrin Göring-Eckardt (Grüne), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Karin Prien (CDU), Kultusministerin von Schleswig-Holstein, sowie der Islamwissenschaftler Bekim Agai.
Projekt Moderiert wurde die Veranstaltung von der Publizistin und Verlegerin Nora Pester. Es war die erste Veranstaltung von Schalom Aleikum in diesem Jahr. Vergangenen Herbst war die Denkfabrik aus dem gleichnamigen jüdisch-muslimischen Dialogprojekt hervorgegangen. Gefördert wird das Projekt von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.
Für den Jahresauftakt hatten die Veranstalter einen würdigen Ort ausgesucht: den Meistersaal in der Nähe des Potsdamer Platzes. Wie Moderatorin Pester erläuterte, hat das 110 Jahre alte Gebäude, in dem sich der opulente Raum befindet, auch eine jüdische Geschichte. Im Erdgeschoss richtete der Avantgarde-Künstler John Heartfield sein Atelier ein, und 1921 hielt Kurt Tucholsky hier eine seiner Lesungen. Pester sprach von »einem zentralen Schauplatz der 1920er-Jahre«. Später erlangte das Gebäude als Standort der Hansa-Tonstudios erneut Berühmtheit; hier produzierten David Bowie, Iggy Pop und Depeche Mode einige Alben.
Die nun im Meistersaal Anwesenden gingen der »Frage nach den Chancen eines interreligiösen Trialogs in Deutschland« nach, wie Lehrer den Inhalt der Veranstaltung umriss. Nicht nur das Christentum, auch das Judentum und der Islam seien »tief in der deutschen Geschichte verankert«. Dennoch stelle er leider fest: »Antisemitismus und Muslimfeindschaft nehmen nicht erst seit gestern zu.« Allen müsse klar sein, »wie notwendig eine durchdachte Annäherung der Religionen ist, um Frieden und Verständnis zu schaffen«.
Gräben Abraham Lehrer verwies zudem auf einen speziellen Schwerpunkt, dem sich sowohl der Abend als auch die Denkfabrik in nächster Zeit widmen möchte: »Besonders in Ostdeutschland beobachten wir mit Sorge die politische Entwicklung.« Es sei ein wichtiges Zeichen, dass sich das Zentralratsprojekt verstärkt dieser Region zuwende, »wo sich die Gräben zwischen den Religionsgemeinschaften am deutlichsten zeigen«.
»Das Bedürfnis nach Religion ist ungebrochen.«
Abraham Lehrer
Katrin Göring-Eckardt bringt beides mit: einen religiösen und einen ostdeutschen Hintergrund. Obwohl die neuen Bundesländer die am wenigsten religiöse Region Deutschlands sind, schließt sich das für die Grünen-Bundestagsabgeordnete nicht aus – im Gegenteil. »Die Kirchen waren Orte der Sicherheit«, beschreibt Göring-Eckardt, die für einige Jahre Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland war, die Situation in der DDR. Ihre ersten Schritte als Politikerin machte sie in der kirchlichen Friedens- und Umweltbewegung. »Hier wurde ich fromm«, erzählte sie.
Auch Karin Prien bezeichnet sich als religiös praktizierend. Die Jüdin und Christdemokratin – für Prien kein Widerspruch – ist Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU. Im Meistersaal stellte sie ein Problem in den Raum: »Wie stehen wir als säkularer Staat zur Religion?« Prien findet, den Dialog zu den religiösen Gemeinschaften sollte auch ein konfessionell nicht gebundener Staat unbedingt suchen, denn er selbst kann wichtige Funktionen nicht erfüllen. »Was hält diese Gesellschaft im Innersten zusammen?« Für Antworten auf solche Grundsatzfragen seien wir auch auf die Religionen angewiesen.
traditionen Gerade heute gäben die Traditionen vielen Menschen Halt, glaubt Prien. »Durch die Krisen, die wir erleben, spielt Religion eine größere Rolle.« Auch Zentralratsvize Lehrer zeigte sich überzeugt: »Das Bedürfnis nach Religion ist ungebrochen.« Das gelte sowohl für den Westen als auch für den Osten des Landes. Göring-Eckardt verwies dagegen auch auf die sich verändernden Lebenslagen der Menschen und die zunehmende Individualisierung. »Die religiösen Institutionen müssen sich überlegen, wie sie attraktiv sein wollen.«
Bekim Agai beschrieb aus muslimischer Perspektive ein seiner Meinung nach großes gesellschaftliches Versäumnis: Lange sei das Christentum in Deutschland die absolute Norm gewesen.
Dabei verändere sich das Land stark. »Christentum als ›default modus‹ wird immer weniger der Fall sein«, sagte Agai, der in Frankfurt am Main die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft leitet. Er plädiert für eine deutlich stärkere Berücksichtigung der Lebensrealität von religiösen Minderheiten.
Vielfalt Ein geglücktes Beispiel wachsender Diversität hat die Parlamentarierin Göring-Eckardt parat: »Es gibt eine größere religiöse Vielfalt im Bundestag als jemals zuvor.« Sie habe noch nicht erlebt, dass sich so viele Abgeordnete selbstbewusst zu ihrer jeweiligen Religion bekennen.
Das habe zu einer für sie besonderen Begebenheit geführt: Mit einigen ihrer Kollegen diskutierte sie neulich über die unterschiedlichen Arten des Fastens in den drei monotheistischen Religionen. »Ich finde, das ist ein großer Fortschritt«, gab sich Göring-Eckardt zuversichtlich.
Das ist eine Nachricht, die ganz im Sinne von Schalom Aleikum sein dürfte. Schließlich verfolgt die Denkfabrik auch das Ziel, über religiöse Lebensrealitäten aufzuklären – nicht zuletzt auch mit ihrer Veranstaltung im Meistersaal.