Die kleine Gruppe von Erstklässlern ist aufgeregt: Auf die Frage, was ihnen an ihrer Schule gefällt, schnellen vier kleine Zeigefinger in die Höhe. »Ich mag den Unterricht, weil man klüger wird«, ruft Moritz. »Ich mag Mathe«, unterbricht Lian. »Mir gefällt Jüdisch«, sagt Naomi. »Und ich mag alles«, schließt Oskar.
Die vier besuchen die Grundschule am Falkplatz im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Der große graue Klotz beherbergt gut 420 Schüler. »Der Ausländeranteil liegt bei 20 Prozent, viele von den Kindern haben einen russischen oder israelischen Hintergrund«, erklärt Carola Melchert. Seit knapp drei Jahren leitet sie die Schule – seither haben sich die Schülerzahlen fast verdoppelt. »Als ich anfing, hatten wir 272 Kinder, im nächsten Schuljahr werden es 500 sein«, so Melchert.
Doch nicht nur die Zahl der Schüler insgesamt hat sich erhöht. Unter den Neuanmeldungen ist auch ein überproportional großer Anteil von jüdischen Kindern. »Es spricht sich herum, wenn die Schulleiterin selbst Jüdin ist«, meint Melchert.
Religion Wegen dieser gestiegenen Anziehungskraft wandte sich Melchert an Lala Süsskind, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde – und kann seit diesem Schuljahr nun auch jüdischen Religionsunterricht anbieten, koordiniert und finanziert von der Gemeinde. 22 Kinder besuchen ihn, für das kommende Schuljahr gibt es bereits zahlreiche Neuanmeldungen. »Wir haben die Geschichte der Esther gelernt und einen Palast gebaut«, berichtet die siebenjährige Naomi und hält die kleine, bunt bemalte Pappfigur hoch, die Königin Es-ther darstellt. »Und wir lernen ganz viele jüdische Sachen, das macht Spaß«, ergänzt Oskar. Geleitet wird der Unterricht von Tatjana Wigger. Die Literaturwissenschaftlerin für Russistik und Hebraistik will die Kinder spielerisch an Feiertage wie Purim und das bevorstehende Pessach heranführen. »Gerade bei den Kleinen geht es erst einmal darum, Inhalte anzureißen und auf die Werte zu kommen, die dazugehören.« Ab dem kommenden Schuljahr wolle sie mit Hebräischunterricht beginnen.
Kooperation Noch gibt es für den Jüdischunterricht keinen Rahmenplan, dieser muss erst noch erarbeitet werden. Bis dahin treffen sich die Religionslehrer der Schulen, an denen die jüdische Gemeinde den Unterricht anbietet, alle vier bis sechs Wochen mit Gemeinderabbinerin Gesa Ederberg, die das Projekt koordiniert. »Das ist alles noch im Aufbau«, erklärt Tatjana Wigger. Dennoch werde zum Beispiel bereits besprochen, wie der Übergang zur Jüdischen Oberschule aussehen könne. »Die Zusammenarbeit ist sehr eng«, beschreibt Wigger. Später sollen auch Unterrichtsmaterialien ausgetauscht werden. Wie Schulleiterin Melchert lobt auch Wigger die tolerante Atmosphäre der Schule: »Schön ist hier, dass die Kinder ganz selbstverständlich mit den verschiedenen Religionen umgehen: Die einen gehen eben zum jüdischen Unterricht, die anderen zum katholischen und so weiter.« Und Melchert ergänzt: »Hier guckt keiner, wenn die Jungs mit einer Kippa durch die Flure laufen.« Auch Oskar, Lian und Moritz tragen die Kopfbedeckung – wenn sie nicht gerade grinsend ausprobieren, wo man die Kippa noch aufsetzen könnte. Die drei Jungen haben wie viele ihrer Mitschüler einen multikulturellen Hintergrund: Moritz’ Vater ist US-Amerikaner, Oskars Eltern kommen aus Österreich und Chile und Lians Vater ist Israeli. Für Wigger und Melchert ist das ein weiterer Grund für die Attraktivität der Schule am Falkplatz: Sie spiegele die Vielfalt und Offenheit des Prenzlauer Bergs wieder. »Wir passen einfach hier in den Bezirk«, so Melchert. Damit würden sie möglicherweise ein anderes Klientel ansprechen als zum Beispiel die Heinz-Galinski-Schule, die von der Gemeinde getragen wird. »Zu uns kommen vielleicht eher die israelischen oder säkularen Eltern«, mutmaßt die Schulleiterin.
Eine ähnliche Erklärung hat auch Tatjana Wigger: »Es ist auch eine ganz neue Generation von jüdischen Eltern, die jetzt Nachwuchs im Grundschulalter hat«, sagt sie. »Die wollen wahrscheinlich, dass ihre Kinder etwas über die Feiertage erfahren, auch Hebräisch lernen, sie aber nicht unbedingt auf die Schule einer Religionsgemeinschaft schicken.«
Mehrsprachig Doch die Schule am Falkplatz hat weitere besondere Angebote: Sie darf sich »Umweltschule in Europa« nennen, eine Auszeichnung für ihr ökologisches Engagement, das sich in zahlreichen speziellen Umweltprogrammen äußert. Dazu kommt die Mehrsprachigkeit: Schon das Einschulungsprogramm findet auf Deutsch, Russisch und Hebräisch statt. »Das ist dann zum Beispiel ein Angebot, das viele russische Eltern anzieht«, berichtet Melchert. So gebe es etwa Russisch-unterricht und eine russische Bibliothek. »Wir haben aber auch viele arabische Familien, die die Schule extra wegen des Toleranzgedankens ausgesucht haben«, fährt die Schulleiterin fort.
So gibt es etwa jeden Montag einen Tanz auf dem Hof aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, dazu nimmt die Schule am »Trialog der Kulturen«-Schulwettbewerb der Herbert-Quandt-Stiftung teil.
Die Toleranz zeigt sich nicht nur in verschiedenen Projekten der Schule, sondern auch im ganz alltäglichen Miteinander. »Wie dieses Miteinander funktioniert, fasziniert mich«, schwärmt Carola Melchert. So gäbe es keine Auseinandersetzungen, stattdessen herrsche eine große Akzeptanz. Sie vermutet, dass dies auch an dem bunt gemischten Kollegium liege: »Wir leben das als Team vor, in dem wir ebenso multikulturell sind wie die Schülerschaft.«
Dazu komme das große Engagement der Elternschaft, die sich stark in die unterschiedlichen Projekte einbringe. Für Melchert, die hier ihre erste Schule leitet, erfüllt sich damit eine Vision: »Genauso habe ich mir Schule vorgestellt: als Ort, an dem man gleichberechtigt und mit Neugier aufeinander zusammenleben kann.«