Todestag

Brückenbauer und Kämpfer

Paul Spiegel sel. A. (1937–2006) Foto: dpa

Am 30. April jährte sich der Todestag von Paul Spiegel zum zehnten Mal. In diesem Jahr war das der 8. Tag Pessach, an dem das Jiskor-Gebet gesprochen wird. Es war Schabbat, und am Schabbat sollen wir nicht trauern. Aber wie lässt sich das Jiskor-Gebet mit dem Nicht-Trauern vereinbaren? Für mich bedeutet Jiskor »Gedenke« – das hilft.

Obwohl der jüdische Todestag der 2. Ijar ist, ist der 30. April 2006 bei mir wesentlich präsenter als das Datum unserer religiösen Zeitrechnung. Das hat wohl – so denke ich – mit unserem Leben in der Diaspora zu tun, da wir unsere Termine und Veranstaltungen nach dem gregorianischen Kalender ausrichten.

krankheit Die letzten Monate vor seinem Tod, sie waren wie Wechselbäder. So abrupt sollte eine Freundschaft, die 1958 begonnen hatte, enden, unwiderruflich? Unsere gemeinsame Jugend, die Gründungen unserer beider Familien, das tägliche Miteinander – in persönlichen Begegnungen oder am Telefon. Alles veränderte sich in den letzten Monaten durch diese schreckliche Krankheit, und ich traute mich kaum noch, die Frage zu stellen: »Wie geht es dir heute?« Zu wissen, dass die Antwort nicht der Wahrheit entsprach.

Am 30. April 2006 war sein Leiden beendet. Der Kämpfer, unser Kämpfer, der sich nicht schonte, immer ansprechbar war, wenn sein Rat und seine Hilfe benötigt wurden, musste loslassen, obwohl er noch vieles vorhatte. Als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, als Brückenbauer zur nichtjüdischen deutschen, aber auch zur internationalen Öffentlichkeit, als Ehemann, Vater und Freund unserer Familien. Es bleibt mir in Erinnerung, dass unsere erwachsene Tochter Nicole ihn immer, bis zuletzt, Onkel Paul genannt hatte, während unsere Söhne ihn stets beim Vornamen nannten.

überleben Paul hatte in Belgien überlebt, als Kleinkind, wie durch ein Wunder. Nichtjüdische Belgier hatten ihr Leben für ihn riskiert. Seine Mutter Ruth hatte die Nazizeit ebenfalls in Belgien überstanden, der Vater Hugo Spiegel wurde aus dem KZ Dachau befreit. Paul hat die Ermordung seiner Schwester Roselchen durch die Nazis nie verkraftet. Den mutigen belgischen »Ersatz-Eltern« hatte er bis zu deren Lebensende die Ehre erwiesen.

Mich hat er in die jüdische Gemeindearbeit buchstäblich hineingezogen. Erst Jugendzentrum in einem provisorischen Raum, den die Jüdische Gemeinde Düsseldorf in der Eisenstraße angemietet hatte, bis in der Zietenstraße nach 1960 eigene Räume gefunden waren. Dann Anfang der 70er-Jahre die Kandidatur zum Gemeinderat. Das wurde, wie unsere Kinder sagten, mein erstes Zuhause! In vielen Bereichen des Gemeindelebens, des Landesverbandes, der zahlreichen jüdischen Organisationen, eine gemeinsame Straße, nicht immer einer Meinung, aber mit gleicher Zielsetzung, mit gegenseitigem Vertrauen bis ins kleinste Detail.

generationen Ein gemeinsames Leben der Familien Spiegel und Rubinstein, bis 2006 fast 50 Jahre, füllt Bände. Die nächsten beiderseitigen Generationen und ihre Nachkommen führen diese engen Verbindungen weiter, allerdings nicht mehr von Düsseldorf aus, sondern aus den unterschiedlichen Wohnsitzen in Europa. Paul würde sich darüber freuen, hat er doch maßgeblich dazu beigetragen.

Alles begann in Warendorf, einer Kleinstadt in Westfalen. Gisèle Spatz-Spiegel aus Lyon, Ruthi Löwendahl-Rubinstein aus Tel Aviv, anschließend Köln, ich aus Czernowitz und später Amsterdam, Paul Spiegel aus Warendorf. Gibt es Zufälle, oder wie lässt sich erklären, dass wir uns alle in Düsseldorf kennenlernten, in Deutschland, und Judentum mit aufgebaut haben?

Ich begann mit »Gedenke«. An gute, frohe und traurige Anlässe. Das geschieht nicht nur an einem 30. April.

Herbert Rubinstein war von 1996 bis 2008 Geschäftsführer und Vertreter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein.

Chanukka-Umfrage

»Wir brauchen das Licht«

Was für Lieblingssymbole haben Gemeindemitglieder? Und wie verbringen Familien das Fest, wenn ein Partner Weihnachten feiern möchte? Wir haben nachgefragt

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt  25.12.2024

Berlin

Wenn Hass real wird

Die Denkfabrik Schalom Aleikum beschäftigt sich mit dem gesellschaftlichen Einfluss sozialer Medien

von Alicia Rust  23.12.2024

Interview

»Wir sind neugierig aufeinander«

Amnon Seelig über die erste Konferenz des Kantorenverbandes, Lampenfieber und das Projekt Call a Kantor

von Christine Schmitt  22.12.2024

Porträt der Woche

Ein Signal senden

David Cohen ist Geschäftsführer eines Unternehmens und setzt sich gegen Judenhass ein

von Matthias Messmer  22.12.2024

Soziale Medien

In 280 Zeichen

Warum sind Rabbinerinnen und Rabbiner auf X, Instagram oder Facebook – und warum nicht? Wir haben einige gefragt

von Katrin Richter  20.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Debatte

Darmstadt: Jetzt meldet sich der Pfarrer der Michaelsgemeinde zu Wort - und spricht Klartext

Evangelische Gemeinde erwägt Anzeige wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024

Hessen

Nach Judenhass-Eklat auf »Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt«: Landeskirche untersagt Pfarrer Amtsausübung

Nach dem Eklat um israelfeindliche Symbole auf einem Weihnachtsmarkt einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt greift die Landeskirche nun auch zu dienstrechtlichen Maßnahmen

 19.12.2024

Ehrung

Verdiente Würdigung

Auf der Veranstaltung »Drei Tage für uns« wurde der Rechtsanwalt Christoph Rückel ausgezeichnet

von Luis Gruhler  19.12.2024