Es war die wohl größte Demonstration in der bayerischen Landeshauptstadt seit mehr als 30 Jahren: Über 100.000, nach Veranstalterangaben sogar bis zu 320.000 Menschen versammelten sich am Sonntag rund um das Siegestor, um gemeinsam ein Zeichen gegen rechts zu setzen. Aufgrund des großen Andrangs musste die Zusammenkunft schon kurz nach Beginn abgebrochen werden.
Der Schock über das Anfang Januar publik gewordene Treffen hoher AfD-Funktionäre mit bekannten Rechtsextremen saß offensichtlich tief. Obwohl die dort besprochenen Inhalte für die rechtsextreme Partei nichts Neues waren, hatte die Berichterstattung weite Teile der Bevölkerung mobilisiert und zu zahlreichen Kundgebungen gegen Rechtsextremismus geführt. Eine Größe wie nun in München hatten diese bislang aber nur selten erreicht.
Hass, Spaltung und rechtsextreme Einstellungen
Entsprechend stolz war Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der am Sonntag an vorderster Front mit dabei war. Für ihn war es »einfach großartig, wie viele Menschen in München für die Demokratie und gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Hetze aufgestanden sind«, wie er der Münchner »Abendzeitung« sagte. Gemeinsam sei ihnen, dass sie sich um die Demokratie sorgten und nicht wollten, »dass Hass, Spaltung und rechtsextreme Einstellungen gewinnen«.
Ein Blick in die politische Landschaft offenbart, dass solche Sorgen alles andere als abwegig sind. In Umfragen für eine mögliche Bundestagswahl liegt die AfD seit Monaten stabil bei 20 Prozent und mehr, in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo im Herbst gewählt wird, führt sie das Feld teils deutlich an. Auch in Bayern hatte die Partei bei der Landtagswahl im vergangenen Herbst fast 15 Prozent der Stimmen erhalten und stellt in der laufenden Legislaturperiode die größte Oppositionsfraktion.
Grund genug auch für die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, der Kundgebung einen Besuch abzustatten. Das klare Signal gegen rechts habe sie unterstützen wollen, so Knobloch, die das stete Anwachsen der Menge ebenfalls direkt am Siegestor verfolgte. Trotz des Abbruchs wertete sie die Demonstration als Erfolg: »Diese Art von Interesse für die Bewahrung von Freiheit und Demokratie habe ich mir lange gewünscht. Dass die Kundgebung wegen des großen Interesses aus allen Nähten platzte, sendet deshalb genau die richtige Botschaft aus.« Ob der Demonstrationszug sich noch in Bewegung gesetzt habe oder nicht, sei im Nachhinein nicht so wichtig wie seine schiere Größe.
Viele junge Menschen unter den Teilnehmern und Organisatoren
Besonders angetan war die IKG-Präsidentin von den vielen jungen Menschen sowohl unter den Teilnehmern als auch im Kreis der Organisatoren. »Wenn ich sehe, wie stark die junge Generation hier vertreten ist und wie Jugendliche und junge Erwachsene sich mit ganzem Herzen für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, dann habe ich wieder Hoffnung«, so die Holocaust-Überlebende. Auf ein solches Ausrufezeichen der Gesellschaft habe man zuvor lange warten müssen, fügte Knobloch hinzu.
Mehrere kleinere Makel trübten das positive Gesamtbild. So hatte es Aufregung um eine Versammlungsleiterin gegeben, die sich vorab gegen eine Teilnahme von Mitgliedern der CSU auf der Demonstration auszusprechen schien. Über einige Wortbeiträge auf der Bühne, die teils mit heftiger Kritik an den Parteien der Ampelkoalition der Bedeutung des Anlasses nicht gerecht wurden, zeigte sich unter anderem auch Oberbürgermeister Reiter befremdet.
»Heute hat die Mehrheit gezeigt, wo sie steht. Das macht mir Hoffnung für unsere Demokratie.«
Charlotte Knobloch
Wohl am schwersten wog aber die unangekündigte Beteiligung eines Blocks der Organisation »Palästina spricht«, dessen knapp 300 Mitglieder sich unter die sonstigen Teilnehmer mischten und anti-israelische Parolen skandierten. So zwanghaft offenbar ihr Hass auf Israel, so unangemessen erschien diese Entgleisung vielen anderen Demonstranten, weshalb es Medienberichten zufolge sogar zu Handgemengen kam.
Charlotte Knobloch wiederum vermisste in einigen Redebeiträgen eine eindeutige Benennung aller Opfer: »Jüdische Menschen werden von Rechtsextremen verfolgt, weil sie jüdisch sind – das muss klar gesagt werden.« Trotzdem lobte sie die Kundgebung insgesamt als enormen Schritt im Kampf für die zentralen Werte der Demokratie. Wichtig sei nun, »dass eine breite Bewegung gegen Rechtsextremismus und Hass diese Werte weiterträgt, in alle Winkel der Gesellschaft und am Ende auch an die Wahlurnen«.
Alles Gerede von einer »schweigenden Mehrheit«, die die AfD angeblich hinter sich habe, sei an diesem Sonntag lautstark widerlegt worden, so Knobloch, und gerade das mache ihr Mut: »Die Nationalsozialisten sind 1933 nicht an die Macht gekommen, weil der Großteil der Menschen das gewollt hat, sondern weil die Mehrheit es nicht verhinderte. Heute hat die Mehrheit gezeigt, wo sie steht. Das macht mir Hoffnung für unsere Demokratie.«