Etwa 300 Menschen in Dresden folgten dem Aufruf verschiedener Initiativen wie »Herz statt Hetze«, »Dresden für alle« oder dem RAA Sachsen e.V. Auch der DGB, HATiKVA e.V. sowie der Dresdner Ausländerrat, der Sächsische Flüchtlingsrat oder die »Omas gegen rechts« gehören zu dem Bündnis, das jederzeit öffentlich gegen antijüdische Ressentiments und Verschwörungsmythen protestiert und sich am vergangenen Donnerstag schützend vor die Synagoge stellte, wie es das auch nach dem Anschlag von Halle getan hat.
Musiker der »Banda Internationale« spielten, Oberbürgermeister Dirk Hilbert, Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch und Superintendent Albrecht Nollau schauten vorbei. Muslime der Ahmadiyya-Gemeinde hielten ein Banner mit der Aufschrift »Liebe für Alle – Hass für Keinen« in die Höhe. »Wir sind eins mit den Juden. Die Solidarität mit ihnen ist uns wichtig«, sagte Muhammad Azhar , der sich als Sprecher der Ahmadiyya-Gemeinde vorstellte.
Nach dem langen Corona-Lockdown, in dem es nicht einmal Präsenzgottesdienste gab, war dies die erste größere Veranstaltung mit Beteiligung der Jüdischen Gemeinde. Die Jüdische Woche im Herbst wie auch der Chanukka-Ball waren 2020 ausgefallen, in diesem Jahr Purim, Pessach und Schawuot. Keine festlichen Kidduschim mit Gästen, keine Ausstellungen, kein Konzert der Jüdischen Kammerphilharmonie. Erst langsam zieht wieder Leben in das jüdische Gemeindezentrum ein.
Synagogeneröffnung Viele, die an diesem 24. Juni auf die Synagoge blickten, erinnerten sich gerne an deren Eröffnung vor nunmehr fast 20 Jahren. Der Klarinettist Michal Tomaszewski gründete damals mit geflüchteten Musikern die »Banda Comunale«, die spätere »Banda Internationale«. Immer wieder versuchten sie mit ihrer Musik, die Reden und Sprechchöre von »Pegida«-Aufzügen zu übertönen.
Viel habe sich in den 20 Jahren verändert, sagte Tomaszewski. »Wenn wir durch Dresden laufen, sehen wir viele Menschen, die wir nicht sofort als Sächsinnen oder Sachsen identifizieren würden. Auch wenn diese ganzen rechten Vollidioten immer da sind, wir werden mehr.« Und das versuchten sie mit ihrer Musik zu unterstützen. Die Töne hallen von den Mauern der Synagoge wider.
Ein offenes Haus sollte sie sein. Ganz nach dem Segensspruch »Denn mein Haus werde genannt ein Bethaus allen Völkern«. Doch der Hof mit den Platanen und die Glasfassade des Gemeindehauses gelten seit dem Anschlag von Halle als Sicherheitsrisiko. Bauliche Schutzmaßnahmen stehen bevor, die aber nur einen kleinen Teil der Angst nehmen können. Vor allem die russischsprachigen Gemeindemitglieder fürchten sich. Sie hatten geglaubt, in ein sicheres Land gekommen zu sein. Und nun?
Landtagswahlen Ekaterina Kulakova, Vorsitzende der Repräsentanz, sprach wahrscheinlich zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit über dieses Gefühl, aber auch davon, dass sie sich nicht verunsichern lassen will. Und Michael Hurshell, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, berichtete, dass er diese Bedrohung bereits gespürt hatte, nachdem er mit seiner Frau nach Dresden gezogen war – »als 2004 bei den Landtagswahlen die NPD über neun Prozent bekam und ich und meine jüdischen Freunde an dem Wahlabend zusammensaßen und diskutierten, was das nun bedeute«. Für sie habe sich die Frage gestellt: »Wollen wir hierbleiben, ist es Zeit, die Zelte abzubrechen, wohin geht die Reise hier in Sachsen?«
Sehr schnell kamen sie zu dem Schluss: »Wir lassen uns nicht vertreiben. Wir bleiben hier!« Auch nicht durch diejenigen, die bei einem Jahrestag der Zerstörung Dresdens durch die Alliierten die Losung vom »Bomben-Holocaust« im Sächsischen Landtag ausrollten. Der Protest dagegen blieb verhalten. Nicht zuletzt die anti-israelischen Demonstrationen im Mai dieses Jahres hätten die Furcht verstärkt, dass Juden in Deutschland nicht mehr willkommen sind, sagte Hurshell vor den Versammelten. Er berichtete von einer Debatte über jüdische Kultur im Sächsischen Landtag, der er ein paar Stunden zuvor als Gast beiwohnen durfte. AfD-Abgeordnete stellten sich dort als Beschützer der Juden dar. Sie hätten das Thema als Hebel für ihre Ausländerfeindlichkeit benutzt. Das sei unerträglich gewesen, so Hurshell.
Fans von Dynamo Dresden beschimpften Journalisten »als Judenpresse«.
Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen berichtete von beinahe alltäglich gewordenen Unerträglichkeiten, von Rassismus und Antisemitismus. So wurde in einer Löbauer Berufsschule wochenlang ein Lehrfilm über das Zinssystem voller antijüdischer Klischees gezeigt. »Ebenfalls vor Wochen haben Fußballfans von Dynamo Dresden randaliert und die anwesenden Medienvertreter als ›Judenpresse‹ beschimpft und angegriffen.«
Klischees Nattke zitierte den sogenannten Sachsenmonitor. Demnach meinte jeder Zehnte, dass Juden etwas Eigentümliches an sich hätten, und jeder Fünfte, dass Juden heute Vorteile daraus zögen, dass sie in der Nazizeit Opfer waren. Hingegen fühlten sich viele Dresdner selbst als Opfer des Zweiten Weltkriegs, eine Rolle, die Kinder und Enkel längst weiterspielen. »Die Auseinandersetzung mit der Schoa und der Verfolgung von Dresdnern, die Juden waren, trat im Vergleich zur Bombardierung der Stadt in der Erinnerungskultur in den Hintergrund.« Etwa bei dem Vorfall am 13. Februar am Hauptbahnhof mit der Parole vom »Bomben-Holocaust«.
2019 habe die Stadt monatelang bei Pegida-Aufzügen einen Stand toleriert, der zu Solidarität mit der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aufrief. Nattke blickte dabei in Richtung Oberbürgermeister und forderte von den Dresdner Bürgern, dass sie sich allen Formen von Antisemitismus entgegenstellen. Aber es sei zumindest ein erster Schritt, »dass wir heute hier stehen«.
»Wir brauchen die Solidarität, wir brauchen das Mitgefühl.«
Gemeindevorsitzender Michael Hurshell
Hildegart Stellmacher setzte sich schon zu DDR-Zeiten für ein geschwisterliches Verhältnis zwischen Juden und Christen ein. Sie gehörte zu den Gründerinnen der Gesellschaft für Christliche-Jüdische Zusammenarbeit in Dresden. Sie sprach von der Selbstüberhebung ihrer Kirche als einer Ursache des historischen Antijudaismus. Dieser sei Teil der Kirchengeschichte seit 1700 Jahren gewesen, seit den Zeiten Kaiser Konstantins. Gerade Dresden gehörte später auch zu den Hochburgen der NS-nahen »Deutschen Christen«. Mit Blick auf diese Vergangenheit sagte Oberlandeskirchenrat Karl-Ludwig Ihmels am Rande der Kundgebung, dass es heute selbstverständlich sein müsse, »dass wir uns vor die jüdischen Glaubensgeschwister stellen. Die Straße ist nicht unbedingt unser Gebiet, aber wenn wir da nicht auftauchen, ist es wahrscheinlich schlecht.«
Jubiläum Gut eine Stunde dauerte die Solidaritätsaktion vor der Neuen Synagoge Dresden, die am 9. November ihr 20. Weihejubiläum feiert. Der deutsch-amerikanische Musiker Michael Hurshell nannte diese Kundgebung der Freunde lebenswichtig für die jüdische Gemeinde. »Wir brauchen die Solidarität, wir brauchen das Mitgefühl, wir brauchen das Verständnis unserer nichtjüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, denn wir sehen einer riesigen Welle von neuem Antisemitismus entgegen, wir sehen, wie der Holocaust verniedlicht, verleugnet und missbraucht wird, wie bei den Demos mit dem gelben Sternen, wir sehen die neuen Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Pandemie, und da ist solch eine Veranstaltung wie heute, wo Menschen zeigen, dass sie an unserer Seite stehen, enorm wichtig.«
Eines scheint sicher zu sein: Sollte die Jüdische Gemeinde zu Dresden in Not geraten, könnte sie auf zahlreiche Vereine oder Bürgerinitiativen zählen, von der Ahmadiyya Muslim Jamaat bis zu den »Omas gegen rechts«.