Porträt der Woche

Boot und Bühne

Ramón Jaffé spielt Kompositionen seines Vaters und erholt sich gern auf dem Wasser

von Christine Schmitt  06.11.2021 20:52 Uhr

»Klassische Musik ist meine Liebe, Flamenco meine Leidenschaft«: Cellist Ramón Jaffé (59) lebt in Berlin. Foto: Uwe Steinert

Ramón Jaffé spielt Kompositionen seines Vaters und erholt sich gern auf dem Wasser

von Christine Schmitt  06.11.2021 20:52 Uhr

Ich zitterte vor Aufregung, als ich den Geigenbauer anrief, um ihm zu sagen, dass ich das Cello gerne kaufen möchte. Wir wussten beide, dass ich mir ein Instrument des venezianischen Meisters Michele Deconet aus dem Jahr 1754 nicht leisten konnte. Zwei Wochen zuvor war ich bei dem Geigenbauer und Händler in Holland, um mehrere Instrumente auszuprobieren.

Doch in meiner angegebenen Preisklasse war keines dabei, bei dem ich dachte, dass es das ist, was ich möchte. Plötzlich sah ich zwischen den ganzen Celli eine Zarge, die mich anlachte. Ich fragte, ob ich es ausprobieren könnte, im Bewusstsein, dass es meinen Etat sprengen würde.

geigenbauer Zwei Tage lang nervte ich den Geigenbauer, weil ich den ganzen Tag bei ihm saß, um das Instrument zu spielen, und ihn mehrmals bat, andere Saiten aufzuziehen, um den optimalen Klang zu finden. Dann konnte ich es für 14 Tage mit nach Hause nehmen – und ich spürte, dass es genau das Cello ist, das für mich vom Klang, von der Ansprache und vom Charakter her perfekt ist. Also nahm ich meinen Mut zusammen, griff zum Telefonhörer und rief den Händler in Amsterdam an. Er sagte, dass ich in der Leitung bleiben solle.

Ich war so aufgeregt! Mein französisches Cello, auf dem ich bis dahin gespielt hatte, würde für die Konzertsäle, in denen ich nun auftreten wollte, nicht reichen. Nach einiger Zeit kam er wieder. »Sie sind ein talentierter junger Musiker, herzlichen Glückwunsch, das Cello gehört nun Ihnen.« Er ist tatsächlich mit dem Preis heruntergegangen. Ich war glücklich. Seitdem verbringen das barocke Instrument und ich jeden Tag viel Zeit miteinander, denn ich übe täglich um die vier Stunden und gebe Konzerte.

Bei der jüdischen Musikreihe KOL trete ich zusammen mit meiner Tochter auf. Wir spielen Musik vergessener jüdischer Komponisten.

Auf ein paar besondere Auftritte freue ich mich sehr. Vor allem auf die, bei denen mein Vater Don Jaffé, meine Tochter Serafina und ich gemeinsam mit der Pianistin Monica Gutman auf der Bühne stehen werden. Meine Tochter studiert Harfe, und wir werden zusammen auch Kompositionen meines Vaters interpretieren.

URAUFFÜHRUNG Im November spielen wir auch bei KOL – Jüdische Musik beleben und erleben. Das Programm trägt den Titel »Im Geiste von Anne Frank«. Dies bezieht sich zum einen auf Leon Gurvitchs »Anne Frank Suite«; zudem werden noch drei Kompositionen zu erleben sein, die für uns komponiert wurden: Anna Segals wunderbares »Niggun« für Violoncello, Klavier und Harfe, Don Jaffés »Kleine Suite für Violoncello und Harfe« sowie seine »Metamorphosen« für die Trio-Besetzung. Letzteres Werk wird eine Uraufführung sein.

Dazu kommen Erwin Schulhoffs geistreiche drei »Études de Jazz« für Klaviersolo und von der aus Holland stammenden Henriëtte Bosmans zauberhafte »Impressions« für Violoncello und Klavier. Mit einigen dieser Werke sind wir auch für das Kulturprogramm des Zentralrats unterwegs.

Es ist etwas ganz Besonderes, der Hauptinterpret und unangefochtene Performer der Weltpremieren eines Komponisten zu sein. Den »Job« zu bekommen, war keine Kunst, denn der Komponist ist mein Vater – ihn jedoch würdig auszufüllen, schon. Diese Konstellation ist anspruchsvoll für beide Seiten.

RIGA Geboren wurde ich in Riga. Mein Vater unterrichtete damals Cello. Wir wohnten nur wenige Minuten entfernt von der Musikschule, und so kam es, dass er öfters zu Hause mit seinen Schülern arbeitete oder er sie einlud, um sich gemeinsam Schallplatten anzuhören. In dieser Atmosphäre wuchs ich auf. Meine Berufsträume wie Kosmonaut oder Lokomotivführer waren nur von kurzer Dauer, denn ich wusste als Fünfjähriger schon, dass es für mich nur einen einzigen Beruf geben wird: Cellist.

In Israel fiel ich in ein tiefes Loch, denn das Niveau in Lettland war viel höher.

Mit viereinhalb habe ich mit einem kleinen 1/8 Cello angefangen. Noch bevor ich eingeschult wurde, bereitete ich mich für die Aufnahmeprüfung einer Spezialschule für Musik vor. Sechs Tage lang musste ich alle Prüfungen bestehen und auch in den folgenden Jahren immer wieder Examen absolvieren, sonst wäre ich rausgeflogen.

Doch dann unterbrach der Zionismus meiner Eltern diese Ausbildung. Mein Vater wollte nach Israel, da der Antisemitismus in Lettland immer stärker wurde. So kam es, dass er sich beim Jerusalem Symphony Orchestra bewarb und die Stelle bekam. Für mich war es ein harter Einschnitt, denn ich war glücklich in der Spezialschule, da ich dort musikalisch und in der Allgemeinbildung viel lernte. Mathe und Naturwissenschaften waren nicht meine Stärken, die liegen im musischen Bereich. Heute spreche ich acht Sprachen.

JOM-KIPPUR-KRIEG In Israel fiel ich in ein tiefes Loch, weil das Niveau im Vergleich dazu in Riga viel höher war. Ein Lichtblick war, dass mir mein Vater weiter Cello-Unterricht gab. Er hatte damals schon viel Lebenserfahrung und kannte sich in der Musikszene aus. »Denke nicht, dass du der Einzige bist, der Cellist werden will«, sagte er mir. Denn es ist nicht einfach, in diesem Beruf zu bestehen.

Doch dann kam der Jom-Kippur-Krieg, Meine Mutter, die als Krankenschwester arbeitete, wurde eingesetzt und mein Vater in die Panzereinheit nach Ägypten eingezogen. Danach wollten meine Eltern wegen der ständigen arabischen Bedrohungen nicht mehr in Israel bleiben.

Weil mein Onkel bereits in Deutschland lebte, bewarb sich mein Vater nun in Bremen und schaffte es schließlich zu den Bremer Philharmonikern. Dort habe ich bis zu meinem 28. Lebensjahr gelebt. Ich besuchte eine ganz normale Schule, und mein Vater unterrichtete mich weiter. Er war fast immer geduldig mit mir, denn ich habe ihm durchaus widersprochen, woraus sich schon auch mal ein Streit ergab. Manchmal ist er dann doch explodiert, aber letztendlich hatten wir eine schöne Zeit.

Angebote für Orchesterstellen mochte ich nicht annehmen – obwohl ich wusste, dass ein freies Musikerleben nicht einfach sein würde.

Nach dem Diplom studierte ich auch bei David Geringas, Boris Pergamenschikow, Daniel Schafran und Sándor Végh. Ich habe bei ihnen so viel gelernt, dass ich bereits auf der ganzen Welt Konzerte gab, als ich in Köln mit dem Konzertexamen mein Studium abschloss.

PANDEMIE Übrigens: Für das Leben in der »freien Wildbahn« entschied ich mich bewusst. Angebote für Orchesterstellen mochte ich nicht annehmen – obwohl ich wusste, dass ein freies Musikerleben nicht einfach sein würde.

Die Hälfte des Jahres bin ich unterwegs, um zu konzertieren. Die andere Hälfte lebe ich in Stahnsdorf bei Berlin. Meine Tochter Serafina studiert Harfe in Graz, sie ist also seltener zu Hause. Mein Sohn Lior bereitet sich auf sein Abitur im nächsten Jahr vor.

Im März 2020 gab ich mein letztes Konzert, dann brach die Pandemie aus, und mein Leben änderte sich abrupt. Wenn ich den Computer öffnete, ploppten mir die Konzertabsagen entgegen. Es war sehr frustrierend, aber ich versuchte, es philosophisch zu nehmen, also die Ruhe zu genießen. Manche Veranstalter haben die Termine verlegt, andere haben sie ersatzlos gestrichen.

TONLEITER Es war für mich eine ganz neue Erfahrung, so viel Zeit zu Hause zu verbringen. Dennoch nahm und nehme ich das Cello jeden Tag aus seinem Kasten heraus, um zu üben. Eine Tonleiter ist Pflicht und ein Muss. Jeden Tag spiele ich eine andere. Dazu kommen technische Übungen und natürlich die Stücke, die ich demnächst interpretiere.

Lieblingsstücke habe ich in dem Sinne nicht, ich mag sie alle. Allerdings bin ich ein großer Freund von Barockmusik. Aber natürlich geht mein Repertoire bis in die moderne Musik, und es haben auch viele noch lebende Komponisten Stücke für mich geschrieben. Was mir auch am Herzen liegt, ist Flamenco. Klassische Musik ist meine Liebe, Flamenco meine Leidenschaft.

Im August 2020 erwachte das Konzertleben zaghaft, um im November beim zweiten Lockdown wieder gestrichen zu werden. Der zweite war viel schwieriger, und er dauerte ja auch länger. Da ich auch eine Dozentenstelle in Dresden an der Musikhochschule habe, musste und konnte ich in der Zeit nur online lehren. Das ist viel anstrengender als Präsenzunterricht.

Doch nun beginnt mein »altes Leben« wieder. Ich fahre wieder regelmäßig nach Dresden, um mit meinen Studenten zu arbeiten, und mein Terminkalender ist bis 2023 gut gefüllt mit viel wunderbarer Musik.

FESTIVALS Ein musikalischer Höhepunkt etwa ist im Laufe des Jahres immer das Kammermusikfest Hopfgarten in Tirol, dessen Künstlerischer Leiter ich seit 27 Jahren bin. Neun Jahre lang leitete ich auch ein ähnlich konzipiertes Festival im wunderschönen niederländischen Middelburg.

Bei einem Spaziergang durch die Felder kann ich mich wunderbar erholen und den Kopf frei bekommen.

Ich sitze nicht so gerne herum. Denn beim Cellospielen sitze ich schon, dann muss ich durchaus auch Steuererklärungen machen oder Termine planen. Bei einem Spaziergang durch die Felder kann ich mich wunderbar erholen und den Kopf frei bekommen.

Und meine wenige freie Zeit verbringe ich gerne auf unserem Boot. Es ist ein ganz schlichtes, fünfeinhalb Meter langes. Mit ihm gleiten wir gerne über die Elbe oder in die Müritz, also ins nahe Gewässer. Denn in manchen Sommermonaten hatte ich gerade einmal drei Tage Urlaub, da kommen wir nicht so weit.

Am liebsten bin ich mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen, aber meine Lieblingsorte sind das Boot und die Bühne.

Aufgezeichnet von Christine Schmitt

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